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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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Die Memoiren von Paul Barras

Worauf diese eigentümliche psychologische Erscheinung zurückzuführen sein
mag, ist schwer zu sagen; vielleicht hat die Gewohnheit, Erkenntnisse zu fällen,
die ja nur durch höhere Instanzen aufgehoben werden können, oder die Mei¬
nung, daß durch eigenmächtige Aufhebung einer Verfügung die Würde und
das Ansehen des Amtes Schaden leiden, in dem Kopfe des Richters die Vor¬
stellung entstehen lassen, daß er seine einmal kundgegebne Ansicht nicht ändern
könne, und daß daher die Beschwerde das einzig zulässige Mittel sei, eine
andre Entscheidung herbeizuführen.

Leider scheinen auch die Richter in den Beschwerdeinstanzen seltsamerweise
anzunehmen, daß sie dem Ansehen ihres Amtsgenossen etwas vergeben, wenn
sie dessen Verfügung aufheben; denn sie zeigen sich erfahrungsmäßig für Be¬
schwerden schwer zugänglich, und so kann es einem widerfahren, daß man auch
mit Anwendung aller gesetzlichen Mittel sein Recht nicht finden kann, bloß weil
die erste zur Entscheidung berufne Gerichtsbehörden einen Fehler gemacht hat.
Und das geschieht nicht selten.

Ja, das Ansehen des Richterstandes! In der Tagespresse begegnet man
jetzt bisweilen dem Gedanken, daß es im Sinken begriffen sei. Wenn das
wahr wäre, dann müßten sich doch alle wohlgesinnten Männer, vor allem die
Richter selbst, bemühen, diesem Übel zu steuern. Dazu aber wäre es un¬
bedingt notwendig, seine Ursachen zu ergründen. Ob nicht in den im Vor¬
stehenden berührten Umständen solche Ursachen zu finden sind, dürfte wohl
einer ernsten Prüfung wert sein. Diese sei den beteiligten Kreisen hiermit
empfohlen.




Die Memoiren von Paul Barras

er Vicomte Paul de Barras stammte aus einem alten Geschlechte
der Provence, das die Thaten seiner Ahnen unter den Kreuz¬
fahrern bis über die Zeit des heiligen Ludwig hinauf verfolgte.
Er selbst war Offizier des Königs, nahm zu Schiff im ost¬
indischen Kriege gegen England an Abenteuern teil, die bis¬
weilen an Gullivers Reisen erinnern, lebte dann in Paris und ging sogar zu
Hofe und machte alles mit, was zum Molon rvAiwe gehörte, Schulden, Duelle,
galante Verhältnisse (darunter eines von vielen mit der aus der Halsbandgeschichte
bekannten Lamotte). Man wird es ihm glauben, daß ihn die Revolution nichtU


Die Memoiren von Paul Barras

Worauf diese eigentümliche psychologische Erscheinung zurückzuführen sein
mag, ist schwer zu sagen; vielleicht hat die Gewohnheit, Erkenntnisse zu fällen,
die ja nur durch höhere Instanzen aufgehoben werden können, oder die Mei¬
nung, daß durch eigenmächtige Aufhebung einer Verfügung die Würde und
das Ansehen des Amtes Schaden leiden, in dem Kopfe des Richters die Vor¬
stellung entstehen lassen, daß er seine einmal kundgegebne Ansicht nicht ändern
könne, und daß daher die Beschwerde das einzig zulässige Mittel sei, eine
andre Entscheidung herbeizuführen.

Leider scheinen auch die Richter in den Beschwerdeinstanzen seltsamerweise
anzunehmen, daß sie dem Ansehen ihres Amtsgenossen etwas vergeben, wenn
sie dessen Verfügung aufheben; denn sie zeigen sich erfahrungsmäßig für Be¬
schwerden schwer zugänglich, und so kann es einem widerfahren, daß man auch
mit Anwendung aller gesetzlichen Mittel sein Recht nicht finden kann, bloß weil
die erste zur Entscheidung berufne Gerichtsbehörden einen Fehler gemacht hat.
Und das geschieht nicht selten.

Ja, das Ansehen des Richterstandes! In der Tagespresse begegnet man
jetzt bisweilen dem Gedanken, daß es im Sinken begriffen sei. Wenn das
wahr wäre, dann müßten sich doch alle wohlgesinnten Männer, vor allem die
Richter selbst, bemühen, diesem Übel zu steuern. Dazu aber wäre es un¬
bedingt notwendig, seine Ursachen zu ergründen. Ob nicht in den im Vor¬
stehenden berührten Umständen solche Ursachen zu finden sind, dürfte wohl
einer ernsten Prüfung wert sein. Diese sei den beteiligten Kreisen hiermit
empfohlen.




Die Memoiren von Paul Barras

er Vicomte Paul de Barras stammte aus einem alten Geschlechte
der Provence, das die Thaten seiner Ahnen unter den Kreuz¬
fahrern bis über die Zeit des heiligen Ludwig hinauf verfolgte.
Er selbst war Offizier des Königs, nahm zu Schiff im ost¬
indischen Kriege gegen England an Abenteuern teil, die bis¬
weilen an Gullivers Reisen erinnern, lebte dann in Paris und ging sogar zu
Hofe und machte alles mit, was zum Molon rvAiwe gehörte, Schulden, Duelle,
galante Verhältnisse (darunter eines von vielen mit der aus der Halsbandgeschichte
bekannten Lamotte). Man wird es ihm glauben, daß ihn die Revolution nichtU


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[0030] Die Memoiren von Paul Barras Worauf diese eigentümliche psychologische Erscheinung zurückzuführen sein mag, ist schwer zu sagen; vielleicht hat die Gewohnheit, Erkenntnisse zu fällen, die ja nur durch höhere Instanzen aufgehoben werden können, oder die Mei¬ nung, daß durch eigenmächtige Aufhebung einer Verfügung die Würde und das Ansehen des Amtes Schaden leiden, in dem Kopfe des Richters die Vor¬ stellung entstehen lassen, daß er seine einmal kundgegebne Ansicht nicht ändern könne, und daß daher die Beschwerde das einzig zulässige Mittel sei, eine andre Entscheidung herbeizuführen. Leider scheinen auch die Richter in den Beschwerdeinstanzen seltsamerweise anzunehmen, daß sie dem Ansehen ihres Amtsgenossen etwas vergeben, wenn sie dessen Verfügung aufheben; denn sie zeigen sich erfahrungsmäßig für Be¬ schwerden schwer zugänglich, und so kann es einem widerfahren, daß man auch mit Anwendung aller gesetzlichen Mittel sein Recht nicht finden kann, bloß weil die erste zur Entscheidung berufne Gerichtsbehörden einen Fehler gemacht hat. Und das geschieht nicht selten. Ja, das Ansehen des Richterstandes! In der Tagespresse begegnet man jetzt bisweilen dem Gedanken, daß es im Sinken begriffen sei. Wenn das wahr wäre, dann müßten sich doch alle wohlgesinnten Männer, vor allem die Richter selbst, bemühen, diesem Übel zu steuern. Dazu aber wäre es un¬ bedingt notwendig, seine Ursachen zu ergründen. Ob nicht in den im Vor¬ stehenden berührten Umständen solche Ursachen zu finden sind, dürfte wohl einer ernsten Prüfung wert sein. Diese sei den beteiligten Kreisen hiermit empfohlen. Die Memoiren von Paul Barras er Vicomte Paul de Barras stammte aus einem alten Geschlechte der Provence, das die Thaten seiner Ahnen unter den Kreuz¬ fahrern bis über die Zeit des heiligen Ludwig hinauf verfolgte. Er selbst war Offizier des Königs, nahm zu Schiff im ost¬ indischen Kriege gegen England an Abenteuern teil, die bis¬ weilen an Gullivers Reisen erinnern, lebte dann in Paris und ging sogar zu Hofe und machte alles mit, was zum Molon rvAiwe gehörte, Schulden, Duelle, galante Verhältnisse (darunter eines von vielen mit der aus der Halsbandgeschichte bekannten Lamotte). Man wird es ihm glauben, daß ihn die Revolution nichtU

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/30>, abgerufen am 23.07.2024.