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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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Aus den Denkwürdigkeiten zweier Kunstforscher

seinen Fähigkeiten mehr gilt als der vorgeschriebne Weg. Aber das Buch
dürfte uns lehren, daß das doch so allgemein ausgesprochen nicht richtig ist,
und daß dazu ein Mann gehörte wie dieser, der auch in England nicht alle
Tage seinesgleichen findet. Der junge Crowe hatte vielerlei Verbindungen, in
der Politik und im Zeitungswesen z. B. schon durch seinen Vater, in der
Litteratur und im Kunstleben dnrch angesehene Männer, die er sich selbst zu
Gönnern gewonnen hatte, er war bekannt geworden mit Forster, Thackeray,
Eastlake, Scharf und mit den Besitzern einzelner großen Zeitungen, für die er
arbeitete. Von da aus fand er ganz auf eigne Hand Zutritt zu Diplomaten,
auch auswärtigen, wie dem preußischen Gesandten Bunsen, denen er mit Nach¬
richten öfter einen Dienst erweisen konnte. Aber soviel er auch leistete, und
so sehr er durch Leistungen, die uns bei seiner Jugend in Erstaunen setzen,
seiue Auftraggeber befriedigte, und so gut ihm auch in manchen einzelnen
Fällen gelohnt wurde: es reichte doch immer nur sür die allernächste Zeit,
dann saß er wieder auf dem Trocknen. Die Konkurrenz war groß, alles war
Geschäft des Augenblicks, nichts sicher, und außer den Launen des täglichen
Marktes trieb auch die Intrigue ihr Spiel.

Er hatte in diesen Jahren vielfach kleinere und größere Reisen in England
und auf dem Festlande gemacht, teils um sich zu bilden und von der Arbeit
zu erholen, teils aber auch zur Förderung seiner Geschäfte. Das Jahr 1852
war sehr arbeitsreich gewesen. Eine mit gutem Wochenlohne bezahlte Thätigkeit
am Globe schien eine dauernde Stellung zu versprechen: er schrieb Leitartikel
und hielt Wahlreden. Aber die liberale Politik und die Sache seines Kandi¬
daten hatten Erfolg, nur er nicht, und plötzlich wußte er, daß der Globe seiner
nicht mehr bedürfe. Warum, das erfuhr er so wenig, wie er wußte, auf
wessen Empfehlung ihm die Stellung angetragen worden war. So setzte er
denn mit dem Beginn des Jahres 1853 in halbverzweifelkr Stimmung und
auf ganz eigentümliche Weise seine Studien über die altflandrischen Maler
fort. Cavalcaselle, sein Neisekamerad von früher her, lebte in England; er
war in Italien politisch verdächtig und wäre bei einem Haar auf Radetzkys
Befehl erschossen worden. Er konnte deswegen auch nicht, wie er wünschte,
zu Ankäufen von Staats wegen in Italien gebraucht werden (wozu Sir Charles
Eastlake, wie man weiß, Otto Mnndler zu verwenden pflegte), wurde aber
später wenigstens dürftig durch Auftrüge zu Restaurationen und dergleichen
unterstützt, bis er zurückkehren konnte und sein eingezognes Gut von der neuen
Regierung wiedererhielt. Mit diesem seinem Freunde saß nun Crowe zusammen
in einem Zimmerchen von höchstens zwanzig Quadratfuß, in dem sich nur ein
Tisch und drei Stühle befanden. Morgens frühstückten sie Thee und Brot,
das Mittagessen und Abendbrot war unsicher. Ohne Feuer hielten sie sich
durch Decken warm. Aber eines Tages im Frühling 1853 war selbst der
Thee ausgegangen, und das Morgenbrötchen fehlte. "Tags vorher hatten


Aus den Denkwürdigkeiten zweier Kunstforscher

seinen Fähigkeiten mehr gilt als der vorgeschriebne Weg. Aber das Buch
dürfte uns lehren, daß das doch so allgemein ausgesprochen nicht richtig ist,
und daß dazu ein Mann gehörte wie dieser, der auch in England nicht alle
Tage seinesgleichen findet. Der junge Crowe hatte vielerlei Verbindungen, in
der Politik und im Zeitungswesen z. B. schon durch seinen Vater, in der
Litteratur und im Kunstleben dnrch angesehene Männer, die er sich selbst zu
Gönnern gewonnen hatte, er war bekannt geworden mit Forster, Thackeray,
Eastlake, Scharf und mit den Besitzern einzelner großen Zeitungen, für die er
arbeitete. Von da aus fand er ganz auf eigne Hand Zutritt zu Diplomaten,
auch auswärtigen, wie dem preußischen Gesandten Bunsen, denen er mit Nach¬
richten öfter einen Dienst erweisen konnte. Aber soviel er auch leistete, und
so sehr er durch Leistungen, die uns bei seiner Jugend in Erstaunen setzen,
seiue Auftraggeber befriedigte, und so gut ihm auch in manchen einzelnen
Fällen gelohnt wurde: es reichte doch immer nur sür die allernächste Zeit,
dann saß er wieder auf dem Trocknen. Die Konkurrenz war groß, alles war
Geschäft des Augenblicks, nichts sicher, und außer den Launen des täglichen
Marktes trieb auch die Intrigue ihr Spiel.

Er hatte in diesen Jahren vielfach kleinere und größere Reisen in England
und auf dem Festlande gemacht, teils um sich zu bilden und von der Arbeit
zu erholen, teils aber auch zur Förderung seiner Geschäfte. Das Jahr 1852
war sehr arbeitsreich gewesen. Eine mit gutem Wochenlohne bezahlte Thätigkeit
am Globe schien eine dauernde Stellung zu versprechen: er schrieb Leitartikel
und hielt Wahlreden. Aber die liberale Politik und die Sache seines Kandi¬
daten hatten Erfolg, nur er nicht, und plötzlich wußte er, daß der Globe seiner
nicht mehr bedürfe. Warum, das erfuhr er so wenig, wie er wußte, auf
wessen Empfehlung ihm die Stellung angetragen worden war. So setzte er
denn mit dem Beginn des Jahres 1853 in halbverzweifelkr Stimmung und
auf ganz eigentümliche Weise seine Studien über die altflandrischen Maler
fort. Cavalcaselle, sein Neisekamerad von früher her, lebte in England; er
war in Italien politisch verdächtig und wäre bei einem Haar auf Radetzkys
Befehl erschossen worden. Er konnte deswegen auch nicht, wie er wünschte,
zu Ankäufen von Staats wegen in Italien gebraucht werden (wozu Sir Charles
Eastlake, wie man weiß, Otto Mnndler zu verwenden pflegte), wurde aber
später wenigstens dürftig durch Auftrüge zu Restaurationen und dergleichen
unterstützt, bis er zurückkehren konnte und sein eingezognes Gut von der neuen
Regierung wiedererhielt. Mit diesem seinem Freunde saß nun Crowe zusammen
in einem Zimmerchen von höchstens zwanzig Quadratfuß, in dem sich nur ein
Tisch und drei Stühle befanden. Morgens frühstückten sie Thee und Brot,
das Mittagessen und Abendbrot war unsicher. Ohne Feuer hielten sie sich
durch Decken warm. Aber eines Tages im Frühling 1853 war selbst der
Thee ausgegangen, und das Morgenbrötchen fehlte. „Tags vorher hatten


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[0334] Aus den Denkwürdigkeiten zweier Kunstforscher seinen Fähigkeiten mehr gilt als der vorgeschriebne Weg. Aber das Buch dürfte uns lehren, daß das doch so allgemein ausgesprochen nicht richtig ist, und daß dazu ein Mann gehörte wie dieser, der auch in England nicht alle Tage seinesgleichen findet. Der junge Crowe hatte vielerlei Verbindungen, in der Politik und im Zeitungswesen z. B. schon durch seinen Vater, in der Litteratur und im Kunstleben dnrch angesehene Männer, die er sich selbst zu Gönnern gewonnen hatte, er war bekannt geworden mit Forster, Thackeray, Eastlake, Scharf und mit den Besitzern einzelner großen Zeitungen, für die er arbeitete. Von da aus fand er ganz auf eigne Hand Zutritt zu Diplomaten, auch auswärtigen, wie dem preußischen Gesandten Bunsen, denen er mit Nach¬ richten öfter einen Dienst erweisen konnte. Aber soviel er auch leistete, und so sehr er durch Leistungen, die uns bei seiner Jugend in Erstaunen setzen, seiue Auftraggeber befriedigte, und so gut ihm auch in manchen einzelnen Fällen gelohnt wurde: es reichte doch immer nur sür die allernächste Zeit, dann saß er wieder auf dem Trocknen. Die Konkurrenz war groß, alles war Geschäft des Augenblicks, nichts sicher, und außer den Launen des täglichen Marktes trieb auch die Intrigue ihr Spiel. Er hatte in diesen Jahren vielfach kleinere und größere Reisen in England und auf dem Festlande gemacht, teils um sich zu bilden und von der Arbeit zu erholen, teils aber auch zur Förderung seiner Geschäfte. Das Jahr 1852 war sehr arbeitsreich gewesen. Eine mit gutem Wochenlohne bezahlte Thätigkeit am Globe schien eine dauernde Stellung zu versprechen: er schrieb Leitartikel und hielt Wahlreden. Aber die liberale Politik und die Sache seines Kandi¬ daten hatten Erfolg, nur er nicht, und plötzlich wußte er, daß der Globe seiner nicht mehr bedürfe. Warum, das erfuhr er so wenig, wie er wußte, auf wessen Empfehlung ihm die Stellung angetragen worden war. So setzte er denn mit dem Beginn des Jahres 1853 in halbverzweifelkr Stimmung und auf ganz eigentümliche Weise seine Studien über die altflandrischen Maler fort. Cavalcaselle, sein Neisekamerad von früher her, lebte in England; er war in Italien politisch verdächtig und wäre bei einem Haar auf Radetzkys Befehl erschossen worden. Er konnte deswegen auch nicht, wie er wünschte, zu Ankäufen von Staats wegen in Italien gebraucht werden (wozu Sir Charles Eastlake, wie man weiß, Otto Mnndler zu verwenden pflegte), wurde aber später wenigstens dürftig durch Auftrüge zu Restaurationen und dergleichen unterstützt, bis er zurückkehren konnte und sein eingezognes Gut von der neuen Regierung wiedererhielt. Mit diesem seinem Freunde saß nun Crowe zusammen in einem Zimmerchen von höchstens zwanzig Quadratfuß, in dem sich nur ein Tisch und drei Stühle befanden. Morgens frühstückten sie Thee und Brot, das Mittagessen und Abendbrot war unsicher. Ohne Feuer hielten sie sich durch Decken warm. Aber eines Tages im Frühling 1853 war selbst der Thee ausgegangen, und das Morgenbrötchen fehlte. „Tags vorher hatten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/334>, abgerufen am 23.07.2024.