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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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München und Konstanz

sich ja schon durch das Format des Papiers als Privatschreiben angekündigt.
Darauf wurde entgegnet, ich hätte auch vorher schon ein paarmal für amtliche
Sachen gewöhnliches Briefpapier genommen. Das war richtig. Es war
nämlich in altkatholischeu Kreisen so viel gegen alles büreaukratische Wesen in
der Kirche, gegen die Auffassung der Kirche als eines dem Staate ähnlichen
Rechtsinstituts und gegen den "Würdenkult" geeifert worden, und man hatte
so unablässig gefordert, daß in der Kirche alle nur Brüder sein, einander als
Brüder behandeln und im Wechselverkehr keinen andern Grundsatz zur Geltung
bringen sollten als die Liebe, daß ich die Bonner Herren zu beleidigen fürchtete,
wenn ich mich büreaukratischer Formen bediente. In diesen Formen war ich
durch langjährigen Verkehr mit Behörden leidlich geübt und wußte genau,
was sich für eine jede schickt. Aber wenn eine Behörde nicht so recht weiß,
ob sie sich als Behörde im Sinne des neunzehnten Jahrhunderts oder als
apostolische Brüderschaft geben soll, so ist man übel daran mit ihr, denn man
weiß nicht recht, wie man sich zu ihr stellen soll. Zuletzt setzt sich doch das
Zeitgemäße gebieterisch durch, und man hat einen neuen Beweis dafür, daß
der erste Schritt zur Verwirklichung der Idee der Abfall von ihr sein muß.
Das altkatholische Kirchenwesen bewegt sich heute wie jedes andre Kirchenwesen
in den juristisch-bürokratischen Bahnen aller gesetzlich anerkannten Körper¬
schaften. Die Kanzlei, Registratur und Kassenverwaltung der Altkatholiken¬
gemeinschaft sind klein und einfach, weil sie selbst klein ist, aber wenn sie so viel
Millionen Mitglieder zählte, wie sie jetzt Tausende zählt, so würde das alles
so groß, verwickelt, ungemütlich und unapostolisch sein wie in der römischen
Kirche. Leider konnte ich in jenen Tagen nicht mit dem Vorsitzenden des
Komitees, dem Professor Cornelius sprechen, der mit seiner großen Ruhe und
Rechtschaffenheit die Sache wohl ins gleiche gebracht Hütte -- er war durch
einen Trauerfall in seiner Familie in Anspruch genommen. So führte denn
das Münchner Komitee den Bonner Auftrag, mir die Erlaubnis zur Aus¬
übung geistlicher Amtshandlungen und die Redaktion des Deutschen Merkur
zu entziehen, einfach aus, und es blieb mir nichts weiter übrig, als mich von
den Bonner Herren zu verabschieden; es geschah das in einem umfangreichen
Schriftstück, dessen hervorragendste Tugend die Liebenswürdigkeit wohl nicht
gewesen sein wird.

Die Bonner Behörde hatte allerdings in diesem Falle insofern alles
büreaukratische, juristische und kanonische verschmäht, als sie die förmliche
susvsnsio all ollleio se bsnölleio*) verhängt hatte ohne Verhör und Unter¬
suchung, ohne jede Spur von so etwas wie Prozeßformen. So kurz war doch
das Breslauer Generalvikariatamt bei weitem nicht verfahren, obwohl es die



Dieser Ausdruck kam freilich in dem amtlichen Schreiben nicht vor, aber es war doch
genau dasselbe.
München und Konstanz

sich ja schon durch das Format des Papiers als Privatschreiben angekündigt.
Darauf wurde entgegnet, ich hätte auch vorher schon ein paarmal für amtliche
Sachen gewöhnliches Briefpapier genommen. Das war richtig. Es war
nämlich in altkatholischeu Kreisen so viel gegen alles büreaukratische Wesen in
der Kirche, gegen die Auffassung der Kirche als eines dem Staate ähnlichen
Rechtsinstituts und gegen den „Würdenkult" geeifert worden, und man hatte
so unablässig gefordert, daß in der Kirche alle nur Brüder sein, einander als
Brüder behandeln und im Wechselverkehr keinen andern Grundsatz zur Geltung
bringen sollten als die Liebe, daß ich die Bonner Herren zu beleidigen fürchtete,
wenn ich mich büreaukratischer Formen bediente. In diesen Formen war ich
durch langjährigen Verkehr mit Behörden leidlich geübt und wußte genau,
was sich für eine jede schickt. Aber wenn eine Behörde nicht so recht weiß,
ob sie sich als Behörde im Sinne des neunzehnten Jahrhunderts oder als
apostolische Brüderschaft geben soll, so ist man übel daran mit ihr, denn man
weiß nicht recht, wie man sich zu ihr stellen soll. Zuletzt setzt sich doch das
Zeitgemäße gebieterisch durch, und man hat einen neuen Beweis dafür, daß
der erste Schritt zur Verwirklichung der Idee der Abfall von ihr sein muß.
Das altkatholische Kirchenwesen bewegt sich heute wie jedes andre Kirchenwesen
in den juristisch-bürokratischen Bahnen aller gesetzlich anerkannten Körper¬
schaften. Die Kanzlei, Registratur und Kassenverwaltung der Altkatholiken¬
gemeinschaft sind klein und einfach, weil sie selbst klein ist, aber wenn sie so viel
Millionen Mitglieder zählte, wie sie jetzt Tausende zählt, so würde das alles
so groß, verwickelt, ungemütlich und unapostolisch sein wie in der römischen
Kirche. Leider konnte ich in jenen Tagen nicht mit dem Vorsitzenden des
Komitees, dem Professor Cornelius sprechen, der mit seiner großen Ruhe und
Rechtschaffenheit die Sache wohl ins gleiche gebracht Hütte — er war durch
einen Trauerfall in seiner Familie in Anspruch genommen. So führte denn
das Münchner Komitee den Bonner Auftrag, mir die Erlaubnis zur Aus¬
übung geistlicher Amtshandlungen und die Redaktion des Deutschen Merkur
zu entziehen, einfach aus, und es blieb mir nichts weiter übrig, als mich von
den Bonner Herren zu verabschieden; es geschah das in einem umfangreichen
Schriftstück, dessen hervorragendste Tugend die Liebenswürdigkeit wohl nicht
gewesen sein wird.

Die Bonner Behörde hatte allerdings in diesem Falle insofern alles
büreaukratische, juristische und kanonische verschmäht, als sie die förmliche
susvsnsio all ollleio se bsnölleio*) verhängt hatte ohne Verhör und Unter¬
suchung, ohne jede Spur von so etwas wie Prozeßformen. So kurz war doch
das Breslauer Generalvikariatamt bei weitem nicht verfahren, obwohl es die



Dieser Ausdruck kam freilich in dem amtlichen Schreiben nicht vor, aber es war doch
genau dasselbe.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/328>, abgerufen am 23.07.2024.