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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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deren Bilder jetzt ihren Einzug in die deutsche Nationalgalerie gehalten haben,
beschieden sein? In Frankreich taucht schon jetzt hie und da die Meinung
auf, daß Courbet, der Bahnbrecher des französischen Naturalismus, ein über-
wnndner Standpunkt sei. Wie lange wird es dauern, bis auch Marlet daran
kommt, zum alten Eisen geworfen zu werden, wenn man auch jetzt noch in Paris
den Verlust seines für die Berliner Nationalgalerie angekauften Bildes "Das
Treibhaus" als eine Art von nationalem Unglück betrauert. Selbst ein so
ernsthaftes Blatt wie die LbroniHNL c!v8 g.res, das Beiblatt der (Zuüöttg ass
bvMx Mes, hat diesen Verlust beklagt. Das hat sie aber uicht gehindert, in
der Nummer, die diesem Schmerzensruf folgte, dem neuen Direktor der National¬
galerie ein sehr ehrenvolles Zeugnis auszustellen. In einer Korrespondenz
ans Deutschland heißt es in der Nummer vom 26. Dezember vorigen Jahres:
"Von der Zeit, wo Herr vou Tschudi zur Direktion der Berliner National¬
galerie gelangt ist, datirt für dieses Museum ein Fortschritt, der mit einem
seltnen Glück von Initiative, Kampf und Urteil bewerkstelligt worden ist."
Dann folgt eine Liste der Erwerbungen, und die Korrespondenz schließt mit
folgendem Dithyrambus: "Dank der Energie und dem Vertrauen des Herrn
von Tschudi kann ein so neuer Geist herrschen und eine Kunst aufzwingen, die
vielleicht in Frankreich besser erkannt, aber sicherlich weniger gut verteidigt
wird als in Preußen. Und während diese modernen Werke eine offizielle
Weihe erhalten, werden Stücke, die nur eine gewöhnliche Geschicklichkeit (uns
IiMIitv biriuüö) ausweisen oder das Mittelmaß des Talents nicht überragen,
in die Provinzmuseeu und sogar in die Speicher verbannt. Es ist dabei ein
doppelter Nutzen: Fortschritt und Reinigung."

Wir wollen zur Ehre des deutschen Namens annehmen, daß diese "Korre¬
spondenz aus Deutschland" nicht von einem Deutschen, sondern von einem
Franzosen geschrieben ist, weil sie von Beleidigungen des deutschen National¬
gefühls strotzt. Die Werke deutscher Künstler sind also gerade gut genug, in
den Provinzmuseen oder in den Magazinen der hauptstädtischen Museen unter¬
gebracht zu werden, damit Platz für französische Kunstwerke gewonnen werde!
Es wäre hier ein Anlaß, in patriotischer Entrüstung aufzuflammen. Aber
damit verliert man sein Spiel gegenüber den phlegmatischen Cynikern, die die
deutsche Kunst der Gegenwart, die nicht im Fahrwasser der "Moderne" segelt,
mit Schmutz bewerfen und immer mit höhnischem Grinsen auf ihre Abgötter
in Frankreich und ihre bedientenhafter Nachahmer in Deutschland hinweisen.
Nur rein sachlich bemerken wir, daß die Provinzen in Preußen genau soviel
politisch und wirtschaftlich wie die Hauptstadt Berlin bedeuten, und daß die
Fürsorge der Staatsregierung zwischen Berlin und irgend einer Provinzinl-
hauptstadt sachlich keinen Unterschied zu machen hat. In seinem Verhältnis
zum Reich hat Berlin nnr dadurch sein Übergewicht vor den Hauptstädten der
übrigen VundeSstaaten, daß es der Sitz des Reichstags und der meisten Zentral-


deren Bilder jetzt ihren Einzug in die deutsche Nationalgalerie gehalten haben,
beschieden sein? In Frankreich taucht schon jetzt hie und da die Meinung
auf, daß Courbet, der Bahnbrecher des französischen Naturalismus, ein über-
wnndner Standpunkt sei. Wie lange wird es dauern, bis auch Marlet daran
kommt, zum alten Eisen geworfen zu werden, wenn man auch jetzt noch in Paris
den Verlust seines für die Berliner Nationalgalerie angekauften Bildes „Das
Treibhaus" als eine Art von nationalem Unglück betrauert. Selbst ein so
ernsthaftes Blatt wie die LbroniHNL c!v8 g.res, das Beiblatt der (Zuüöttg ass
bvMx Mes, hat diesen Verlust beklagt. Das hat sie aber uicht gehindert, in
der Nummer, die diesem Schmerzensruf folgte, dem neuen Direktor der National¬
galerie ein sehr ehrenvolles Zeugnis auszustellen. In einer Korrespondenz
ans Deutschland heißt es in der Nummer vom 26. Dezember vorigen Jahres:
„Von der Zeit, wo Herr vou Tschudi zur Direktion der Berliner National¬
galerie gelangt ist, datirt für dieses Museum ein Fortschritt, der mit einem
seltnen Glück von Initiative, Kampf und Urteil bewerkstelligt worden ist."
Dann folgt eine Liste der Erwerbungen, und die Korrespondenz schließt mit
folgendem Dithyrambus: „Dank der Energie und dem Vertrauen des Herrn
von Tschudi kann ein so neuer Geist herrschen und eine Kunst aufzwingen, die
vielleicht in Frankreich besser erkannt, aber sicherlich weniger gut verteidigt
wird als in Preußen. Und während diese modernen Werke eine offizielle
Weihe erhalten, werden Stücke, die nur eine gewöhnliche Geschicklichkeit (uns
IiMIitv biriuüö) ausweisen oder das Mittelmaß des Talents nicht überragen,
in die Provinzmuseeu und sogar in die Speicher verbannt. Es ist dabei ein
doppelter Nutzen: Fortschritt und Reinigung."

Wir wollen zur Ehre des deutschen Namens annehmen, daß diese „Korre¬
spondenz aus Deutschland" nicht von einem Deutschen, sondern von einem
Franzosen geschrieben ist, weil sie von Beleidigungen des deutschen National¬
gefühls strotzt. Die Werke deutscher Künstler sind also gerade gut genug, in
den Provinzmuseen oder in den Magazinen der hauptstädtischen Museen unter¬
gebracht zu werden, damit Platz für französische Kunstwerke gewonnen werde!
Es wäre hier ein Anlaß, in patriotischer Entrüstung aufzuflammen. Aber
damit verliert man sein Spiel gegenüber den phlegmatischen Cynikern, die die
deutsche Kunst der Gegenwart, die nicht im Fahrwasser der „Moderne" segelt,
mit Schmutz bewerfen und immer mit höhnischem Grinsen auf ihre Abgötter
in Frankreich und ihre bedientenhafter Nachahmer in Deutschland hinweisen.
Nur rein sachlich bemerken wir, daß die Provinzen in Preußen genau soviel
politisch und wirtschaftlich wie die Hauptstadt Berlin bedeuten, und daß die
Fürsorge der Staatsregierung zwischen Berlin und irgend einer Provinzinl-
hauptstadt sachlich keinen Unterschied zu machen hat. In seinem Verhältnis
zum Reich hat Berlin nnr dadurch sein Übergewicht vor den Hauptstädten der
übrigen VundeSstaaten, daß es der Sitz des Reichstags und der meisten Zentral-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/384>, abgerufen am 23.07.2024.