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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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Aus den Denkwürdigkeiten zweier Runstforscher

freute sich im stillen über das verdutzte Gesicht seines Tischnachbarn, des
russischen Barons Budberg, der hier "einen ganz fremden antraf, der ohne
diplomatischen Rang doch alles wußte, was vor sich ging, und die halbe Welt
bereist hatte." Abends brachte er seine Zeit mit Freunden zu. "Dann vergaß
der Altans" seinen Zopf, der preußische Minister seine Uniform mit steifem
Kragen, Litteratur, Kunst, Klassiker und Politik wurden Gegenstände der Unter¬
haltung, und Männer, die den Tag über kaum Zeit zu einer Verbeugung
hatten, gingen nach zehn Uhr ganz aus sich heraus." Bei diesen der Außen¬
welt unbekannten späten Zusammenkünften entzückten ihn besonders.Morrier,
der später sehr bekannt gewordne englische Diplomat, ein "gewandter und
hinreißender Gesellschafter" (wir haben ja hinlänglich Gelegenheit gehabt, seine
Gewandtheit zu erfahren!), ferner Usedom, der jetzt in Berlin war und ihn
mit allen Mitteilungen versah, "der beste und fähigste Minister in Preußen,"
und Abeken, "ein grämlicher, häßlicher Quasimodo (wahr, aber wenig
schmeichelhaft!), aber voller Geist und die eigentliche Seele des Ministers
Schleinitz."

So geht es weiter, aber der Leser mag es selbst nachlesen. Wir begleiten
nun Crowe auf seinen fernern Reisen, nach Hannover, wo er Vennigsen trifft,
und wo ihn als Engländer der blinde König empfangen will: der General
von Brandis holt ihn ab zur Audienz , erführe aber, daß er keine Uniform
irgend welcher Art besitzt, worauf große Verlegenheit des Abgesandten
eintritt. Gleich darauf erhält Crowe die Mitteilung, daß "Seine Majestät
sehr bedauerten, aber unter diesen Umständen es vorzögen, mich nicht zu sehen."
Crowe besucht die Hansestädte, geht nach Karlsruhe zu Roggeubach, der bald
Minister werden sollte, verweilt wieder bei dem Herzog von Koburg und erlebt
gleich darnach den Ersatz des Ministers von Schleinitz durch den Fürsten von
Hohenzollern. Bismarck war schon ein Jahr vorher von Frankfurt nach
Petersburg gekommen, und der englische Beobachter giebt ihm noch seinen
Platz in einem kurzen Überblick über die nachfolgenden Ereignisse. Damit
schließt das Buch.

Als Crowe im März 1860 nach England zurückgekehrt war, hörte er von
Lord Rüssel zu seiner hohen Genugthuung, daß der Prinzgemahl über seine
Berichte bemerkt habe, sie seien "die Arbeit eines Mannes, der über deutsche
Angelegenheiten bewundernswürdig unterrichtet sei." Sie wurden für wichtig
genug augesehen, "um darnach die Politik der Regierung Ihrer Majestät zu
gestalten." Der Dank dafür war die Stelle in Leipzig, und so sah Crowe
endlich feinen frühgehegtcn Plan verwirklicht, sich eine Anstellung im öffent¬
lichen Dienste Englands zu erarbeiten. Gleich darauf heiratete er eine Deutsche,
die Stieftochter seines politischen Freundes Otto von Holtzendorff in Gotha,
der in zweiter Ehe mit ihrer Mutter verheiratet war, "der liebenswürdigsten
und gebildetsten Frau, die ich je das Glück hatte kennen zu lernen."


Aus den Denkwürdigkeiten zweier Runstforscher

freute sich im stillen über das verdutzte Gesicht seines Tischnachbarn, des
russischen Barons Budberg, der hier „einen ganz fremden antraf, der ohne
diplomatischen Rang doch alles wußte, was vor sich ging, und die halbe Welt
bereist hatte." Abends brachte er seine Zeit mit Freunden zu. „Dann vergaß
der Altans« seinen Zopf, der preußische Minister seine Uniform mit steifem
Kragen, Litteratur, Kunst, Klassiker und Politik wurden Gegenstände der Unter¬
haltung, und Männer, die den Tag über kaum Zeit zu einer Verbeugung
hatten, gingen nach zehn Uhr ganz aus sich heraus." Bei diesen der Außen¬
welt unbekannten späten Zusammenkünften entzückten ihn besonders.Morrier,
der später sehr bekannt gewordne englische Diplomat, ein „gewandter und
hinreißender Gesellschafter" (wir haben ja hinlänglich Gelegenheit gehabt, seine
Gewandtheit zu erfahren!), ferner Usedom, der jetzt in Berlin war und ihn
mit allen Mitteilungen versah, „der beste und fähigste Minister in Preußen,"
und Abeken, „ein grämlicher, häßlicher Quasimodo (wahr, aber wenig
schmeichelhaft!), aber voller Geist und die eigentliche Seele des Ministers
Schleinitz."

So geht es weiter, aber der Leser mag es selbst nachlesen. Wir begleiten
nun Crowe auf seinen fernern Reisen, nach Hannover, wo er Vennigsen trifft,
und wo ihn als Engländer der blinde König empfangen will: der General
von Brandis holt ihn ab zur Audienz , erführe aber, daß er keine Uniform
irgend welcher Art besitzt, worauf große Verlegenheit des Abgesandten
eintritt. Gleich darauf erhält Crowe die Mitteilung, daß „Seine Majestät
sehr bedauerten, aber unter diesen Umständen es vorzögen, mich nicht zu sehen."
Crowe besucht die Hansestädte, geht nach Karlsruhe zu Roggeubach, der bald
Minister werden sollte, verweilt wieder bei dem Herzog von Koburg und erlebt
gleich darnach den Ersatz des Ministers von Schleinitz durch den Fürsten von
Hohenzollern. Bismarck war schon ein Jahr vorher von Frankfurt nach
Petersburg gekommen, und der englische Beobachter giebt ihm noch seinen
Platz in einem kurzen Überblick über die nachfolgenden Ereignisse. Damit
schließt das Buch.

Als Crowe im März 1860 nach England zurückgekehrt war, hörte er von
Lord Rüssel zu seiner hohen Genugthuung, daß der Prinzgemahl über seine
Berichte bemerkt habe, sie seien „die Arbeit eines Mannes, der über deutsche
Angelegenheiten bewundernswürdig unterrichtet sei." Sie wurden für wichtig
genug augesehen, „um darnach die Politik der Regierung Ihrer Majestät zu
gestalten." Der Dank dafür war die Stelle in Leipzig, und so sah Crowe
endlich feinen frühgehegtcn Plan verwirklicht, sich eine Anstellung im öffent¬
lichen Dienste Englands zu erarbeiten. Gleich darauf heiratete er eine Deutsche,
die Stieftochter seines politischen Freundes Otto von Holtzendorff in Gotha,
der in zweiter Ehe mit ihrer Mutter verheiratet war, „der liebenswürdigsten
und gebildetsten Frau, die ich je das Glück hatte kennen zu lernen."


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[0338] Aus den Denkwürdigkeiten zweier Runstforscher freute sich im stillen über das verdutzte Gesicht seines Tischnachbarn, des russischen Barons Budberg, der hier „einen ganz fremden antraf, der ohne diplomatischen Rang doch alles wußte, was vor sich ging, und die halbe Welt bereist hatte." Abends brachte er seine Zeit mit Freunden zu. „Dann vergaß der Altans« seinen Zopf, der preußische Minister seine Uniform mit steifem Kragen, Litteratur, Kunst, Klassiker und Politik wurden Gegenstände der Unter¬ haltung, und Männer, die den Tag über kaum Zeit zu einer Verbeugung hatten, gingen nach zehn Uhr ganz aus sich heraus." Bei diesen der Außen¬ welt unbekannten späten Zusammenkünften entzückten ihn besonders.Morrier, der später sehr bekannt gewordne englische Diplomat, ein „gewandter und hinreißender Gesellschafter" (wir haben ja hinlänglich Gelegenheit gehabt, seine Gewandtheit zu erfahren!), ferner Usedom, der jetzt in Berlin war und ihn mit allen Mitteilungen versah, „der beste und fähigste Minister in Preußen," und Abeken, „ein grämlicher, häßlicher Quasimodo (wahr, aber wenig schmeichelhaft!), aber voller Geist und die eigentliche Seele des Ministers Schleinitz." So geht es weiter, aber der Leser mag es selbst nachlesen. Wir begleiten nun Crowe auf seinen fernern Reisen, nach Hannover, wo er Vennigsen trifft, und wo ihn als Engländer der blinde König empfangen will: der General von Brandis holt ihn ab zur Audienz , erführe aber, daß er keine Uniform irgend welcher Art besitzt, worauf große Verlegenheit des Abgesandten eintritt. Gleich darauf erhält Crowe die Mitteilung, daß „Seine Majestät sehr bedauerten, aber unter diesen Umständen es vorzögen, mich nicht zu sehen." Crowe besucht die Hansestädte, geht nach Karlsruhe zu Roggeubach, der bald Minister werden sollte, verweilt wieder bei dem Herzog von Koburg und erlebt gleich darnach den Ersatz des Ministers von Schleinitz durch den Fürsten von Hohenzollern. Bismarck war schon ein Jahr vorher von Frankfurt nach Petersburg gekommen, und der englische Beobachter giebt ihm noch seinen Platz in einem kurzen Überblick über die nachfolgenden Ereignisse. Damit schließt das Buch. Als Crowe im März 1860 nach England zurückgekehrt war, hörte er von Lord Rüssel zu seiner hohen Genugthuung, daß der Prinzgemahl über seine Berichte bemerkt habe, sie seien „die Arbeit eines Mannes, der über deutsche Angelegenheiten bewundernswürdig unterrichtet sei." Sie wurden für wichtig genug augesehen, „um darnach die Politik der Regierung Ihrer Majestät zu gestalten." Der Dank dafür war die Stelle in Leipzig, und so sah Crowe endlich feinen frühgehegtcn Plan verwirklicht, sich eine Anstellung im öffent¬ lichen Dienste Englands zu erarbeiten. Gleich darauf heiratete er eine Deutsche, die Stieftochter seines politischen Freundes Otto von Holtzendorff in Gotha, der in zweiter Ehe mit ihrer Mutter verheiratet war, „der liebenswürdigsten und gebildetsten Frau, die ich je das Glück hatte kennen zu lernen."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/338>, abgerufen am 23.07.2024.