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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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wir mittags nichts zu essen gehabt und wurden infolge des Hungers früh
munter. Um sechs oder sieben standen wir auf. Die Sonue schien hell, wir
zogen uns an und gingen auf die Straße und von da in die Parks. In
Kensington ruhten wir uns auf einer Bank aus und erfreuten uus an der
schönen Luft, als ein zerlumptes Individuum auf uus zukam und bat, wir
möchten uns seiner erbarmen, er hätte kein Frühstück gehabt. Ich sah Cavalea-
selle an und lachte bei dem Gedanken geradeheraus, wer von uns dreien
wohl am schlimmsten daran wäre. Doch an demselben Tage kam auch die
Besserung."

Er bekam Aufträge zu Flugschriften über öffentliche Arbeiten in Indien,
über die Wahlen in Frankreich und andre politische Gegenstände; das Honorar
dasür hielt ihn eine Zeit laug über Wasser. Aber bald kam auch wirkliche
Hilfe, der erste große Auftrag, der wenigstens ans längere Zeit den Unterhalt
sicherte. Im Herbst des Jahres begab er sich an Stelle Thackerays, der ab¬
gelehnt hatte, als Zeichner und Berichterstatter für die Jllustrated London News
auf den russisch-türkischen Kriegsschauplatz mit einem Gehalt von zehn Pfund
wöchentlich unter Ersatz aller Auslagen. Diesen Krieg hat er im englischen
Lager von seinem Anfange in der Türkei an bis zu seinem Ende auf der Krim
mitgemacht, und er hat seine Erlebnisse namentlich vor Sebastopol anschaulich
und ausführlich beschrieben. Aber nach zwei Jahren harter Arbeit, in der
er nicht selten sein Leben aufs Spiel hatte setze" müssen, fand er dennoch bei
seiner Rückkehr nach London bei seiner Zeitung nur noch einen einzigen kleinen
Auftrag und außerdem nur viele entschuldigende Reden, daß die Zeit so schlecht
sei, und sich nichts interessantes mehr ereigne. Im Frühling 1857 finden
wir ihn plötzlich in Indien, und zwar als Lehrer an einer Zeichenschule, da¬
neben aber auch als sehr thätigen politischen Korrespondenten auf eigne Hand.
Es war ja die Zeit des großen Aufstands. Kurz vor seiner Abreise nach
Indien war auch das Buch über die niederländischen Maler bei Murray er¬
schienen. Er hatte es zweimal auf Wunsch des Verlegers umarbeiten müssen.
Jetzt waren schon vor dem Erscheinen fünfhundert Exemplare bestellt, und bald
kritisirten die Zeitungen aller Richtungen das Werk, wie nicht anders zu er¬
warten war, aufs günstigste. Die Bedingungen waren die bekannten des halben
Gewinnanteils. Mr. Murrah weissagte, daß sie niemals einen Pfennig
zu teilen haben würden, und der Autor findet es, nachdem sechsunddreißig
Jahre verflossen sind, zu verwundern, daß Mr. Murrah es überhaupt heraus¬
gegeben hat. Man sieht daraus: so einfach und leicht, wie wir es uns denken,
ist es mit dem Bücher schreiben und verlaufen in England doch auch nicht.
Die Auseinandersetzungen des Verfassers über sein Verhältnis zu Cavalcaselle
entsprechen Wohl in der Hauptsache dem, was man bei uns in den Fachkreisen
darüber gewußt hat. Aber gern wird es jeder in der edeln Sprache selbst¬
bewußter Bescheidenheit noch einmal vernehmen.


wir mittags nichts zu essen gehabt und wurden infolge des Hungers früh
munter. Um sechs oder sieben standen wir auf. Die Sonue schien hell, wir
zogen uns an und gingen auf die Straße und von da in die Parks. In
Kensington ruhten wir uns auf einer Bank aus und erfreuten uus an der
schönen Luft, als ein zerlumptes Individuum auf uus zukam und bat, wir
möchten uns seiner erbarmen, er hätte kein Frühstück gehabt. Ich sah Cavalea-
selle an und lachte bei dem Gedanken geradeheraus, wer von uns dreien
wohl am schlimmsten daran wäre. Doch an demselben Tage kam auch die
Besserung."

Er bekam Aufträge zu Flugschriften über öffentliche Arbeiten in Indien,
über die Wahlen in Frankreich und andre politische Gegenstände; das Honorar
dasür hielt ihn eine Zeit laug über Wasser. Aber bald kam auch wirkliche
Hilfe, der erste große Auftrag, der wenigstens ans längere Zeit den Unterhalt
sicherte. Im Herbst des Jahres begab er sich an Stelle Thackerays, der ab¬
gelehnt hatte, als Zeichner und Berichterstatter für die Jllustrated London News
auf den russisch-türkischen Kriegsschauplatz mit einem Gehalt von zehn Pfund
wöchentlich unter Ersatz aller Auslagen. Diesen Krieg hat er im englischen
Lager von seinem Anfange in der Türkei an bis zu seinem Ende auf der Krim
mitgemacht, und er hat seine Erlebnisse namentlich vor Sebastopol anschaulich
und ausführlich beschrieben. Aber nach zwei Jahren harter Arbeit, in der
er nicht selten sein Leben aufs Spiel hatte setze» müssen, fand er dennoch bei
seiner Rückkehr nach London bei seiner Zeitung nur noch einen einzigen kleinen
Auftrag und außerdem nur viele entschuldigende Reden, daß die Zeit so schlecht
sei, und sich nichts interessantes mehr ereigne. Im Frühling 1857 finden
wir ihn plötzlich in Indien, und zwar als Lehrer an einer Zeichenschule, da¬
neben aber auch als sehr thätigen politischen Korrespondenten auf eigne Hand.
Es war ja die Zeit des großen Aufstands. Kurz vor seiner Abreise nach
Indien war auch das Buch über die niederländischen Maler bei Murray er¬
schienen. Er hatte es zweimal auf Wunsch des Verlegers umarbeiten müssen.
Jetzt waren schon vor dem Erscheinen fünfhundert Exemplare bestellt, und bald
kritisirten die Zeitungen aller Richtungen das Werk, wie nicht anders zu er¬
warten war, aufs günstigste. Die Bedingungen waren die bekannten des halben
Gewinnanteils. Mr. Murrah weissagte, daß sie niemals einen Pfennig
zu teilen haben würden, und der Autor findet es, nachdem sechsunddreißig
Jahre verflossen sind, zu verwundern, daß Mr. Murrah es überhaupt heraus¬
gegeben hat. Man sieht daraus: so einfach und leicht, wie wir es uns denken,
ist es mit dem Bücher schreiben und verlaufen in England doch auch nicht.
Die Auseinandersetzungen des Verfassers über sein Verhältnis zu Cavalcaselle
entsprechen Wohl in der Hauptsache dem, was man bei uns in den Fachkreisen
darüber gewußt hat. Aber gern wird es jeder in der edeln Sprache selbst¬
bewußter Bescheidenheit noch einmal vernehmen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/335>, abgerufen am 23.07.2024.