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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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Alte und neue Kunst in Berliner Museen

die die französische Regierung bei ihren Ankäufen für das Lnxembourgmuseum,
die "französische Nationalgalerie," gegen das Ausland beobachtet? Ankäufe
fremdländischer Kunstwerke sind dort ganz selten. Man will das National¬
eigentum im Lande behalten; wenn trotzdem Werke von Nichtfranzosen angekauft
werden, so werden meist solche berücksichtigt, deren Urheber in Frankreich leben
und dort ihr Geld verzehren. Wie überall, wird der diensteifrige deutsche
Michel mich bei diesen Ankäufen in Paris am schlechtesten behandelt. Aber
Schläge und Fußtritte reizen keineswegs so sehr seinen Stolz, daß er etwa
auf den Gedanken käme, gleiches mit gleichem zu vergelten. Im Gegenteil,
er reißt die Thüren seiner Museen so weit weit wie möglich auf, um so viele
französische Kunstwerke -- um diese handelt es sich meist -- hereinzulassen,
wie er erlangen kann, nicht bloß in Berlin und Dresden, sondern auch ander¬
wärts. Für solche Sachen haben wir immer noch heldenmäßig viel Geld,
nur nicht für Kriegsschiffe zum Schutz unsrer Küsten, unsers überseeischen
Handels und der deutschen Ehre auf deu Weltmeeren! Wenn wenigstens für
das schöne Geld wirklich echtes ausländisches Kunstgut in unsre überfüllten
Sammlungen hineingepfercht würde! Aber ein moderner Galeriedirektor müßte
sich ja vor seinen Gesinnungsgenossen schämen, wenn er Werke der "altmodischen"
Richtung ankaufte! Er schwimmt mit Wonne in der naturalistischen Strömung,
und so genießen wir das erhebende Schauspiel, daß für die deutsche National¬
galerie dank der Geldspende "hochherziger Berliner Kunstfreunde" Bilder von
Courbet, Manet, Monet, Degas, den Führern des französischen Naturalismus
und Impressionismus, und ein Ölgemälde und drei Zeichnungen von dem ihnen
geistesverwandten Italiener Segantini angekauft worden sind. Da diese und
andre Werke von Franzosen und Belgiern durchweg Schenkungen sind, so trifft
ja den Direktor der Natioualgalerie nicht der Vorwurf, Staatsgelder für
zweifelhafte Erwerbungen aufgewendet zu haben. Er hat genommen, was ihm
geboten worden ist. Aber es entsteht doch die Frage, ob die Vertreter so extremer
Richtungen überhaupt einen Platz in einer Sammlung verdienen, die der
"deutschen Kunst" gewidmet ist.

Herr von Tschudi hat freilich in dem Vorwort des erwähnten Katalogs daran
erinnert, daß schon die Sammlung des Konsuls Wagner, die ,, den Grundstock
der Nationnlgalerie bildet, mehrere sür die ausländische Kunst der dreißiger
Jahre wichtige Gemälde, insbesondre von den Hauptmeistern der belgischen
Historienmalerei" -- es kommen namentlich Gallait und de Biüfve in Betracht --
enthält. Aber gerade diese Berufung sollte zu tieferen Nachdenken und zur
Besonnenheit mahnen. Schon vierzig Jahre nach dein Triumphzug der bel¬
gischen Historienmaler durch Deutschland sind sie so gut wie vergessen, und
kaum ist noch irgendwo in der lebendigen Malerei unsrer Tage ein Nachklang
ihres Wirkens zu spüren. Sollte nicht ein gleiches Schicksal, vielleicht noch
schneller, den französischen und italienischen Naturalisten und Impressionisten,


Alte und neue Kunst in Berliner Museen

die die französische Regierung bei ihren Ankäufen für das Lnxembourgmuseum,
die „französische Nationalgalerie," gegen das Ausland beobachtet? Ankäufe
fremdländischer Kunstwerke sind dort ganz selten. Man will das National¬
eigentum im Lande behalten; wenn trotzdem Werke von Nichtfranzosen angekauft
werden, so werden meist solche berücksichtigt, deren Urheber in Frankreich leben
und dort ihr Geld verzehren. Wie überall, wird der diensteifrige deutsche
Michel mich bei diesen Ankäufen in Paris am schlechtesten behandelt. Aber
Schläge und Fußtritte reizen keineswegs so sehr seinen Stolz, daß er etwa
auf den Gedanken käme, gleiches mit gleichem zu vergelten. Im Gegenteil,
er reißt die Thüren seiner Museen so weit weit wie möglich auf, um so viele
französische Kunstwerke — um diese handelt es sich meist — hereinzulassen,
wie er erlangen kann, nicht bloß in Berlin und Dresden, sondern auch ander¬
wärts. Für solche Sachen haben wir immer noch heldenmäßig viel Geld,
nur nicht für Kriegsschiffe zum Schutz unsrer Küsten, unsers überseeischen
Handels und der deutschen Ehre auf deu Weltmeeren! Wenn wenigstens für
das schöne Geld wirklich echtes ausländisches Kunstgut in unsre überfüllten
Sammlungen hineingepfercht würde! Aber ein moderner Galeriedirektor müßte
sich ja vor seinen Gesinnungsgenossen schämen, wenn er Werke der „altmodischen"
Richtung ankaufte! Er schwimmt mit Wonne in der naturalistischen Strömung,
und so genießen wir das erhebende Schauspiel, daß für die deutsche National¬
galerie dank der Geldspende „hochherziger Berliner Kunstfreunde" Bilder von
Courbet, Manet, Monet, Degas, den Führern des französischen Naturalismus
und Impressionismus, und ein Ölgemälde und drei Zeichnungen von dem ihnen
geistesverwandten Italiener Segantini angekauft worden sind. Da diese und
andre Werke von Franzosen und Belgiern durchweg Schenkungen sind, so trifft
ja den Direktor der Natioualgalerie nicht der Vorwurf, Staatsgelder für
zweifelhafte Erwerbungen aufgewendet zu haben. Er hat genommen, was ihm
geboten worden ist. Aber es entsteht doch die Frage, ob die Vertreter so extremer
Richtungen überhaupt einen Platz in einer Sammlung verdienen, die der
„deutschen Kunst" gewidmet ist.

Herr von Tschudi hat freilich in dem Vorwort des erwähnten Katalogs daran
erinnert, daß schon die Sammlung des Konsuls Wagner, die ,, den Grundstock
der Nationnlgalerie bildet, mehrere sür die ausländische Kunst der dreißiger
Jahre wichtige Gemälde, insbesondre von den Hauptmeistern der belgischen
Historienmalerei" — es kommen namentlich Gallait und de Biüfve in Betracht —
enthält. Aber gerade diese Berufung sollte zu tieferen Nachdenken und zur
Besonnenheit mahnen. Schon vierzig Jahre nach dein Triumphzug der bel¬
gischen Historienmaler durch Deutschland sind sie so gut wie vergessen, und
kaum ist noch irgendwo in der lebendigen Malerei unsrer Tage ein Nachklang
ihres Wirkens zu spüren. Sollte nicht ein gleiches Schicksal, vielleicht noch
schneller, den französischen und italienischen Naturalisten und Impressionisten,


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[0383] Alte und neue Kunst in Berliner Museen die die französische Regierung bei ihren Ankäufen für das Lnxembourgmuseum, die „französische Nationalgalerie," gegen das Ausland beobachtet? Ankäufe fremdländischer Kunstwerke sind dort ganz selten. Man will das National¬ eigentum im Lande behalten; wenn trotzdem Werke von Nichtfranzosen angekauft werden, so werden meist solche berücksichtigt, deren Urheber in Frankreich leben und dort ihr Geld verzehren. Wie überall, wird der diensteifrige deutsche Michel mich bei diesen Ankäufen in Paris am schlechtesten behandelt. Aber Schläge und Fußtritte reizen keineswegs so sehr seinen Stolz, daß er etwa auf den Gedanken käme, gleiches mit gleichem zu vergelten. Im Gegenteil, er reißt die Thüren seiner Museen so weit weit wie möglich auf, um so viele französische Kunstwerke — um diese handelt es sich meist — hereinzulassen, wie er erlangen kann, nicht bloß in Berlin und Dresden, sondern auch ander¬ wärts. Für solche Sachen haben wir immer noch heldenmäßig viel Geld, nur nicht für Kriegsschiffe zum Schutz unsrer Küsten, unsers überseeischen Handels und der deutschen Ehre auf deu Weltmeeren! Wenn wenigstens für das schöne Geld wirklich echtes ausländisches Kunstgut in unsre überfüllten Sammlungen hineingepfercht würde! Aber ein moderner Galeriedirektor müßte sich ja vor seinen Gesinnungsgenossen schämen, wenn er Werke der „altmodischen" Richtung ankaufte! Er schwimmt mit Wonne in der naturalistischen Strömung, und so genießen wir das erhebende Schauspiel, daß für die deutsche National¬ galerie dank der Geldspende „hochherziger Berliner Kunstfreunde" Bilder von Courbet, Manet, Monet, Degas, den Führern des französischen Naturalismus und Impressionismus, und ein Ölgemälde und drei Zeichnungen von dem ihnen geistesverwandten Italiener Segantini angekauft worden sind. Da diese und andre Werke von Franzosen und Belgiern durchweg Schenkungen sind, so trifft ja den Direktor der Natioualgalerie nicht der Vorwurf, Staatsgelder für zweifelhafte Erwerbungen aufgewendet zu haben. Er hat genommen, was ihm geboten worden ist. Aber es entsteht doch die Frage, ob die Vertreter so extremer Richtungen überhaupt einen Platz in einer Sammlung verdienen, die der „deutschen Kunst" gewidmet ist. Herr von Tschudi hat freilich in dem Vorwort des erwähnten Katalogs daran erinnert, daß schon die Sammlung des Konsuls Wagner, die ,, den Grundstock der Nationnlgalerie bildet, mehrere sür die ausländische Kunst der dreißiger Jahre wichtige Gemälde, insbesondre von den Hauptmeistern der belgischen Historienmalerei" — es kommen namentlich Gallait und de Biüfve in Betracht — enthält. Aber gerade diese Berufung sollte zu tieferen Nachdenken und zur Besonnenheit mahnen. Schon vierzig Jahre nach dein Triumphzug der bel¬ gischen Historienmaler durch Deutschland sind sie so gut wie vergessen, und kaum ist noch irgendwo in der lebendigen Malerei unsrer Tage ein Nachklang ihres Wirkens zu spüren. Sollte nicht ein gleiches Schicksal, vielleicht noch schneller, den französischen und italienischen Naturalisten und Impressionisten,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/383>, abgerufen am 23.07.2024.