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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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Die ostdeutsche Landwirtschaft

Auswcindrer ostwärts über die Elbe. Die Germanisirung dieser weiten Land¬
schaften ist mit Recht die Großthat des deutschen Volkes im Mittelalter ge¬
nannt worden. Alle Stände beteiligten sich daran in rühmlichem Wetteifer:
die Fürsten, die Kirche, die Ritter- und Mönchsorden, namentlich die Cister-
zienser, das weltliche Rittertum, Bürger und Bauern. Ein gewaltiger Wander¬
trieb war erwacht und führte die überschüssige Vevölkerurg Westeuropas teils
nach dem Morgenlande, teils in die slawischen Grenzlünder. Im Nordosten
vollzog sich die Germanisirung hauptsächlich durch die wirtschaftliche Ver¬
drängung der Slawen. In den Städten siegte der intelligentere und thätigere
deutsche Kaufmann und Handwerker, auf dem Lande arbeitete der deutsche
Bauer fleißiger und mehr als der Slawe. Da der Deutsche also auch mehr
Abgaben zahlen konnte als der Slawe, wurde er in jeder Weise vom Grund¬
herrn begünstigt. Die Überlegenheit der Rasse und der Kultur machte sich
auf alleu Gebieten geltend, es war eine thatenfrohe Zeit voll glänzender Er¬
folge. Der Bauer war völlig frei und saß auf eiuer drei- bis viermal so
großen Hufe als im Mutterlande, von deren Erträgen er an den Landesherrn
meist Naturalabgaben lieferte.

Das vierzehnte Jahrhundert bringt einen Umschwung. Es beginnt die
Entwicklung, die im Osten den Ritter zum gnädigen Herrn und Ritter¬
gutsbesitzer, den freien Bauer zum Leibeignen, seine Kinder zu Knechten und
Mügdcn der Herrschaft macht, während im rheinischen Deutschland der Adel
schon vor der Fürstenmacht zu sinken beginnt.

^. Die Entstehung des Ritterguts

In den Besiedlungsgebieten war der niedre Adel nicht allmählich wie der
Bürgerstand aus dem Bauernstande emporgestiegen, sondern er war von den
Markgrafen als Wehrstand ins Land gezogen und neben den Bauerschaften
angesiedelt worden. Die Ritter -- freie und Dienstmannen -- hatten zu ihrer
Ausstattung vier bis sechs Hufen erhalten (zweihundert bis dreihundert Morgen)
und waren von Steuern befreit worden. Auch lag es in der Natur der Dinge,
besonders in kriegerischen Zeitläuften, daß die Bauern dem Ritter bei der Be¬
stellung seines Ackers wie bei der Ernte behilflich waren. So waren die Ritter
von Haus aus weniger als der westliche Adel auf Bauernabgaben, dagegen
mehr auf Eigenwirtschaft mit Vauernhilfe angewiesen. Die eigentümlichen
Herrschaftsverhältnisse der Marken wurden auch für den weitern Gang ent¬
scheidend. Bei seiner Entfernung von dem Machtschwerpunkte des Reichs hatte
der Markgraf in seiner politisch und militärisch gefährdeten Lage eine viel
selbständigere Stellung als jeder andre Territorialfürst. Eroberungen und
Besiedlungen hatten sein Gebiet mehr und mehr vergrößert, und bald war es
das größte der deutscheu Teilfürstentümer geworden. Mit der wachsenden
Größe hatte aber die Macht im Innern nicht zugenommen; bei den dürftigen


Die ostdeutsche Landwirtschaft

Auswcindrer ostwärts über die Elbe. Die Germanisirung dieser weiten Land¬
schaften ist mit Recht die Großthat des deutschen Volkes im Mittelalter ge¬
nannt worden. Alle Stände beteiligten sich daran in rühmlichem Wetteifer:
die Fürsten, die Kirche, die Ritter- und Mönchsorden, namentlich die Cister-
zienser, das weltliche Rittertum, Bürger und Bauern. Ein gewaltiger Wander¬
trieb war erwacht und führte die überschüssige Vevölkerurg Westeuropas teils
nach dem Morgenlande, teils in die slawischen Grenzlünder. Im Nordosten
vollzog sich die Germanisirung hauptsächlich durch die wirtschaftliche Ver¬
drängung der Slawen. In den Städten siegte der intelligentere und thätigere
deutsche Kaufmann und Handwerker, auf dem Lande arbeitete der deutsche
Bauer fleißiger und mehr als der Slawe. Da der Deutsche also auch mehr
Abgaben zahlen konnte als der Slawe, wurde er in jeder Weise vom Grund¬
herrn begünstigt. Die Überlegenheit der Rasse und der Kultur machte sich
auf alleu Gebieten geltend, es war eine thatenfrohe Zeit voll glänzender Er¬
folge. Der Bauer war völlig frei und saß auf eiuer drei- bis viermal so
großen Hufe als im Mutterlande, von deren Erträgen er an den Landesherrn
meist Naturalabgaben lieferte.

Das vierzehnte Jahrhundert bringt einen Umschwung. Es beginnt die
Entwicklung, die im Osten den Ritter zum gnädigen Herrn und Ritter¬
gutsbesitzer, den freien Bauer zum Leibeignen, seine Kinder zu Knechten und
Mügdcn der Herrschaft macht, während im rheinischen Deutschland der Adel
schon vor der Fürstenmacht zu sinken beginnt.

^. Die Entstehung des Ritterguts

In den Besiedlungsgebieten war der niedre Adel nicht allmählich wie der
Bürgerstand aus dem Bauernstande emporgestiegen, sondern er war von den
Markgrafen als Wehrstand ins Land gezogen und neben den Bauerschaften
angesiedelt worden. Die Ritter — freie und Dienstmannen — hatten zu ihrer
Ausstattung vier bis sechs Hufen erhalten (zweihundert bis dreihundert Morgen)
und waren von Steuern befreit worden. Auch lag es in der Natur der Dinge,
besonders in kriegerischen Zeitläuften, daß die Bauern dem Ritter bei der Be¬
stellung seines Ackers wie bei der Ernte behilflich waren. So waren die Ritter
von Haus aus weniger als der westliche Adel auf Bauernabgaben, dagegen
mehr auf Eigenwirtschaft mit Vauernhilfe angewiesen. Die eigentümlichen
Herrschaftsverhältnisse der Marken wurden auch für den weitern Gang ent¬
scheidend. Bei seiner Entfernung von dem Machtschwerpunkte des Reichs hatte
der Markgraf in seiner politisch und militärisch gefährdeten Lage eine viel
selbständigere Stellung als jeder andre Territorialfürst. Eroberungen und
Besiedlungen hatten sein Gebiet mehr und mehr vergrößert, und bald war es
das größte der deutscheu Teilfürstentümer geworden. Mit der wachsenden
Größe hatte aber die Macht im Innern nicht zugenommen; bei den dürftigen


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[0362] Die ostdeutsche Landwirtschaft Auswcindrer ostwärts über die Elbe. Die Germanisirung dieser weiten Land¬ schaften ist mit Recht die Großthat des deutschen Volkes im Mittelalter ge¬ nannt worden. Alle Stände beteiligten sich daran in rühmlichem Wetteifer: die Fürsten, die Kirche, die Ritter- und Mönchsorden, namentlich die Cister- zienser, das weltliche Rittertum, Bürger und Bauern. Ein gewaltiger Wander¬ trieb war erwacht und führte die überschüssige Vevölkerurg Westeuropas teils nach dem Morgenlande, teils in die slawischen Grenzlünder. Im Nordosten vollzog sich die Germanisirung hauptsächlich durch die wirtschaftliche Ver¬ drängung der Slawen. In den Städten siegte der intelligentere und thätigere deutsche Kaufmann und Handwerker, auf dem Lande arbeitete der deutsche Bauer fleißiger und mehr als der Slawe. Da der Deutsche also auch mehr Abgaben zahlen konnte als der Slawe, wurde er in jeder Weise vom Grund¬ herrn begünstigt. Die Überlegenheit der Rasse und der Kultur machte sich auf alleu Gebieten geltend, es war eine thatenfrohe Zeit voll glänzender Er¬ folge. Der Bauer war völlig frei und saß auf eiuer drei- bis viermal so großen Hufe als im Mutterlande, von deren Erträgen er an den Landesherrn meist Naturalabgaben lieferte. Das vierzehnte Jahrhundert bringt einen Umschwung. Es beginnt die Entwicklung, die im Osten den Ritter zum gnädigen Herrn und Ritter¬ gutsbesitzer, den freien Bauer zum Leibeignen, seine Kinder zu Knechten und Mügdcn der Herrschaft macht, während im rheinischen Deutschland der Adel schon vor der Fürstenmacht zu sinken beginnt. ^. Die Entstehung des Ritterguts In den Besiedlungsgebieten war der niedre Adel nicht allmählich wie der Bürgerstand aus dem Bauernstande emporgestiegen, sondern er war von den Markgrafen als Wehrstand ins Land gezogen und neben den Bauerschaften angesiedelt worden. Die Ritter — freie und Dienstmannen — hatten zu ihrer Ausstattung vier bis sechs Hufen erhalten (zweihundert bis dreihundert Morgen) und waren von Steuern befreit worden. Auch lag es in der Natur der Dinge, besonders in kriegerischen Zeitläuften, daß die Bauern dem Ritter bei der Be¬ stellung seines Ackers wie bei der Ernte behilflich waren. So waren die Ritter von Haus aus weniger als der westliche Adel auf Bauernabgaben, dagegen mehr auf Eigenwirtschaft mit Vauernhilfe angewiesen. Die eigentümlichen Herrschaftsverhältnisse der Marken wurden auch für den weitern Gang ent¬ scheidend. Bei seiner Entfernung von dem Machtschwerpunkte des Reichs hatte der Markgraf in seiner politisch und militärisch gefährdeten Lage eine viel selbständigere Stellung als jeder andre Territorialfürst. Eroberungen und Besiedlungen hatten sein Gebiet mehr und mehr vergrößert, und bald war es das größte der deutscheu Teilfürstentümer geworden. Mit der wachsenden Größe hatte aber die Macht im Innern nicht zugenommen; bei den dürftigen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/362>, abgerufen am 23.07.2024.