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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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Das Dreiklassenwahlsystem

zur Annahme geführt haben, würden nur aus den Akten der Rheinischen Stände
oder des Staatsministeriums zu ersehen sein, sie werden aber wohl dieselben
gewesen sein, die dann mit Erlaß der Verfassung zur Annahme desselben Wahl¬
systems für die Wahlen zur zweiten Kammer geführt haben und in der
Motivirung der betreffenden Vorlagen dargelegt worden sind.

In der deutschen Bundesakte war die Einführung landständischer Ver¬
fassungen in allen deutschen Bundesstaaten zugesagt, und die Regierungen der
kleinern deutschen Staaten hatten sich mehr oder weniger beeilt, diese Zusage
zu erfüllen. In Preußen, wo sich freilich die große Masse des Volks durch
das patriarchalisch-absolutistische Regierungssystem kaum bedrückt fühlte, wurde
erst im Jahre 1847 durch Bildung des Vereinigten Landtags ein Schritt in
dieser Richtung gethan und dann infolge der revolutionären Ereignisse des
Jahres 1848 eine konstitutionelle Verfassung gegeben. Zunächst kamen unter
Zuziehung des Vereinigten Landtags die Verordnung vom 6. April 1848 über
einige Grundlagen der künftigen preußischen Verfassung und das Wahlgesetz
vom 8. April 1348 für die zur Vereinbarung der preußischen Staatspcr-
fassung zu berufenden Versammlung zu stände. Dieser "Nationalversammlung"
wurde dann der Entwurf eines Verfassungsgesetzes für den preußischen Staat
vorgelegt, die Verhandlungen wurden aber durch Auflösung der Versammlung
im Dezember 1848 abgebrochen, zugleich wurde unterm 5. Dezember 1848
eine Verfassungsurkunde oktroyirt und unterm 6. ein neues Wahlgesetz erlassen
und dann mit den auf Grund dieser Gesetze einbernfnen beiden Kammern wegen
der vorbehaltnen Revision der Verfassungsurkunde weiter verhandelt. Aber
auch diese Verhandlungen wurden wieder durch Auflösung der zweiten Kammer
und Vertagung der ersten im April 1849 unterbrochen, und es wurde die Ver¬
ordnung vom 30. Mai 1849 über die Wahl der Abgeordneten zur zweiten
Kammer erlassen, die noch heute giltig und durch das Gesetz vom 11. März
1869 auf die neuen Landesteile ausgedehnt worden ist. Mit der neu be¬
rufnen Landesvertretung wurde dann die Verfassungsurkunde vom 31. Januar
1850 vereinbart.

In dem ersten Wahlgesetze vom 8. April 1848 ist bestimmt:

Z 1. Jeder Preuße, welcher das vierundzwanzigste Lebensjahr vollendet und
nicht den Vollbesitz der bürgerlichen Rechte infolge rechtskräftigen richterlichen Er¬
kenntnisses verloren hat, ist in der Gemeide, worin er seit sechs Monaten seinen
Wohnsitz oder Aufenthalt hat, stimmberechtigter UrWähler, insofern er nicht aus
öffentlichen Mitteln Arinennnterstützmig bezieht.

A 2. Die Urwtthler wählen auf jede Vollzahl Von fünfhundert Seelen einen
Wnhlmann. In Gemeinden von mehr als tausend Seelen erfolgt die Wahl nach
Bezirken, welche die Gemeindebehörden in der Art zu begrenzen haben, daß in
einem Bezirke nicht mehr als fünf Wahlmänner zu wählen sind.

Z 3. Jeder ist nur in dem Wahlbezirke zum Wahlmann wählbar, worin er
als Urwähler stimmberechtigt ist.


Das Dreiklassenwahlsystem

zur Annahme geführt haben, würden nur aus den Akten der Rheinischen Stände
oder des Staatsministeriums zu ersehen sein, sie werden aber wohl dieselben
gewesen sein, die dann mit Erlaß der Verfassung zur Annahme desselben Wahl¬
systems für die Wahlen zur zweiten Kammer geführt haben und in der
Motivirung der betreffenden Vorlagen dargelegt worden sind.

In der deutschen Bundesakte war die Einführung landständischer Ver¬
fassungen in allen deutschen Bundesstaaten zugesagt, und die Regierungen der
kleinern deutschen Staaten hatten sich mehr oder weniger beeilt, diese Zusage
zu erfüllen. In Preußen, wo sich freilich die große Masse des Volks durch
das patriarchalisch-absolutistische Regierungssystem kaum bedrückt fühlte, wurde
erst im Jahre 1847 durch Bildung des Vereinigten Landtags ein Schritt in
dieser Richtung gethan und dann infolge der revolutionären Ereignisse des
Jahres 1848 eine konstitutionelle Verfassung gegeben. Zunächst kamen unter
Zuziehung des Vereinigten Landtags die Verordnung vom 6. April 1848 über
einige Grundlagen der künftigen preußischen Verfassung und das Wahlgesetz
vom 8. April 1348 für die zur Vereinbarung der preußischen Staatspcr-
fassung zu berufenden Versammlung zu stände. Dieser „Nationalversammlung"
wurde dann der Entwurf eines Verfassungsgesetzes für den preußischen Staat
vorgelegt, die Verhandlungen wurden aber durch Auflösung der Versammlung
im Dezember 1848 abgebrochen, zugleich wurde unterm 5. Dezember 1848
eine Verfassungsurkunde oktroyirt und unterm 6. ein neues Wahlgesetz erlassen
und dann mit den auf Grund dieser Gesetze einbernfnen beiden Kammern wegen
der vorbehaltnen Revision der Verfassungsurkunde weiter verhandelt. Aber
auch diese Verhandlungen wurden wieder durch Auflösung der zweiten Kammer
und Vertagung der ersten im April 1849 unterbrochen, und es wurde die Ver¬
ordnung vom 30. Mai 1849 über die Wahl der Abgeordneten zur zweiten
Kammer erlassen, die noch heute giltig und durch das Gesetz vom 11. März
1869 auf die neuen Landesteile ausgedehnt worden ist. Mit der neu be¬
rufnen Landesvertretung wurde dann die Verfassungsurkunde vom 31. Januar
1850 vereinbart.

In dem ersten Wahlgesetze vom 8. April 1848 ist bestimmt:

Z 1. Jeder Preuße, welcher das vierundzwanzigste Lebensjahr vollendet und
nicht den Vollbesitz der bürgerlichen Rechte infolge rechtskräftigen richterlichen Er¬
kenntnisses verloren hat, ist in der Gemeide, worin er seit sechs Monaten seinen
Wohnsitz oder Aufenthalt hat, stimmberechtigter UrWähler, insofern er nicht aus
öffentlichen Mitteln Arinennnterstützmig bezieht.

A 2. Die Urwtthler wählen auf jede Vollzahl Von fünfhundert Seelen einen
Wnhlmann. In Gemeinden von mehr als tausend Seelen erfolgt die Wahl nach
Bezirken, welche die Gemeindebehörden in der Art zu begrenzen haben, daß in
einem Bezirke nicht mehr als fünf Wahlmänner zu wählen sind.

Z 3. Jeder ist nur in dem Wahlbezirke zum Wahlmann wählbar, worin er
als Urwähler stimmberechtigt ist.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/316>, abgerufen am 23.07.2024.