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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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Alte und neue Kunst in Berliner Museen

das beste Material besitzt, um Tschudis absprechende Meinung über Menzel
als Bildnismaler zu widerlegen. Wir haben in Berliner Blättern mit Schrecken
gelesen, daß es in der Absicht des neuen Direktors liege, alle Bilder, die sich
auf die preußische Geschichte beziehen, aus der Nationalgalerie auszusondern
und aus ihnen den Grundstock zu einer Art von historischem Nationalmuseum,
vielleicht gar einer Filiale des Hvhenzollerumuseums zu bilden. Die Folge
wäre dann, daß auch Menzels Flötenkonzert in Sanssouci, seine Tafelrunde
Friedrichs des Großen, die Skizze zu seinem Königsbilde und die Abfahrt
König Wilhelms zur Armee im Juli 1870 verbannt werden würden. Das
Gegenständliche eines Bildes, der Inhalt, hat eben in den Augen der Vertreter
der modernsten Kunst, der ihnen gleichgesinnten Galeriedirektoren und ihrer
Wortführer in der Tagespresse keinen Wert mehr. Die Erzähler müssen aus
den Galerien verbannt werden, damit das Publikum nicht mehr am Stoffe
kleben bleibe, sondern so sehen lerne, wie es die großen und kleinen Tyrannen
des modernen Geschmacks haben wollen.

Wir wären geneigt, jene Andeutung Berlinischer Blätter für grundlos
oder übertrieben zu halten, wenn nicht die erste, zu Ende vorigen Jahres ver¬
anstaltete Ausstellung neuer Erwerbungen der Nationalgalerie, das eine der
beiden im Anfang dieses Aufsatzes erwähnten Ereignisse in dem Berliner Kunst¬
leben, zum gute" Teil das Gepräge der Kunstanschaunngen des neuen Direktors
trüge. Es handelt sich im ganzen um etwa achtzig Gemälde, Zeichnungen
und Bildwerke, deren Kosten ans drei verschiednen Quellen geflossen sind:
ans dem Dispositionsfonds des Kaisers, aus den Mitteln der Akademie der
Künste, der die Hälfte des Überschusses der Kunstausstellung von 1895 nach
den Bestimmungen zum Ankauf von Kunstwerken zur Verfügung stand, und,
wie in dem Vorwort zum Katalog dieser Sonderausstellung gesagt wird, ans
Mitteln, "die von einer Reihe hochherziger Berliner Kunstfreunde der Direktion
zur Verfügung gestellt wurden." Diese Mittel erlaubten es -- und nun
kommen die Äußerungen, die über Tschudis Stellung zur modernen Kunst
keinen Zweifel mehr übrig lassen --, "eine Anzahl von hervorragenden fremd¬
ländischen Werken anzuschaffen, die für die Erkenntnis der modernen Kunst-
entwicklung einschneidende Bedeutung haben. Ohne einen Blick auf das Ausland
wird ein tiefergehendes Verständnis auch der deutsche" Kunst der neuern Zeit
nicht möglich sein. Die Mehrzahl der großen Anregungen und Wandlungen,
die sich während des neunzehnten Jahrhunderts auf künstlerischem Gebiete er¬
eigneten, sind von England und Frankreich ausgegangen und haben erst nach¬
träglich die deutsche Produktion in ihre Kreise gezogen. Vieles, was in dieser
letztern unvermittelt und schwer erklärlich scheint, gewinnt, in den Zusammen¬
hang der allgemeinen Kunstbewegung hineingestellt, Berechtigung und Wert.
Neben dem historischen ist es auch das rein ästhetische Interesse, das zwingt,
den fremden Meistern an der Seite der einheimischen in einem Museum der


Alte und neue Kunst in Berliner Museen

das beste Material besitzt, um Tschudis absprechende Meinung über Menzel
als Bildnismaler zu widerlegen. Wir haben in Berliner Blättern mit Schrecken
gelesen, daß es in der Absicht des neuen Direktors liege, alle Bilder, die sich
auf die preußische Geschichte beziehen, aus der Nationalgalerie auszusondern
und aus ihnen den Grundstock zu einer Art von historischem Nationalmuseum,
vielleicht gar einer Filiale des Hvhenzollerumuseums zu bilden. Die Folge
wäre dann, daß auch Menzels Flötenkonzert in Sanssouci, seine Tafelrunde
Friedrichs des Großen, die Skizze zu seinem Königsbilde und die Abfahrt
König Wilhelms zur Armee im Juli 1870 verbannt werden würden. Das
Gegenständliche eines Bildes, der Inhalt, hat eben in den Augen der Vertreter
der modernsten Kunst, der ihnen gleichgesinnten Galeriedirektoren und ihrer
Wortführer in der Tagespresse keinen Wert mehr. Die Erzähler müssen aus
den Galerien verbannt werden, damit das Publikum nicht mehr am Stoffe
kleben bleibe, sondern so sehen lerne, wie es die großen und kleinen Tyrannen
des modernen Geschmacks haben wollen.

Wir wären geneigt, jene Andeutung Berlinischer Blätter für grundlos
oder übertrieben zu halten, wenn nicht die erste, zu Ende vorigen Jahres ver¬
anstaltete Ausstellung neuer Erwerbungen der Nationalgalerie, das eine der
beiden im Anfang dieses Aufsatzes erwähnten Ereignisse in dem Berliner Kunst¬
leben, zum gute« Teil das Gepräge der Kunstanschaunngen des neuen Direktors
trüge. Es handelt sich im ganzen um etwa achtzig Gemälde, Zeichnungen
und Bildwerke, deren Kosten ans drei verschiednen Quellen geflossen sind:
ans dem Dispositionsfonds des Kaisers, aus den Mitteln der Akademie der
Künste, der die Hälfte des Überschusses der Kunstausstellung von 1895 nach
den Bestimmungen zum Ankauf von Kunstwerken zur Verfügung stand, und,
wie in dem Vorwort zum Katalog dieser Sonderausstellung gesagt wird, ans
Mitteln, „die von einer Reihe hochherziger Berliner Kunstfreunde der Direktion
zur Verfügung gestellt wurden." Diese Mittel erlaubten es — und nun
kommen die Äußerungen, die über Tschudis Stellung zur modernen Kunst
keinen Zweifel mehr übrig lassen —, „eine Anzahl von hervorragenden fremd¬
ländischen Werken anzuschaffen, die für die Erkenntnis der modernen Kunst-
entwicklung einschneidende Bedeutung haben. Ohne einen Blick auf das Ausland
wird ein tiefergehendes Verständnis auch der deutsche» Kunst der neuern Zeit
nicht möglich sein. Die Mehrzahl der großen Anregungen und Wandlungen,
die sich während des neunzehnten Jahrhunderts auf künstlerischem Gebiete er¬
eigneten, sind von England und Frankreich ausgegangen und haben erst nach¬
träglich die deutsche Produktion in ihre Kreise gezogen. Vieles, was in dieser
letztern unvermittelt und schwer erklärlich scheint, gewinnt, in den Zusammen¬
hang der allgemeinen Kunstbewegung hineingestellt, Berechtigung und Wert.
Neben dem historischen ist es auch das rein ästhetische Interesse, das zwingt,
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[0381] Alte und neue Kunst in Berliner Museen das beste Material besitzt, um Tschudis absprechende Meinung über Menzel als Bildnismaler zu widerlegen. Wir haben in Berliner Blättern mit Schrecken gelesen, daß es in der Absicht des neuen Direktors liege, alle Bilder, die sich auf die preußische Geschichte beziehen, aus der Nationalgalerie auszusondern und aus ihnen den Grundstock zu einer Art von historischem Nationalmuseum, vielleicht gar einer Filiale des Hvhenzollerumuseums zu bilden. Die Folge wäre dann, daß auch Menzels Flötenkonzert in Sanssouci, seine Tafelrunde Friedrichs des Großen, die Skizze zu seinem Königsbilde und die Abfahrt König Wilhelms zur Armee im Juli 1870 verbannt werden würden. Das Gegenständliche eines Bildes, der Inhalt, hat eben in den Augen der Vertreter der modernsten Kunst, der ihnen gleichgesinnten Galeriedirektoren und ihrer Wortführer in der Tagespresse keinen Wert mehr. Die Erzähler müssen aus den Galerien verbannt werden, damit das Publikum nicht mehr am Stoffe kleben bleibe, sondern so sehen lerne, wie es die großen und kleinen Tyrannen des modernen Geschmacks haben wollen. Wir wären geneigt, jene Andeutung Berlinischer Blätter für grundlos oder übertrieben zu halten, wenn nicht die erste, zu Ende vorigen Jahres ver¬ anstaltete Ausstellung neuer Erwerbungen der Nationalgalerie, das eine der beiden im Anfang dieses Aufsatzes erwähnten Ereignisse in dem Berliner Kunst¬ leben, zum gute« Teil das Gepräge der Kunstanschaunngen des neuen Direktors trüge. Es handelt sich im ganzen um etwa achtzig Gemälde, Zeichnungen und Bildwerke, deren Kosten ans drei verschiednen Quellen geflossen sind: ans dem Dispositionsfonds des Kaisers, aus den Mitteln der Akademie der Künste, der die Hälfte des Überschusses der Kunstausstellung von 1895 nach den Bestimmungen zum Ankauf von Kunstwerken zur Verfügung stand, und, wie in dem Vorwort zum Katalog dieser Sonderausstellung gesagt wird, ans Mitteln, „die von einer Reihe hochherziger Berliner Kunstfreunde der Direktion zur Verfügung gestellt wurden." Diese Mittel erlaubten es — und nun kommen die Äußerungen, die über Tschudis Stellung zur modernen Kunst keinen Zweifel mehr übrig lassen —, „eine Anzahl von hervorragenden fremd¬ ländischen Werken anzuschaffen, die für die Erkenntnis der modernen Kunst- entwicklung einschneidende Bedeutung haben. Ohne einen Blick auf das Ausland wird ein tiefergehendes Verständnis auch der deutsche» Kunst der neuern Zeit nicht möglich sein. Die Mehrzahl der großen Anregungen und Wandlungen, die sich während des neunzehnten Jahrhunderts auf künstlerischem Gebiete er¬ eigneten, sind von England und Frankreich ausgegangen und haben erst nach¬ träglich die deutsche Produktion in ihre Kreise gezogen. Vieles, was in dieser letztern unvermittelt und schwer erklärlich scheint, gewinnt, in den Zusammen¬ hang der allgemeinen Kunstbewegung hineingestellt, Berechtigung und Wert. Neben dem historischen ist es auch das rein ästhetische Interesse, das zwingt, den fremden Meistern an der Seite der einheimischen in einem Museum der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/381>, abgerufen am 23.07.2024.