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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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Die ostdeutsche Landwirtschaft

Für den deutschen Landarbeiter bedeuten alle diese Veränderungen einfach
die Unmöglichkeit, in solchen Verhältnissen auszuharren. Der deutsche Land¬
arbeiter wandert ab, woraus für Staat und Volk soziale und nationale Ge¬
fahren entstehen. Der Abwanderung der Landarbeiter schließt sich die Aus¬
wanderung der kleinern Bauern an, die unter den bestehenden Verhältnissen
ein weiteres Herabsinken ihrer Kinder befürchten und dies vermeiden wollen.

Die in Agrarierkreisen verbreitete Vorstellung von der zufriedner seßhaften
Landbevölkerung des Ostens ist völlig irrig. Der Nittergutsbetrieb mobilisirt
heute die Bevölkerung, die vrtsbürtige Bevölkerung bleibt am wenigsten auf
den Gütern, der Ab- und Zuzug der Rittergutsgegenden erreicht fast den von
Berlin, das Nittergutsland ist der eigentliche Herd der Aus- und Abwanderung
der deutschen Bevölkerung, und die leergewordnen Plätze füllt die bedürfnis¬
losere slawische Nasse aus. Die in die Hand des Rittergutsbesitzers gelegte
Rentengutsbildung leistet dieser Slawisirung Vorschub, der Rittergutsbesitzer
verkauft seine schlechten Außeuschläge zu hohen Preisen, sodaß das neue
Bauerngut keine deutsche Vauerufamilie trägt; der bedürfnislosere und wirt¬
schaftlich leichtsinnigere Pole läßt sich leichter auf einen solchen Kauf ein.

Die aus dem Rittergutsbetrieb entstehenden Gefahren sind also: 1. die
Kleinbauern und solche Arbeiter, die sich die zur Auswanderung erforderlichen
Mittel erspart haben, wandern ans; 2. die besitzlosen Landarbeiter wandern
nach dem Westen, teils endgiltig als Industriearbeiter, teils zeitweise als
zurückkehrende Wanderarbeiter (Sachsengünger); 3. unsre östlichen Landesteile
werden durch die nachdringenden Polen und Russen, die sich seßhaft machen,
slawisirt.

Die deutsche Auswanderung hat keineswegs in der Übervölkerung ihren
Hauptgrund, wie man so oft annimmt. Nach der Zühlnng von 1880 lebten
auf dem Quadratkilometer

in Sachsen..... 1g8,!Z Einwohner
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in Rheinland .... !,>!,>) "
in Westfalen .... 101,2
in Baden ..... 104,1
in Posen..... S8,8 "
in Pommern .... 51,2 "
in Mecklenburg-Schwerin 43,4 "

dagegen betrug die Auswanderung von 1871 bis 1800

in Sachsen . . .6,3 vom Tausend
in Rheinland . .4/' "
in Westfalen . .7-4 ,.
in Baden . . >18,1 "
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Grenzboten II 18V746
Die ostdeutsche Landwirtschaft

Für den deutschen Landarbeiter bedeuten alle diese Veränderungen einfach
die Unmöglichkeit, in solchen Verhältnissen auszuharren. Der deutsche Land¬
arbeiter wandert ab, woraus für Staat und Volk soziale und nationale Ge¬
fahren entstehen. Der Abwanderung der Landarbeiter schließt sich die Aus¬
wanderung der kleinern Bauern an, die unter den bestehenden Verhältnissen
ein weiteres Herabsinken ihrer Kinder befürchten und dies vermeiden wollen.

Die in Agrarierkreisen verbreitete Vorstellung von der zufriedner seßhaften
Landbevölkerung des Ostens ist völlig irrig. Der Nittergutsbetrieb mobilisirt
heute die Bevölkerung, die vrtsbürtige Bevölkerung bleibt am wenigsten auf
den Gütern, der Ab- und Zuzug der Rittergutsgegenden erreicht fast den von
Berlin, das Nittergutsland ist der eigentliche Herd der Aus- und Abwanderung
der deutschen Bevölkerung, und die leergewordnen Plätze füllt die bedürfnis¬
losere slawische Nasse aus. Die in die Hand des Rittergutsbesitzers gelegte
Rentengutsbildung leistet dieser Slawisirung Vorschub, der Rittergutsbesitzer
verkauft seine schlechten Außeuschläge zu hohen Preisen, sodaß das neue
Bauerngut keine deutsche Vauerufamilie trägt; der bedürfnislosere und wirt¬
schaftlich leichtsinnigere Pole läßt sich leichter auf einen solchen Kauf ein.

Die aus dem Rittergutsbetrieb entstehenden Gefahren sind also: 1. die
Kleinbauern und solche Arbeiter, die sich die zur Auswanderung erforderlichen
Mittel erspart haben, wandern ans; 2. die besitzlosen Landarbeiter wandern
nach dem Westen, teils endgiltig als Industriearbeiter, teils zeitweise als
zurückkehrende Wanderarbeiter (Sachsengünger); 3. unsre östlichen Landesteile
werden durch die nachdringenden Polen und Russen, die sich seßhaft machen,
slawisirt.

Die deutsche Auswanderung hat keineswegs in der Übervölkerung ihren
Hauptgrund, wie man so oft annimmt. Nach der Zühlnng von 1880 lebten
auf dem Quadratkilometer

in Sachsen..... 1g8,!Z Einwohner
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dagegen betrug die Auswanderung von 1871 bis 1800

in Sachsen . . .6,3 vom Tausend
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[0369] Die ostdeutsche Landwirtschaft Für den deutschen Landarbeiter bedeuten alle diese Veränderungen einfach die Unmöglichkeit, in solchen Verhältnissen auszuharren. Der deutsche Land¬ arbeiter wandert ab, woraus für Staat und Volk soziale und nationale Ge¬ fahren entstehen. Der Abwanderung der Landarbeiter schließt sich die Aus¬ wanderung der kleinern Bauern an, die unter den bestehenden Verhältnissen ein weiteres Herabsinken ihrer Kinder befürchten und dies vermeiden wollen. Die in Agrarierkreisen verbreitete Vorstellung von der zufriedner seßhaften Landbevölkerung des Ostens ist völlig irrig. Der Nittergutsbetrieb mobilisirt heute die Bevölkerung, die vrtsbürtige Bevölkerung bleibt am wenigsten auf den Gütern, der Ab- und Zuzug der Rittergutsgegenden erreicht fast den von Berlin, das Nittergutsland ist der eigentliche Herd der Aus- und Abwanderung der deutschen Bevölkerung, und die leergewordnen Plätze füllt die bedürfnis¬ losere slawische Nasse aus. Die in die Hand des Rittergutsbesitzers gelegte Rentengutsbildung leistet dieser Slawisirung Vorschub, der Rittergutsbesitzer verkauft seine schlechten Außeuschläge zu hohen Preisen, sodaß das neue Bauerngut keine deutsche Vauerufamilie trägt; der bedürfnislosere und wirt¬ schaftlich leichtsinnigere Pole läßt sich leichter auf einen solchen Kauf ein. Die aus dem Rittergutsbetrieb entstehenden Gefahren sind also: 1. die Kleinbauern und solche Arbeiter, die sich die zur Auswanderung erforderlichen Mittel erspart haben, wandern ans; 2. die besitzlosen Landarbeiter wandern nach dem Westen, teils endgiltig als Industriearbeiter, teils zeitweise als zurückkehrende Wanderarbeiter (Sachsengünger); 3. unsre östlichen Landesteile werden durch die nachdringenden Polen und Russen, die sich seßhaft machen, slawisirt. Die deutsche Auswanderung hat keineswegs in der Übervölkerung ihren Hauptgrund, wie man so oft annimmt. Nach der Zühlnng von 1880 lebten auf dem Quadratkilometer in Sachsen..... 1g8,!Z Einwohner ' in Rheinland .... !,>!,>) „ in Westfalen .... 101,2 in Baden ..... 104,1 in Posen..... S8,8 „ in Pommern .... 51,2 „ in Mecklenburg-Schwerin 43,4 „ dagegen betrug die Auswanderung von 1871 bis 1800 in Sachsen . . .6,3 vom Tausend in Rheinland . .4/' „ in Westfalen . .7-4 ,. in Baden . . >18,1 „ in Posen . . .^,1 „ in Pommern . .'^,0 „ in Mecklenburg-(?)",9 „ „ Grenzboten II 18V746

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/369>, abgerufen am 23.07.2024.