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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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München und Konstanz

In der freien Zeit, die ich von Anfang Februar bis zum 1. April hatte,
brachte ich täglich einige Stunden auf der Universitätsbibliothek zu. Ich
exzerpirte ein paar Bände der Pertzschen Nonumönw, was eine Thorheit war.
Denn um Spezialist für ältere deutsche Geschichte zu werden, war es zu spät
für mich, und soviel, als dazu gehört, deu Charakter jener Mönchslitteratur
kennen zu lernen, hatte ich schon früher gelesen. In den sechs Wochen Hütte
ich mir ein wenig allgemeine Litteratnrkenntnis erwerben und interessante
Sachen aus verschiednen Gebieten kennen lernen können, besonders da ich zum
Katalogsaal freien Zutritt hatte. Aber es gehört eben zu allem Schulung,
auch zur Benutzung einer Bibliothek, und die fehlte mir, da ich immer nur
für mich in dem herumgestümpert hatte, worauf mich die Umstände gerade
führten. Freilich hatte ich für jene Wahl einen besondern Beweggrund. Ich
arbeitete nämlich noch einiges für deu Merkur, um mir meinen Gehalt fürs
laufende Vierteljahr zu verdienen, insbesondre eine Reihe von Aufsätzen, die
von Ur. 32 ab unter dem Titel "Kirche und Schule" erschienen, und dazu
suchte ich denn Stoff in jenen Klostergeschichten. Ein paar Jahre lang schickte
ich dem Blatte dann noch Beiträge; gänzlich brach ich den Verkehr erst ab,
als ich auf die Feder angewiesen war. Wieder nach ein paar Jahren lud
mich aber ein Münchner Freund ein, die Arbeit gegen Honorar wieder auf¬
zunehmen, und so habe ich denn in den Jahren 1885 bis 1889 noch eine
Reihe von Aufsätzen geliefert.

Für die Abende blieb mir in der Zeit der Spannung, die zwischen den
Münchner Freunden und mir eingetreten war, nur die Familie Müller. Da
ich nicht gerade jeden Abend bei ihr zubringen wollte, ging ich manchmal in
die eine oder die andre Kneipe. Merkwürdigerweise habe ich das Hofbrüuhaus
niemals betreten, und mit dem vortrefflichen Regiewein des Ratskellers hat
mich der noch vortrefflichere Pfarrer Gatzenmeier, der die Zeit über in freund¬
schaftlichem Verkehr mit mir blieb, erst ein paar Tage vor meiner Abreise
bekannt gemacht. Einigemal war ich in einem Zirkus. Ich hatte von dem
bunten Volke und seinen Künsten seit meiner Knabenzeit nichts mehr gesehen
und fand nnn, daß die alten Römer keinen schlechten Geschmack gehabt Hütten,
wenn auch mein Wohlgefallen an der Sache nicht so weit reichte, daß ich
tagelang in der Bude hätte zubringen mögen. In die Oper ging ich nicht
mehr, weil ich nicht mehr in die Wolfsche Druckerei kam, deren Faktor mich
mit Karten für gute Plätze versorgt hatte. Das Schauspiel gehört zu den
Gebieten, die mir ganz verschlossen geblieben sind, und wenn ich von dem
Othello oder Hamlet des Herrn So und So lese, so denke ich mir gar
nichts darunter. Als Schulknabe habe ich eine Liebhabervorstellung, als
Gymnasiast ein von einer Truppe gespieltes Lustspiel gesehen. In der
Studenten- und Kaplanzeit haben mir Mittel und Umstände nicht mehr als
vier oder fünf Theaterbesuche erlaubt, und da habe ich, da ich die Musik


München und Konstanz

In der freien Zeit, die ich von Anfang Februar bis zum 1. April hatte,
brachte ich täglich einige Stunden auf der Universitätsbibliothek zu. Ich
exzerpirte ein paar Bände der Pertzschen Nonumönw, was eine Thorheit war.
Denn um Spezialist für ältere deutsche Geschichte zu werden, war es zu spät
für mich, und soviel, als dazu gehört, deu Charakter jener Mönchslitteratur
kennen zu lernen, hatte ich schon früher gelesen. In den sechs Wochen Hütte
ich mir ein wenig allgemeine Litteratnrkenntnis erwerben und interessante
Sachen aus verschiednen Gebieten kennen lernen können, besonders da ich zum
Katalogsaal freien Zutritt hatte. Aber es gehört eben zu allem Schulung,
auch zur Benutzung einer Bibliothek, und die fehlte mir, da ich immer nur
für mich in dem herumgestümpert hatte, worauf mich die Umstände gerade
führten. Freilich hatte ich für jene Wahl einen besondern Beweggrund. Ich
arbeitete nämlich noch einiges für deu Merkur, um mir meinen Gehalt fürs
laufende Vierteljahr zu verdienen, insbesondre eine Reihe von Aufsätzen, die
von Ur. 32 ab unter dem Titel „Kirche und Schule" erschienen, und dazu
suchte ich denn Stoff in jenen Klostergeschichten. Ein paar Jahre lang schickte
ich dem Blatte dann noch Beiträge; gänzlich brach ich den Verkehr erst ab,
als ich auf die Feder angewiesen war. Wieder nach ein paar Jahren lud
mich aber ein Münchner Freund ein, die Arbeit gegen Honorar wieder auf¬
zunehmen, und so habe ich denn in den Jahren 1885 bis 1889 noch eine
Reihe von Aufsätzen geliefert.

Für die Abende blieb mir in der Zeit der Spannung, die zwischen den
Münchner Freunden und mir eingetreten war, nur die Familie Müller. Da
ich nicht gerade jeden Abend bei ihr zubringen wollte, ging ich manchmal in
die eine oder die andre Kneipe. Merkwürdigerweise habe ich das Hofbrüuhaus
niemals betreten, und mit dem vortrefflichen Regiewein des Ratskellers hat
mich der noch vortrefflichere Pfarrer Gatzenmeier, der die Zeit über in freund¬
schaftlichem Verkehr mit mir blieb, erst ein paar Tage vor meiner Abreise
bekannt gemacht. Einigemal war ich in einem Zirkus. Ich hatte von dem
bunten Volke und seinen Künsten seit meiner Knabenzeit nichts mehr gesehen
und fand nnn, daß die alten Römer keinen schlechten Geschmack gehabt Hütten,
wenn auch mein Wohlgefallen an der Sache nicht so weit reichte, daß ich
tagelang in der Bude hätte zubringen mögen. In die Oper ging ich nicht
mehr, weil ich nicht mehr in die Wolfsche Druckerei kam, deren Faktor mich
mit Karten für gute Plätze versorgt hatte. Das Schauspiel gehört zu den
Gebieten, die mir ganz verschlossen geblieben sind, und wenn ich von dem
Othello oder Hamlet des Herrn So und So lese, so denke ich mir gar
nichts darunter. Als Schulknabe habe ich eine Liebhabervorstellung, als
Gymnasiast ein von einer Truppe gespieltes Lustspiel gesehen. In der
Studenten- und Kaplanzeit haben mir Mittel und Umstände nicht mehr als
vier oder fünf Theaterbesuche erlaubt, und da habe ich, da ich die Musik


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[0330] München und Konstanz In der freien Zeit, die ich von Anfang Februar bis zum 1. April hatte, brachte ich täglich einige Stunden auf der Universitätsbibliothek zu. Ich exzerpirte ein paar Bände der Pertzschen Nonumönw, was eine Thorheit war. Denn um Spezialist für ältere deutsche Geschichte zu werden, war es zu spät für mich, und soviel, als dazu gehört, deu Charakter jener Mönchslitteratur kennen zu lernen, hatte ich schon früher gelesen. In den sechs Wochen Hütte ich mir ein wenig allgemeine Litteratnrkenntnis erwerben und interessante Sachen aus verschiednen Gebieten kennen lernen können, besonders da ich zum Katalogsaal freien Zutritt hatte. Aber es gehört eben zu allem Schulung, auch zur Benutzung einer Bibliothek, und die fehlte mir, da ich immer nur für mich in dem herumgestümpert hatte, worauf mich die Umstände gerade führten. Freilich hatte ich für jene Wahl einen besondern Beweggrund. Ich arbeitete nämlich noch einiges für deu Merkur, um mir meinen Gehalt fürs laufende Vierteljahr zu verdienen, insbesondre eine Reihe von Aufsätzen, die von Ur. 32 ab unter dem Titel „Kirche und Schule" erschienen, und dazu suchte ich denn Stoff in jenen Klostergeschichten. Ein paar Jahre lang schickte ich dem Blatte dann noch Beiträge; gänzlich brach ich den Verkehr erst ab, als ich auf die Feder angewiesen war. Wieder nach ein paar Jahren lud mich aber ein Münchner Freund ein, die Arbeit gegen Honorar wieder auf¬ zunehmen, und so habe ich denn in den Jahren 1885 bis 1889 noch eine Reihe von Aufsätzen geliefert. Für die Abende blieb mir in der Zeit der Spannung, die zwischen den Münchner Freunden und mir eingetreten war, nur die Familie Müller. Da ich nicht gerade jeden Abend bei ihr zubringen wollte, ging ich manchmal in die eine oder die andre Kneipe. Merkwürdigerweise habe ich das Hofbrüuhaus niemals betreten, und mit dem vortrefflichen Regiewein des Ratskellers hat mich der noch vortrefflichere Pfarrer Gatzenmeier, der die Zeit über in freund¬ schaftlichem Verkehr mit mir blieb, erst ein paar Tage vor meiner Abreise bekannt gemacht. Einigemal war ich in einem Zirkus. Ich hatte von dem bunten Volke und seinen Künsten seit meiner Knabenzeit nichts mehr gesehen und fand nnn, daß die alten Römer keinen schlechten Geschmack gehabt Hütten, wenn auch mein Wohlgefallen an der Sache nicht so weit reichte, daß ich tagelang in der Bude hätte zubringen mögen. In die Oper ging ich nicht mehr, weil ich nicht mehr in die Wolfsche Druckerei kam, deren Faktor mich mit Karten für gute Plätze versorgt hatte. Das Schauspiel gehört zu den Gebieten, die mir ganz verschlossen geblieben sind, und wenn ich von dem Othello oder Hamlet des Herrn So und So lese, so denke ich mir gar nichts darunter. Als Schulknabe habe ich eine Liebhabervorstellung, als Gymnasiast ein von einer Truppe gespieltes Lustspiel gesehen. In der Studenten- und Kaplanzeit haben mir Mittel und Umstände nicht mehr als vier oder fünf Theaterbesuche erlaubt, und da habe ich, da ich die Musik

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/330>, abgerufen am 23.07.2024.