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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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Die Memoiren von Paul Barras

gegessen), er eilt in den Konvent, niemand weiß etwas, der Saal füllt sich,
Samt Just besteigt die Tribüne, verliest eine ungeheuerliche Anklageschrift gegen
Danton als Haupt der Verschwörung Orleans und der Partei der nachsichtigen.
Und darauf wird er und die mit ihm Verhafteten vom Konvent einstimmig,
wie die Historiker sagen, in Anklagestand versetzt. Keiner seiner Freunde, auf
die er gerechnet hatte, steht für ihn auf, auch uicht vor dem Revolutionstribunal,
von wo er zum Schafott geführt wurde -- auch Barras nicht, der ihn
bewundert und seinen Löwenmut preist. Er erzählt uns seine letzten Äußerungen,
darunter weniger bekannte. Seine Todesgefährten wollen ihn zum Abschied
küsse". Dem Henker, der das zu hindern sucht, sagt Danton, der zuletzt daran¬
kommen soll: "Du bist ja grausamer als der Tod; du wirst nicht hindern
können, daß sich unsre Köpfe im Sack unten küssen," und ganz zuletzt: "Du
mußt dem Volke meinen Kopf zeigen, er ist des Anschauens wert."

Zur Zeit des Justizmordes an Danton, dem viele andre vorangingen und
viele folgten, stand der Konvent unter der Herrschaft der Ausschüsse (der Wohl¬
fahrt, der öffentlichen Sicherheit usw.); die Übertragung der Vollmachten kam
ihm teuer zu stehen. Robespierre war allmächtig und kannte keine Mäßigung
mehr, er ließ z. B. ein Gesetz durchdringen, wonach die Angeklagten vor dein
Revolutionstribunal keine Verteidiger mehr haben durften. Der Konvent war
über alles derartige entrüstet, aber er wagte keinen Widerstand. Jetzt tritt
Barras in seine Rolle als Sturzer Robespierres ein. Er hält sich vorsichtig
zurück und beobachtet, wie sich Robespierre mit dem Wohlfahrtsausschuß ent-
zweit, aber jeder Annäherung von andrer Seite ausweicht, sich in Schweigen
hüllt und derselbe furchtbare Mann bleibt. Was nun folgt bis zum 9. Ther-
midor (27. Juli), ist aus der Geschichte bekannt als der Sieg der Thermidv-
risten über die Schreckensherrschaft nnter Robespierre, die fünfzehn Monate
gedauert hatte. Barras, der hier die handelnde Person ist, bringt manches
neue. Foucho, der llltrarevolntivucir und Genosse Robespierres, der spätere
Polizeiminister und Herzog von Otranto, war von den Jakobinern ausgestoßen
und ließ sich jetzt von Barras und den andern Gegnern Robespierres als
Spion benutzen. Robespierre hatte ihn vernichtet, darum mußte er Robes¬
pierre unschädlich machen, aber zum Handeln fehlte ihm der Mut, er trug nur
Nachrichten herum. Barras erzählt den Angriff auf Robespierre im Konvent:
er hätte leicht mißlingen können, aber der Angegriffne verliert alle Fassung,
und da ist es um ihn geschehen. Die Gegner sind ihrer Sache durchaus nicht
sicher, bis endlich der Gefürchtete mit seinen Gefährten aufs Schafott gebracht
ist. Auf Barras Veranlassung muß der Karren an Robespierres Wohnung
vorbeifahren, weil Danton dort auf seinem letzten Wege ausgerufen hat, der
Bewohner des Hauses würde ihm bald nachfolgen. Barras überwacht alles,
der Konvent hat ihm Vollmacht gegeben, es ist größte Eile nötig. Wie leicht
kann das Volk den gefährlichen Mann, der, nach der ersten Verhaftung wieder


Die Memoiren von Paul Barras

gegessen), er eilt in den Konvent, niemand weiß etwas, der Saal füllt sich,
Samt Just besteigt die Tribüne, verliest eine ungeheuerliche Anklageschrift gegen
Danton als Haupt der Verschwörung Orleans und der Partei der nachsichtigen.
Und darauf wird er und die mit ihm Verhafteten vom Konvent einstimmig,
wie die Historiker sagen, in Anklagestand versetzt. Keiner seiner Freunde, auf
die er gerechnet hatte, steht für ihn auf, auch uicht vor dem Revolutionstribunal,
von wo er zum Schafott geführt wurde — auch Barras nicht, der ihn
bewundert und seinen Löwenmut preist. Er erzählt uns seine letzten Äußerungen,
darunter weniger bekannte. Seine Todesgefährten wollen ihn zum Abschied
küsse». Dem Henker, der das zu hindern sucht, sagt Danton, der zuletzt daran¬
kommen soll: „Du bist ja grausamer als der Tod; du wirst nicht hindern
können, daß sich unsre Köpfe im Sack unten küssen," und ganz zuletzt: „Du
mußt dem Volke meinen Kopf zeigen, er ist des Anschauens wert."

Zur Zeit des Justizmordes an Danton, dem viele andre vorangingen und
viele folgten, stand der Konvent unter der Herrschaft der Ausschüsse (der Wohl¬
fahrt, der öffentlichen Sicherheit usw.); die Übertragung der Vollmachten kam
ihm teuer zu stehen. Robespierre war allmächtig und kannte keine Mäßigung
mehr, er ließ z. B. ein Gesetz durchdringen, wonach die Angeklagten vor dein
Revolutionstribunal keine Verteidiger mehr haben durften. Der Konvent war
über alles derartige entrüstet, aber er wagte keinen Widerstand. Jetzt tritt
Barras in seine Rolle als Sturzer Robespierres ein. Er hält sich vorsichtig
zurück und beobachtet, wie sich Robespierre mit dem Wohlfahrtsausschuß ent-
zweit, aber jeder Annäherung von andrer Seite ausweicht, sich in Schweigen
hüllt und derselbe furchtbare Mann bleibt. Was nun folgt bis zum 9. Ther-
midor (27. Juli), ist aus der Geschichte bekannt als der Sieg der Thermidv-
risten über die Schreckensherrschaft nnter Robespierre, die fünfzehn Monate
gedauert hatte. Barras, der hier die handelnde Person ist, bringt manches
neue. Foucho, der llltrarevolntivucir und Genosse Robespierres, der spätere
Polizeiminister und Herzog von Otranto, war von den Jakobinern ausgestoßen
und ließ sich jetzt von Barras und den andern Gegnern Robespierres als
Spion benutzen. Robespierre hatte ihn vernichtet, darum mußte er Robes¬
pierre unschädlich machen, aber zum Handeln fehlte ihm der Mut, er trug nur
Nachrichten herum. Barras erzählt den Angriff auf Robespierre im Konvent:
er hätte leicht mißlingen können, aber der Angegriffne verliert alle Fassung,
und da ist es um ihn geschehen. Die Gegner sind ihrer Sache durchaus nicht
sicher, bis endlich der Gefürchtete mit seinen Gefährten aufs Schafott gebracht
ist. Auf Barras Veranlassung muß der Karren an Robespierres Wohnung
vorbeifahren, weil Danton dort auf seinem letzten Wege ausgerufen hat, der
Bewohner des Hauses würde ihm bald nachfolgen. Barras überwacht alles,
der Konvent hat ihm Vollmacht gegeben, es ist größte Eile nötig. Wie leicht
kann das Volk den gefährlichen Mann, der, nach der ersten Verhaftung wieder


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/40>, abgerufen am 23.07.2024.