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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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Die ostdeutsche Landwirtschaft

nischen Fortschritten folgen zu können, löste sich das Rittergut mit staatlicher
Hilfe aus der Gemengelage; die Betriebsweise mit leibeignen Frohnern genügte
den neuen Anforderungen immer weniger.") Der Ritter trieb die schon durch
Absonderung des Landes gesteigerten Leistungen der Bauern so hoch, als es
dessen Kräfte zuließen. Natürlich war stets Zank und Streit über Ansprüche
und Leistungen. "Die Verfassung ließ den Bauer immer ärmer, stumpf¬
sinniger und träger werden," sagt Knapp in seiner "Bauernbefreiung," dem
wir in der Schilderung dieses Abschnitts im wesentlichen gefolgt sind. So
waren die Übelstände längst unerträglich, als die Katastrophe von Jena herein¬
brach und durch ihre Folgen der Regierung endlich den Anstoß gab, die all¬
gemeine Bauernbefreiung auszusprechen.

Die Folgen der Befreiung waren für den Bauer: 1. der Gesindezwang
und die Frohndienste fielen weg. für alles bäuerliche Eigentum trat das freie
Erbrecht ein; 2. es erlosch die Pflicht des Gutsherrn zur Lieferung von Bau¬
holz, Erhaltung der Gebäude und Unterstützung bei Unglücksfällen und Mi߬
wachs; 3. der Bauer konnte frei verkaufen und fortgehen. Als Entschädigung
erhielt der Ritter ein Drittel des Bauernlandes, der Bauer behielt zwei Drittel
als freies Eigentum."") Der Staat gab durch Aufhebung des Vestiftnngs-
zwanges den Bauernschutz- auf, Gutsherr und Bauer traten gleichberechtigt
neben einander.

Wie immer, so kam natürlich auch hier die Gewährung der Rechtsgleich¬
heit dem Mächtigern zu gute, und es begann sofort der wirtschaftliche Kampf
um den Besitz des Landes. Die Folge dieses Kampfes war, daß von 1816
bis 1848 hunderttausend preußische Bauernhöfe verschwanden. Die dann noch
nicht abgelösten Bauern lösten sich unter staatlicher Vermittlung durch Renten¬
zahlungen, nicht mehr durch Landabtretung ab. Aber so lange die günstige
Marktkonjunktur dauerte, so lange dauerte auch die Verminderung des Bauern¬
landes. 1837 bis 1867 hat der zwischen dreißig und dreihundert Morgen
schwankende bäuerliche Besitz in den Provinzen Preußen und Westfalen fast um
drei Millionen Morgen oder acht Prozent seines Gesamtbestands abgenommen,
wovon wahrscheinlich die Hälfte vom Großgrundbesitz aufgesogen worden ist.
Der landwirtschaftliche Berichterstatter im Landesökonomiekvllegium hat 1883
diese Zahlen mit Recht haarsträubend genannt.

Wir haben gesehen, wie die zur Zeit bestehende Bodenverteilung ge¬
schichtlich entstanden ist. Wie aber der gegenwärtige Bestand durch zweck¬
mäßige und energische Anwendung politischer und wirtschaftlicher Macht-




*) Es galt allgemein für richtig, daß ein Tagelöhner so viel arbeitet wie zwei Bauern,
zehn Hofpferde so viel wie zweiunddreißig Bauernpferde. Der Fröhncrbetricb war also ganz un¬
wirtschaftlich geworden.
Nur bei den bestgestellten Bauer" wurde so geteilt, die weniger gut gestellten mußten
zwei Drittel abgeben.
Die ostdeutsche Landwirtschaft

nischen Fortschritten folgen zu können, löste sich das Rittergut mit staatlicher
Hilfe aus der Gemengelage; die Betriebsweise mit leibeignen Frohnern genügte
den neuen Anforderungen immer weniger.") Der Ritter trieb die schon durch
Absonderung des Landes gesteigerten Leistungen der Bauern so hoch, als es
dessen Kräfte zuließen. Natürlich war stets Zank und Streit über Ansprüche
und Leistungen. „Die Verfassung ließ den Bauer immer ärmer, stumpf¬
sinniger und träger werden," sagt Knapp in seiner „Bauernbefreiung," dem
wir in der Schilderung dieses Abschnitts im wesentlichen gefolgt sind. So
waren die Übelstände längst unerträglich, als die Katastrophe von Jena herein¬
brach und durch ihre Folgen der Regierung endlich den Anstoß gab, die all¬
gemeine Bauernbefreiung auszusprechen.

Die Folgen der Befreiung waren für den Bauer: 1. der Gesindezwang
und die Frohndienste fielen weg. für alles bäuerliche Eigentum trat das freie
Erbrecht ein; 2. es erlosch die Pflicht des Gutsherrn zur Lieferung von Bau¬
holz, Erhaltung der Gebäude und Unterstützung bei Unglücksfällen und Mi߬
wachs; 3. der Bauer konnte frei verkaufen und fortgehen. Als Entschädigung
erhielt der Ritter ein Drittel des Bauernlandes, der Bauer behielt zwei Drittel
als freies Eigentum."") Der Staat gab durch Aufhebung des Vestiftnngs-
zwanges den Bauernschutz- auf, Gutsherr und Bauer traten gleichberechtigt
neben einander.

Wie immer, so kam natürlich auch hier die Gewährung der Rechtsgleich¬
heit dem Mächtigern zu gute, und es begann sofort der wirtschaftliche Kampf
um den Besitz des Landes. Die Folge dieses Kampfes war, daß von 1816
bis 1848 hunderttausend preußische Bauernhöfe verschwanden. Die dann noch
nicht abgelösten Bauern lösten sich unter staatlicher Vermittlung durch Renten¬
zahlungen, nicht mehr durch Landabtretung ab. Aber so lange die günstige
Marktkonjunktur dauerte, so lange dauerte auch die Verminderung des Bauern¬
landes. 1837 bis 1867 hat der zwischen dreißig und dreihundert Morgen
schwankende bäuerliche Besitz in den Provinzen Preußen und Westfalen fast um
drei Millionen Morgen oder acht Prozent seines Gesamtbestands abgenommen,
wovon wahrscheinlich die Hälfte vom Großgrundbesitz aufgesogen worden ist.
Der landwirtschaftliche Berichterstatter im Landesökonomiekvllegium hat 1883
diese Zahlen mit Recht haarsträubend genannt.

Wir haben gesehen, wie die zur Zeit bestehende Bodenverteilung ge¬
schichtlich entstanden ist. Wie aber der gegenwärtige Bestand durch zweck¬
mäßige und energische Anwendung politischer und wirtschaftlicher Macht-




*) Es galt allgemein für richtig, daß ein Tagelöhner so viel arbeitet wie zwei Bauern,
zehn Hofpferde so viel wie zweiunddreißig Bauernpferde. Der Fröhncrbetricb war also ganz un¬
wirtschaftlich geworden.
Nur bei den bestgestellten Bauer» wurde so geteilt, die weniger gut gestellten mußten
zwei Drittel abgeben.
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[0366] Die ostdeutsche Landwirtschaft nischen Fortschritten folgen zu können, löste sich das Rittergut mit staatlicher Hilfe aus der Gemengelage; die Betriebsweise mit leibeignen Frohnern genügte den neuen Anforderungen immer weniger.") Der Ritter trieb die schon durch Absonderung des Landes gesteigerten Leistungen der Bauern so hoch, als es dessen Kräfte zuließen. Natürlich war stets Zank und Streit über Ansprüche und Leistungen. „Die Verfassung ließ den Bauer immer ärmer, stumpf¬ sinniger und träger werden," sagt Knapp in seiner „Bauernbefreiung," dem wir in der Schilderung dieses Abschnitts im wesentlichen gefolgt sind. So waren die Übelstände längst unerträglich, als die Katastrophe von Jena herein¬ brach und durch ihre Folgen der Regierung endlich den Anstoß gab, die all¬ gemeine Bauernbefreiung auszusprechen. Die Folgen der Befreiung waren für den Bauer: 1. der Gesindezwang und die Frohndienste fielen weg. für alles bäuerliche Eigentum trat das freie Erbrecht ein; 2. es erlosch die Pflicht des Gutsherrn zur Lieferung von Bau¬ holz, Erhaltung der Gebäude und Unterstützung bei Unglücksfällen und Mi߬ wachs; 3. der Bauer konnte frei verkaufen und fortgehen. Als Entschädigung erhielt der Ritter ein Drittel des Bauernlandes, der Bauer behielt zwei Drittel als freies Eigentum."") Der Staat gab durch Aufhebung des Vestiftnngs- zwanges den Bauernschutz- auf, Gutsherr und Bauer traten gleichberechtigt neben einander. Wie immer, so kam natürlich auch hier die Gewährung der Rechtsgleich¬ heit dem Mächtigern zu gute, und es begann sofort der wirtschaftliche Kampf um den Besitz des Landes. Die Folge dieses Kampfes war, daß von 1816 bis 1848 hunderttausend preußische Bauernhöfe verschwanden. Die dann noch nicht abgelösten Bauern lösten sich unter staatlicher Vermittlung durch Renten¬ zahlungen, nicht mehr durch Landabtretung ab. Aber so lange die günstige Marktkonjunktur dauerte, so lange dauerte auch die Verminderung des Bauern¬ landes. 1837 bis 1867 hat der zwischen dreißig und dreihundert Morgen schwankende bäuerliche Besitz in den Provinzen Preußen und Westfalen fast um drei Millionen Morgen oder acht Prozent seines Gesamtbestands abgenommen, wovon wahrscheinlich die Hälfte vom Großgrundbesitz aufgesogen worden ist. Der landwirtschaftliche Berichterstatter im Landesökonomiekvllegium hat 1883 diese Zahlen mit Recht haarsträubend genannt. Wir haben gesehen, wie die zur Zeit bestehende Bodenverteilung ge¬ schichtlich entstanden ist. Wie aber der gegenwärtige Bestand durch zweck¬ mäßige und energische Anwendung politischer und wirtschaftlicher Macht- *) Es galt allgemein für richtig, daß ein Tagelöhner so viel arbeitet wie zwei Bauern, zehn Hofpferde so viel wie zweiunddreißig Bauernpferde. Der Fröhncrbetricb war also ganz un¬ wirtschaftlich geworden. Nur bei den bestgestellten Bauer» wurde so geteilt, die weniger gut gestellten mußten zwei Drittel abgeben.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/366>, abgerufen am 23.07.2024.