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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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Die ostdeutsche Landwirtschaft

die Unterthanen geschont werden sollen, zu verwirklichen; daher Pflegen die
Vornehmsten im Lande die besten Äcker. Wiesen und Holzungen zu ihren Ritter¬
gütern und Vorwerken einzuziehen und das Land sogar frei von der darauf
ruhenden Kontribution (Grundsteuer) zu machen."

Diese wenigen Striche werden genügen, die in neuester Zeit mit Vorliebe
betonte Interessengemeinschaft der Rittergutsbesitzer und der Bauern in das
rechte Licht zu setzen. In Wahrheit hat der Ritter dem Bauer sein Land
genommen und ihn zum Leibeignen gemacht. Dann haben sich die preußischen
Könige der Unterdrückten angenommen und die Bewegung zum Stillstand ge¬
bracht. Da, wo sie sich am längsten und freiesten in "freier Entwicklung der
natürlichen Kräfte" ausleben konnte, in dem Regierungsbezirk Stralsund, dem
schwedischen Pommern, hat sie vier Fünftel alles Landes zu Rittergütern um¬
gewandelt.

Auch der freisinnigste Freisinn wird Carlyle darin zustimmen, daß Regieren
immer gut sei, wenn es weise ist, schlimm nur dann, wenn es nicht weise ist,
daß es aber ein verzweifelter Gedanke sei, das Regieren ganz aufzugeben. Nur
langsam gelang es den Anstrengungen der größten preußischen Könige, die
Reformen unter dem äußersten Widerstreben der Stände durchzusetzen. Noch
1725 erlangten diese den Gesindezwang für ihre "Unterthanen," dann kam es
zu.einem Stillstand, aber noch 1794 beanstandeten die Stände der Neumark
und Uckermark die Einführung des Allgemeinen Landrechts als einen Eingriff
in ihre Vorrechte.

Immerhin wurde viel erreicht. Die Reformen begannen bei den Domänen¬
bauern, und diese umfaßten ein Viertel bis ein Drittel aller Bauern. Bei der
Domänenwirtschaft wurden die Frohnden abgeschafft und Tagelöhnerbetrieb
eingeführt, der Domänenpächter mußte sich vertragsmäßig verpflichten, auf
Frohnarbeit und Gesindezwang zu verzichten. Der Bauer leistete Geldabgaben
statt Frohnarbeit. Auf den Rittergütern vermochte die Krone den Zustand nicht
zu andern, die landesherrliche Gewalt reichte nur bis zur Gutsherrschaft. Die
Gutsherren waren Vasallen des Königs, die Privatbauern ihre Privatuntcr-
thancn, noch nicht Staatsbürger. Das blieb auch so, aber der mehrfach an¬
geordnete, seit 1749 durchgeführte Bestiftungszwang verbietet dem Gutsherrn,
Bauernhöfe selbst zu bewirtschaften. Jedem Bauer konnte nach wie vor der
Hof genommen werden, aber an die Stelle des "abgemeierten" mußte ein
andrer Bauer kommen. Diese Maßregel steuerte der weitern Verminderung
des Bauernstandes und Banernlandes und trat der Vorstellung entgegen, als
ob der Ritter wirklicher Eigentümer des Landes aller seiner frohnpflichtigen
Bauern sei.

Nach dein siebenjährigen Kriege machte die Landwirtschaft große technische
Fortschritte, denen eine günstige Marktkonjunktur entgegenkam. Es mußte
mehr sür die Städte und für die Ausfuhr produzirt werden. Um den dech-


Die ostdeutsche Landwirtschaft

die Unterthanen geschont werden sollen, zu verwirklichen; daher Pflegen die
Vornehmsten im Lande die besten Äcker. Wiesen und Holzungen zu ihren Ritter¬
gütern und Vorwerken einzuziehen und das Land sogar frei von der darauf
ruhenden Kontribution (Grundsteuer) zu machen."

Diese wenigen Striche werden genügen, die in neuester Zeit mit Vorliebe
betonte Interessengemeinschaft der Rittergutsbesitzer und der Bauern in das
rechte Licht zu setzen. In Wahrheit hat der Ritter dem Bauer sein Land
genommen und ihn zum Leibeignen gemacht. Dann haben sich die preußischen
Könige der Unterdrückten angenommen und die Bewegung zum Stillstand ge¬
bracht. Da, wo sie sich am längsten und freiesten in „freier Entwicklung der
natürlichen Kräfte" ausleben konnte, in dem Regierungsbezirk Stralsund, dem
schwedischen Pommern, hat sie vier Fünftel alles Landes zu Rittergütern um¬
gewandelt.

Auch der freisinnigste Freisinn wird Carlyle darin zustimmen, daß Regieren
immer gut sei, wenn es weise ist, schlimm nur dann, wenn es nicht weise ist,
daß es aber ein verzweifelter Gedanke sei, das Regieren ganz aufzugeben. Nur
langsam gelang es den Anstrengungen der größten preußischen Könige, die
Reformen unter dem äußersten Widerstreben der Stände durchzusetzen. Noch
1725 erlangten diese den Gesindezwang für ihre „Unterthanen," dann kam es
zu.einem Stillstand, aber noch 1794 beanstandeten die Stände der Neumark
und Uckermark die Einführung des Allgemeinen Landrechts als einen Eingriff
in ihre Vorrechte.

Immerhin wurde viel erreicht. Die Reformen begannen bei den Domänen¬
bauern, und diese umfaßten ein Viertel bis ein Drittel aller Bauern. Bei der
Domänenwirtschaft wurden die Frohnden abgeschafft und Tagelöhnerbetrieb
eingeführt, der Domänenpächter mußte sich vertragsmäßig verpflichten, auf
Frohnarbeit und Gesindezwang zu verzichten. Der Bauer leistete Geldabgaben
statt Frohnarbeit. Auf den Rittergütern vermochte die Krone den Zustand nicht
zu andern, die landesherrliche Gewalt reichte nur bis zur Gutsherrschaft. Die
Gutsherren waren Vasallen des Königs, die Privatbauern ihre Privatuntcr-
thancn, noch nicht Staatsbürger. Das blieb auch so, aber der mehrfach an¬
geordnete, seit 1749 durchgeführte Bestiftungszwang verbietet dem Gutsherrn,
Bauernhöfe selbst zu bewirtschaften. Jedem Bauer konnte nach wie vor der
Hof genommen werden, aber an die Stelle des „abgemeierten" mußte ein
andrer Bauer kommen. Diese Maßregel steuerte der weitern Verminderung
des Bauernstandes und Banernlandes und trat der Vorstellung entgegen, als
ob der Ritter wirklicher Eigentümer des Landes aller seiner frohnpflichtigen
Bauern sei.

Nach dein siebenjährigen Kriege machte die Landwirtschaft große technische
Fortschritte, denen eine günstige Marktkonjunktur entgegenkam. Es mußte
mehr sür die Städte und für die Ausfuhr produzirt werden. Um den dech-


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[0365] Die ostdeutsche Landwirtschaft die Unterthanen geschont werden sollen, zu verwirklichen; daher Pflegen die Vornehmsten im Lande die besten Äcker. Wiesen und Holzungen zu ihren Ritter¬ gütern und Vorwerken einzuziehen und das Land sogar frei von der darauf ruhenden Kontribution (Grundsteuer) zu machen." Diese wenigen Striche werden genügen, die in neuester Zeit mit Vorliebe betonte Interessengemeinschaft der Rittergutsbesitzer und der Bauern in das rechte Licht zu setzen. In Wahrheit hat der Ritter dem Bauer sein Land genommen und ihn zum Leibeignen gemacht. Dann haben sich die preußischen Könige der Unterdrückten angenommen und die Bewegung zum Stillstand ge¬ bracht. Da, wo sie sich am längsten und freiesten in „freier Entwicklung der natürlichen Kräfte" ausleben konnte, in dem Regierungsbezirk Stralsund, dem schwedischen Pommern, hat sie vier Fünftel alles Landes zu Rittergütern um¬ gewandelt. Auch der freisinnigste Freisinn wird Carlyle darin zustimmen, daß Regieren immer gut sei, wenn es weise ist, schlimm nur dann, wenn es nicht weise ist, daß es aber ein verzweifelter Gedanke sei, das Regieren ganz aufzugeben. Nur langsam gelang es den Anstrengungen der größten preußischen Könige, die Reformen unter dem äußersten Widerstreben der Stände durchzusetzen. Noch 1725 erlangten diese den Gesindezwang für ihre „Unterthanen," dann kam es zu.einem Stillstand, aber noch 1794 beanstandeten die Stände der Neumark und Uckermark die Einführung des Allgemeinen Landrechts als einen Eingriff in ihre Vorrechte. Immerhin wurde viel erreicht. Die Reformen begannen bei den Domänen¬ bauern, und diese umfaßten ein Viertel bis ein Drittel aller Bauern. Bei der Domänenwirtschaft wurden die Frohnden abgeschafft und Tagelöhnerbetrieb eingeführt, der Domänenpächter mußte sich vertragsmäßig verpflichten, auf Frohnarbeit und Gesindezwang zu verzichten. Der Bauer leistete Geldabgaben statt Frohnarbeit. Auf den Rittergütern vermochte die Krone den Zustand nicht zu andern, die landesherrliche Gewalt reichte nur bis zur Gutsherrschaft. Die Gutsherren waren Vasallen des Königs, die Privatbauern ihre Privatuntcr- thancn, noch nicht Staatsbürger. Das blieb auch so, aber der mehrfach an¬ geordnete, seit 1749 durchgeführte Bestiftungszwang verbietet dem Gutsherrn, Bauernhöfe selbst zu bewirtschaften. Jedem Bauer konnte nach wie vor der Hof genommen werden, aber an die Stelle des „abgemeierten" mußte ein andrer Bauer kommen. Diese Maßregel steuerte der weitern Verminderung des Bauernstandes und Banernlandes und trat der Vorstellung entgegen, als ob der Ritter wirklicher Eigentümer des Landes aller seiner frohnpflichtigen Bauern sei. Nach dein siebenjährigen Kriege machte die Landwirtschaft große technische Fortschritte, denen eine günstige Marktkonjunktur entgegenkam. Es mußte mehr sür die Städte und für die Ausfuhr produzirt werden. Um den dech-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/365>, abgerufen am 23.07.2024.