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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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Die Memoiren von Paul Barras

überraschte, daß er sie von fern kommen sah und. als er mitten drin stand,
lange vorbereitet war auf den Platz, den er dabei einzunehmen gedachte. Denn
er war ein Mensch von einer seltenen Kälte und Berechnung - das ^Lord
Leidenschaft ist für die Art seiner Genüsse viel zu hoch -. und er kannte das
Leben jener Tage aus eigner Erfahrung gut genug, um zu wessen, daß es
einmal ein Ende mit Schrecken nehmen mußte. Daß er sich nun ans vo
Seite der Revolution stellte, und zwar ohne Bedenken, als wäre es selbstver¬
ständlich, mag in dem ersten Stadium noch begreiflich scheinen: er hatte nach
oben hin. bei Vorgesetzten, angestoßen und vielfach Beweise gegeben, daß er
ein möglichst unqebundnes Leben liebte. Auch hatte er. wie es scheint, nicht
allzuviel zu verlieren, denn seine materiellen Verhältnisse waren trotz seiner
vornehmen Familie nicht glänzend. Aber seine Familie war und blieb rea¬
listisch, auch seine junge Frau, die im Süden blieb und erst nach langen
Jahren gegen das Ende seines Lebens zu ihm ins Haus kam. So macht es
denn doch einen eigentümlichen Eindruck, wenn wir nach einigen Jahren den
Mann, der in seinen persönlichen Ansprüchen die Kavaliersherkunft memals
vergaß, unter den ausgesprochnen Anführern der Revolution finden. Er war
Mitglied des Konvents, stand aus der Linken neben Marat und Danton, den
man in dieser Periode seinen Führer nennen kann, stürzte dann Robespierre
und begründete das Direktorium mit. in dem er allein von allen fünfen bis
ans Ende blieb, bis Bonaparte, den er vor allen emporgebracht hatte, es auf¬
löste und sich als ersten Konsul einsetzte. Seitdem nahm er keine Stellung
mehr an. weder von dem Kaiser, der wohl ein Interesse daran hatte, den ein¬
flußreichen Mann zu gewinnen, und als ihm das nicht gelang, seinen ehe¬
maligen Gönner mit Polizeimaßregeln verfolgte und von Paris fern zu halten
suchte, ,was von den Bourbonen, unter denen er wegen seines Ansehens als
überzeugter Republikaner gefürchtet, geachtet und vielfach umworben war. Er
lebte als Privatmann und politischer Beobachter teils auf einem Landsitze,
teils in Paris gesellschaftlich eingezogen, aber innerhalb seines Hauses auf sehr
großem Fuße, mit vieler Dienerschaft und eignen Pferden. Seine Gastmähler
waren bis in seine letzte Zeit bekannt. Er selbst giebt an, daß er sich nach
den Vermögensverlusten, die er durch Napoleons Maßregeln erlitten hatte,
eine Leibrente von "bloß" vierzigtausend Franken gesichert habe, während
A- Dumas in seinen Memoiren 200000 sagt. Jedenfalls hatte ihm seine
politische Vergangenheit etwas eingebracht (denn so reich war er ursprünglich
nicht), wenn auch lange nicht soviel, wie Fouchv, Talleyrand und hundert andern,
und so konnte er sich mit einer gewissen, relativen Berechtigung später immer
noch als unbestochnen Republikaner ansehen, während er zur Zeit der Aktion
vor den meisten Emporkömmlingen, die gar nichts besaßen, den Rückhalt eines
wenn auch nur bescheidnen Vermögens voraus hatte. Denen gegenüber spielt
er dann den Aristokraten, der hochherzig auf die Vorteile seiner Vergangenheit


Die Memoiren von Paul Barras

überraschte, daß er sie von fern kommen sah und. als er mitten drin stand,
lange vorbereitet war auf den Platz, den er dabei einzunehmen gedachte. Denn
er war ein Mensch von einer seltenen Kälte und Berechnung - das ^Lord
Leidenschaft ist für die Art seiner Genüsse viel zu hoch -. und er kannte das
Leben jener Tage aus eigner Erfahrung gut genug, um zu wessen, daß es
einmal ein Ende mit Schrecken nehmen mußte. Daß er sich nun ans vo
Seite der Revolution stellte, und zwar ohne Bedenken, als wäre es selbstver¬
ständlich, mag in dem ersten Stadium noch begreiflich scheinen: er hatte nach
oben hin. bei Vorgesetzten, angestoßen und vielfach Beweise gegeben, daß er
ein möglichst unqebundnes Leben liebte. Auch hatte er. wie es scheint, nicht
allzuviel zu verlieren, denn seine materiellen Verhältnisse waren trotz seiner
vornehmen Familie nicht glänzend. Aber seine Familie war und blieb rea¬
listisch, auch seine junge Frau, die im Süden blieb und erst nach langen
Jahren gegen das Ende seines Lebens zu ihm ins Haus kam. So macht es
denn doch einen eigentümlichen Eindruck, wenn wir nach einigen Jahren den
Mann, der in seinen persönlichen Ansprüchen die Kavaliersherkunft memals
vergaß, unter den ausgesprochnen Anführern der Revolution finden. Er war
Mitglied des Konvents, stand aus der Linken neben Marat und Danton, den
man in dieser Periode seinen Führer nennen kann, stürzte dann Robespierre
und begründete das Direktorium mit. in dem er allein von allen fünfen bis
ans Ende blieb, bis Bonaparte, den er vor allen emporgebracht hatte, es auf¬
löste und sich als ersten Konsul einsetzte. Seitdem nahm er keine Stellung
mehr an. weder von dem Kaiser, der wohl ein Interesse daran hatte, den ein¬
flußreichen Mann zu gewinnen, und als ihm das nicht gelang, seinen ehe¬
maligen Gönner mit Polizeimaßregeln verfolgte und von Paris fern zu halten
suchte, ,was von den Bourbonen, unter denen er wegen seines Ansehens als
überzeugter Republikaner gefürchtet, geachtet und vielfach umworben war. Er
lebte als Privatmann und politischer Beobachter teils auf einem Landsitze,
teils in Paris gesellschaftlich eingezogen, aber innerhalb seines Hauses auf sehr
großem Fuße, mit vieler Dienerschaft und eignen Pferden. Seine Gastmähler
waren bis in seine letzte Zeit bekannt. Er selbst giebt an, daß er sich nach
den Vermögensverlusten, die er durch Napoleons Maßregeln erlitten hatte,
eine Leibrente von „bloß" vierzigtausend Franken gesichert habe, während
A- Dumas in seinen Memoiren 200000 sagt. Jedenfalls hatte ihm seine
politische Vergangenheit etwas eingebracht (denn so reich war er ursprünglich
nicht), wenn auch lange nicht soviel, wie Fouchv, Talleyrand und hundert andern,
und so konnte er sich mit einer gewissen, relativen Berechtigung später immer
noch als unbestochnen Republikaner ansehen, während er zur Zeit der Aktion
vor den meisten Emporkömmlingen, die gar nichts besaßen, den Rückhalt eines
wenn auch nur bescheidnen Vermögens voraus hatte. Denen gegenüber spielt
er dann den Aristokraten, der hochherzig auf die Vorteile seiner Vergangenheit


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/31>, abgerufen am 23.07.2024.