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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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München und Konstanz

kehren, übrigens würde ich jedenfalls von ein paar Vorstandsmitgliedern auf
dem Bahnhof abgeholt werden. Ich kam Sonnabend Nachmittag in Erlangen
an; niemand war auf dem Bahnhof, niemand in der Blauen Glocke. Ich
bestellte mir Feuer, machte einen Spaziergang in die ziemlich verschneite
Umgebung der Stadt, überlegte hierauf in meinem Zimmer ein wenig die
Predigt und ging dann zum Abendessen. Während ich dabei saß, kam ein
halbes Dutzend Herren herein. "Also hier sind Sie? Wir haben Sie überall
gesucht! Im Walfisch haben wir Ihnen ein so schönes Zimmer heizen lassen!"
Habe keine Ahnung gehabt, daß es hier einen Walfisch giebt, erwiderte ich.
Es waren übrigens sehr angenehme Leute, und der Abend verfloß in lebhafter
Unterhaltung ganz gemütlich. Die Herren begleiteten mich in mein behaglich
durchwärmtes Zimmer, das ihnen aber gar nicht gefiel. Sie riefen den Wirt,
schalten ihn, daß er mir ein so schlechtes Zimmer gegeben habe, und forderten
das beste im Hause. Aller Proteste ungeachtet wurde ich in einen großen eis¬
kalten Saal geführt und bekam ein eiskaltes Bett angewiesen, in dem ich mich
so erkältete, daß ich in der Nacht aufstehen mußte; ich hatte über einen offnen
Balkon zu gehen, was die Sache nicht eben verbesserte. Doch traten die
schlimmsten Wirkungen der Erkältung erst ein paar Tage später ein, sodaß
der Gottesdienst und das Mittagessen in einer sehr angenehmen Juristenfamilie
(ich weiß nicht mehr, ob der Herr Rechtsanwalt oder Richter war) noch leidlich
ablief. Es wurde ausgemacht, daß ich am Weihnachtsheiligentage wieder in
Erlangen und am zweiten Feiertage in Nürnberg den Gottesdienst abhalten
sollte, und daß man sich dann entscheiden würde; es habe sich nämlich mittler¬
weile noch ein zweiter Bewerber gemeldet. Da konnte ich mir freilich keine
große Hoffnung mehr machen, denn es war vorauszusehen, daß man dem
Schwerhörigen den andern vorziehen würde, wenn dieser nicht an andern
schlimmen Mängeln litte. Die Folgen der Erkältung, Katarrh usw., waren
noch nicht ganz überwunden, als ich am Heiligen Abend zu Mittag von der
Arbeit weg, wegen der ich diesmal einen spätern Zug benutzen mußte, auf den
Bahnhof rannte. Ich kam ziemlich spät am Abend an, zum augenscheinlichen
Verdruß des Personals im Walfisch, wo ich natürlich einkehrte, und fand in
einem eiskalten Zimmer Gelegenheit, meinen weichenden Katarrh aufzufrischen.
Gott, hieß es am andern Morgen, wir hatten Ihnen ja in der Blauen Glocke
ein Zimmer heizen lassen! So nebenbei erfuhr ich, daß man sich wohl für
den andern Bewerber entscheiden würde. In Nürnberg hielt ich am zweiten
Feiertage bloß Gottesdienst, ohne mit einem der Vorsteher zu sprechen. In
der Stimmung, die sich aus diesen Umständen und Erlebnissen ergab, hatte
ich an meinen alten Gönner, den Oberregierungsrat P. in Liegnitz, zu schreiben
aus Anlaß des Todes unsers beiderseitigen Freundes, des Schulrath A.. und
da fragte ich denn bei der Gelegenheit an, ob ich wohl Aussicht auf eine
evangelische Pfarrstelle haben würde, wenn ich um eine solche einkäme. Un-


München und Konstanz

kehren, übrigens würde ich jedenfalls von ein paar Vorstandsmitgliedern auf
dem Bahnhof abgeholt werden. Ich kam Sonnabend Nachmittag in Erlangen
an; niemand war auf dem Bahnhof, niemand in der Blauen Glocke. Ich
bestellte mir Feuer, machte einen Spaziergang in die ziemlich verschneite
Umgebung der Stadt, überlegte hierauf in meinem Zimmer ein wenig die
Predigt und ging dann zum Abendessen. Während ich dabei saß, kam ein
halbes Dutzend Herren herein. „Also hier sind Sie? Wir haben Sie überall
gesucht! Im Walfisch haben wir Ihnen ein so schönes Zimmer heizen lassen!"
Habe keine Ahnung gehabt, daß es hier einen Walfisch giebt, erwiderte ich.
Es waren übrigens sehr angenehme Leute, und der Abend verfloß in lebhafter
Unterhaltung ganz gemütlich. Die Herren begleiteten mich in mein behaglich
durchwärmtes Zimmer, das ihnen aber gar nicht gefiel. Sie riefen den Wirt,
schalten ihn, daß er mir ein so schlechtes Zimmer gegeben habe, und forderten
das beste im Hause. Aller Proteste ungeachtet wurde ich in einen großen eis¬
kalten Saal geführt und bekam ein eiskaltes Bett angewiesen, in dem ich mich
so erkältete, daß ich in der Nacht aufstehen mußte; ich hatte über einen offnen
Balkon zu gehen, was die Sache nicht eben verbesserte. Doch traten die
schlimmsten Wirkungen der Erkältung erst ein paar Tage später ein, sodaß
der Gottesdienst und das Mittagessen in einer sehr angenehmen Juristenfamilie
(ich weiß nicht mehr, ob der Herr Rechtsanwalt oder Richter war) noch leidlich
ablief. Es wurde ausgemacht, daß ich am Weihnachtsheiligentage wieder in
Erlangen und am zweiten Feiertage in Nürnberg den Gottesdienst abhalten
sollte, und daß man sich dann entscheiden würde; es habe sich nämlich mittler¬
weile noch ein zweiter Bewerber gemeldet. Da konnte ich mir freilich keine
große Hoffnung mehr machen, denn es war vorauszusehen, daß man dem
Schwerhörigen den andern vorziehen würde, wenn dieser nicht an andern
schlimmen Mängeln litte. Die Folgen der Erkältung, Katarrh usw., waren
noch nicht ganz überwunden, als ich am Heiligen Abend zu Mittag von der
Arbeit weg, wegen der ich diesmal einen spätern Zug benutzen mußte, auf den
Bahnhof rannte. Ich kam ziemlich spät am Abend an, zum augenscheinlichen
Verdruß des Personals im Walfisch, wo ich natürlich einkehrte, und fand in
einem eiskalten Zimmer Gelegenheit, meinen weichenden Katarrh aufzufrischen.
Gott, hieß es am andern Morgen, wir hatten Ihnen ja in der Blauen Glocke
ein Zimmer heizen lassen! So nebenbei erfuhr ich, daß man sich wohl für
den andern Bewerber entscheiden würde. In Nürnberg hielt ich am zweiten
Feiertage bloß Gottesdienst, ohne mit einem der Vorsteher zu sprechen. In
der Stimmung, die sich aus diesen Umständen und Erlebnissen ergab, hatte
ich an meinen alten Gönner, den Oberregierungsrat P. in Liegnitz, zu schreiben
aus Anlaß des Todes unsers beiderseitigen Freundes, des Schulrath A.. und
da fragte ich denn bei der Gelegenheit an, ob ich wohl Aussicht auf eine
evangelische Pfarrstelle haben würde, wenn ich um eine solche einkäme. Un-


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[0326] München und Konstanz kehren, übrigens würde ich jedenfalls von ein paar Vorstandsmitgliedern auf dem Bahnhof abgeholt werden. Ich kam Sonnabend Nachmittag in Erlangen an; niemand war auf dem Bahnhof, niemand in der Blauen Glocke. Ich bestellte mir Feuer, machte einen Spaziergang in die ziemlich verschneite Umgebung der Stadt, überlegte hierauf in meinem Zimmer ein wenig die Predigt und ging dann zum Abendessen. Während ich dabei saß, kam ein halbes Dutzend Herren herein. „Also hier sind Sie? Wir haben Sie überall gesucht! Im Walfisch haben wir Ihnen ein so schönes Zimmer heizen lassen!" Habe keine Ahnung gehabt, daß es hier einen Walfisch giebt, erwiderte ich. Es waren übrigens sehr angenehme Leute, und der Abend verfloß in lebhafter Unterhaltung ganz gemütlich. Die Herren begleiteten mich in mein behaglich durchwärmtes Zimmer, das ihnen aber gar nicht gefiel. Sie riefen den Wirt, schalten ihn, daß er mir ein so schlechtes Zimmer gegeben habe, und forderten das beste im Hause. Aller Proteste ungeachtet wurde ich in einen großen eis¬ kalten Saal geführt und bekam ein eiskaltes Bett angewiesen, in dem ich mich so erkältete, daß ich in der Nacht aufstehen mußte; ich hatte über einen offnen Balkon zu gehen, was die Sache nicht eben verbesserte. Doch traten die schlimmsten Wirkungen der Erkältung erst ein paar Tage später ein, sodaß der Gottesdienst und das Mittagessen in einer sehr angenehmen Juristenfamilie (ich weiß nicht mehr, ob der Herr Rechtsanwalt oder Richter war) noch leidlich ablief. Es wurde ausgemacht, daß ich am Weihnachtsheiligentage wieder in Erlangen und am zweiten Feiertage in Nürnberg den Gottesdienst abhalten sollte, und daß man sich dann entscheiden würde; es habe sich nämlich mittler¬ weile noch ein zweiter Bewerber gemeldet. Da konnte ich mir freilich keine große Hoffnung mehr machen, denn es war vorauszusehen, daß man dem Schwerhörigen den andern vorziehen würde, wenn dieser nicht an andern schlimmen Mängeln litte. Die Folgen der Erkältung, Katarrh usw., waren noch nicht ganz überwunden, als ich am Heiligen Abend zu Mittag von der Arbeit weg, wegen der ich diesmal einen spätern Zug benutzen mußte, auf den Bahnhof rannte. Ich kam ziemlich spät am Abend an, zum augenscheinlichen Verdruß des Personals im Walfisch, wo ich natürlich einkehrte, und fand in einem eiskalten Zimmer Gelegenheit, meinen weichenden Katarrh aufzufrischen. Gott, hieß es am andern Morgen, wir hatten Ihnen ja in der Blauen Glocke ein Zimmer heizen lassen! So nebenbei erfuhr ich, daß man sich wohl für den andern Bewerber entscheiden würde. In Nürnberg hielt ich am zweiten Feiertage bloß Gottesdienst, ohne mit einem der Vorsteher zu sprechen. In der Stimmung, die sich aus diesen Umständen und Erlebnissen ergab, hatte ich an meinen alten Gönner, den Oberregierungsrat P. in Liegnitz, zu schreiben aus Anlaß des Todes unsers beiderseitigen Freundes, des Schulrath A.. und da fragte ich denn bei der Gelegenheit an, ob ich wohl Aussicht auf eine evangelische Pfarrstelle haben würde, wenn ich um eine solche einkäme. Un-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/326>, abgerufen am 23.07.2024.