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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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Die Memoiren von Paul Barras

allerwenigsten können wir uns die Auffassung zu eigen machen, nach der
die heroische Zeit der Republik mit Robespierres Tode abschließt und vou da
an mit dem Direktorium die Korruption beginnt, aus der erst Vonaparte den
Staat errettet, indem er die Gedanken Robespierres, des "Sündenbocks der
Revolution," verwirklicht. Wir dächten, die Meinung der Republikaner hätte
doch wohl auch etwas für sich, wonach das Direktorium zunächst wenigstens
die erste ruhige Zeit und den Anfang einer Besserung bedeutet hätte. Daun
kam Bonaparte und störte überall dnrch seine Intriguen die Entwicklung der
Dinge, und schließlich zerstörte er alles, sodaß keiner mehr sagen kann, was
ohne ihn aus den Dingen geworden wäre, und ob die Direktoraten mit ihrer
Geschichtsauffassung Recht behalten hätten oder nicht. Die Lektüre der Memoiren
ist gerade deswegen sür uns Deutsche so außerordentlich belehrend, weil wir
genötigt werden, uns für jedes einzelne wichtige Ereignis unser Urteil zwischen
diesen ganz entgegensetzten Auffassungen zu bilden. Außer den thatsächlichen
Berichten und den persönlichen Urteilen enthalten die Memoiren noch sehr viel
kultur- und sittcngeschichtlich interessantes, wofür der Charakter des Bericht¬
erstatters gleichgiltiger ist, sofern er nur die Gabe hat, zu beobachten. Diese aber
hat Barras, er hat sogar so viel Sinn für solche Einzelheiten, daß sein Kritiker
Duruy dabei uur vou Klatsch spricht. Aber das gehört mit zum Bilde, wie
der Leser sehen wird. Barras war dnrch seine übliche Vergangenheit besonders
dazu befähigt, die Feinheiten des Lebens zu schätzen, und daß er mitten in der
Revolution den kleinen Gegenständen seiner Neigung nachgeht, berührt uus
doch durch den Kontrast mit der allgemeinen Richtung der Zeit höchst merk¬
würdig. Also wie es damals in Wirklichkeit herging, das lernt man hier an
vielen zum Teil ganz neuen Beispielen, und seit Tocqueville und Taine hat
das Interesse an dem wirklichen Milieu der Revolutionszeit bei uns zu¬
genommen. Nicht gleichgiltig endlich ist die litterarische Beschaffenheit des
Berichtenden. Barras ist durchaus kein Büchermensch und am wenigsten
jemand, der durch Phrasen Stimmung machen möchte. Das Schriftwerk
macht ihm vielmehr Mühe, er schreibt grammatisch falsch und uuorthographisch,
wie die Generale der Revolution und die Marschülle Napoleons, denn die
Adlichen waren hierin nicht viel besser unterrichtet als die Emporkömmlinge.
Er ist zufrieden, wenn er seinen Sinn deutlich ausdrücken kann, er hat aber
manchen treffenden Ausdruck, der zeigt, daß ihm nicht die Begabung, sondern
die Ausbildung fehlt. Sein Freund de Saint Albin ist weit gebildeter. Dessen
Redaktion hatte viel glatt zu macheu, aber sie hat nicht entstellt; ohnehin war
die Stellung der beiden zu den Ereignissen und den Männern dieselbe.

Der erste Band (Arnim Regime, Revolution) geht bis zum Ende des
Konvents uach dem Siege der Direktoriumspartei am 13. Vendemiaire
(5. Oktober 1795). Die Mitteilungen über die Zeit vor dem Konvent sind
kurz. Er hat alles, was sich auf die Revolution bezieht, in Paris erlebt,


Die Memoiren von Paul Barras

allerwenigsten können wir uns die Auffassung zu eigen machen, nach der
die heroische Zeit der Republik mit Robespierres Tode abschließt und vou da
an mit dem Direktorium die Korruption beginnt, aus der erst Vonaparte den
Staat errettet, indem er die Gedanken Robespierres, des „Sündenbocks der
Revolution," verwirklicht. Wir dächten, die Meinung der Republikaner hätte
doch wohl auch etwas für sich, wonach das Direktorium zunächst wenigstens
die erste ruhige Zeit und den Anfang einer Besserung bedeutet hätte. Daun
kam Bonaparte und störte überall dnrch seine Intriguen die Entwicklung der
Dinge, und schließlich zerstörte er alles, sodaß keiner mehr sagen kann, was
ohne ihn aus den Dingen geworden wäre, und ob die Direktoraten mit ihrer
Geschichtsauffassung Recht behalten hätten oder nicht. Die Lektüre der Memoiren
ist gerade deswegen sür uns Deutsche so außerordentlich belehrend, weil wir
genötigt werden, uns für jedes einzelne wichtige Ereignis unser Urteil zwischen
diesen ganz entgegensetzten Auffassungen zu bilden. Außer den thatsächlichen
Berichten und den persönlichen Urteilen enthalten die Memoiren noch sehr viel
kultur- und sittcngeschichtlich interessantes, wofür der Charakter des Bericht¬
erstatters gleichgiltiger ist, sofern er nur die Gabe hat, zu beobachten. Diese aber
hat Barras, er hat sogar so viel Sinn für solche Einzelheiten, daß sein Kritiker
Duruy dabei uur vou Klatsch spricht. Aber das gehört mit zum Bilde, wie
der Leser sehen wird. Barras war dnrch seine übliche Vergangenheit besonders
dazu befähigt, die Feinheiten des Lebens zu schätzen, und daß er mitten in der
Revolution den kleinen Gegenständen seiner Neigung nachgeht, berührt uus
doch durch den Kontrast mit der allgemeinen Richtung der Zeit höchst merk¬
würdig. Also wie es damals in Wirklichkeit herging, das lernt man hier an
vielen zum Teil ganz neuen Beispielen, und seit Tocqueville und Taine hat
das Interesse an dem wirklichen Milieu der Revolutionszeit bei uns zu¬
genommen. Nicht gleichgiltig endlich ist die litterarische Beschaffenheit des
Berichtenden. Barras ist durchaus kein Büchermensch und am wenigsten
jemand, der durch Phrasen Stimmung machen möchte. Das Schriftwerk
macht ihm vielmehr Mühe, er schreibt grammatisch falsch und uuorthographisch,
wie die Generale der Revolution und die Marschülle Napoleons, denn die
Adlichen waren hierin nicht viel besser unterrichtet als die Emporkömmlinge.
Er ist zufrieden, wenn er seinen Sinn deutlich ausdrücken kann, er hat aber
manchen treffenden Ausdruck, der zeigt, daß ihm nicht die Begabung, sondern
die Ausbildung fehlt. Sein Freund de Saint Albin ist weit gebildeter. Dessen
Redaktion hatte viel glatt zu macheu, aber sie hat nicht entstellt; ohnehin war
die Stellung der beiden zu den Ereignissen und den Männern dieselbe.

Der erste Band (Arnim Regime, Revolution) geht bis zum Ende des
Konvents uach dem Siege der Direktoriumspartei am 13. Vendemiaire
(5. Oktober 1795). Die Mitteilungen über die Zeit vor dem Konvent sind
kurz. Er hat alles, was sich auf die Revolution bezieht, in Paris erlebt,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/34>, abgerufen am 23.07.2024.