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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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thuend, daß gegenüber den viel verspotteten Verirrungen des "Schmücke dein
Heim!" und den schwermütigen Betrachtungen über Erfindungsarmut, Stil¬
wechsel, Altertumssucht, Japonismus, gegenüber dem einseitigen Hinweisen
andrer Theoretiker auf die Notwendigkeit, einen möglichst unhistorischen, nur
auf dem Gebrauchswert beruhenden Stil z. B. für Möbel zu erfinden, von
dem doch das Publikum trotz aller Anweisungen, wie es scheint, nicht viel
wissen will, es berührt alledem gegenüber wohlthuend, daß ein wirklicher
Kenner, der mitten in der Arbeit gestanden hat, das positive, das wirklich ge¬
leistete hervorhebt und damit zugleich auch für seine eigne Arbeit Zeugnis ab¬
legt. Denn er weiß, daß er fleißig mitgearbeitet hat, und auch über seinen
Erfolg hat er eine vollkommen klare Meinung, aber es widerstrebt ihm, darauf
einzugehen. Der Leser findet von selbst, daß auch an der Gründung des
Wiener Museums nach der Idee des South Kensington Museums Falke einen
bedeutenden Anteil hat. Was also ist, wenn man es gegen den Zustand um
die Mitte unsers Jahrhunderts hält, in der Sache erreicht? Damals stand
man im Mobiliar und im Gerät unter den Nachwirkungen des Empire, soweit
von einem Stil die Rede sein konnte, übrigens aber brachten, unbekümmert
um jeden Stil, persönliche Einfälle fast täglich neue Verschönerungen, deren
Geschmacklosigkeit nur ganz wenige empfanden. Inzwischen hat man alle Stile
durchgemacht, in Nürnberg und am Rhein die Gotik, in Wien italienische,
in Deutschland deutsche Renaissance und Barock, in München den Stil Lud¬
wigs XIV. und das Rokoko, und zuletzt ist man über Ludwig XVI. wieder bei
dem Empire angelangt, womit man das Jahrhundert eröffnete. Ein neuer
Stil ist nicht erfunden worden, nicht einmal ein einziges neues Kapitell ist ent¬
standen innerhalb der riesigen Vauthätigkeit in unsern erweiterten und erneuten
modernen Städten, und es ist nicht zu erwarten, daß die Menschen von heute
etwas dem Stil nach neues erleben werden, weder in der Architektur, noch im
Kleingewerbe. Die neuerdings gepflegte Volkskunst, so löblich sie ist, wirft doch
nur kleinen Ertrag ab für Nebengebiete, Dekoration, Gewebe, Stickerei und
dergleichen. Der Japonismus aber ist seinem Stilprinzip nach unsrer ganzen
europäischen, zuletzt auf die Griechen zurückgehenden Art der Ornamentirung
entgegengesetzt, und er hat auch bereits abgewirtschaftet infolge des Überdrusses
an der massenhaft eingeführten Schundware, die für die Urteilslosen eigens her¬
gestellt wurde und nur den Vorzug hatte, nach mehr auszusehen, als sie kostete.*)



") Den auf der japanischen Verzierungsweise beruhenden aus England (Walter Crane usw.)
gekommnen Stil im Kunstgewerbe kennt Falke natürlich auch, denn man sieht ja seine Erzeug¬
nisse jetzt in jedem bessern Schaufenster. Er wird ihm aber, da er ihn nicht erwähnt, kein
langes Leben zutrauen. Wie mir scheint, mit gutem Grunde, denn z. B. die Möbel sind zu
zerbrechlich und wegen der vielen unerläßlichen Dctailarbeit außerdem für uns zu teuer. Ob
sie aber schön sind? Viele, die bei uns im Kunstgewerbe arbeiten, finden es. Wer Recht behält,
das wird ja die nächste Zukunft, d. h. das kaufende Publikum entscheiden.

thuend, daß gegenüber den viel verspotteten Verirrungen des „Schmücke dein
Heim!" und den schwermütigen Betrachtungen über Erfindungsarmut, Stil¬
wechsel, Altertumssucht, Japonismus, gegenüber dem einseitigen Hinweisen
andrer Theoretiker auf die Notwendigkeit, einen möglichst unhistorischen, nur
auf dem Gebrauchswert beruhenden Stil z. B. für Möbel zu erfinden, von
dem doch das Publikum trotz aller Anweisungen, wie es scheint, nicht viel
wissen will, es berührt alledem gegenüber wohlthuend, daß ein wirklicher
Kenner, der mitten in der Arbeit gestanden hat, das positive, das wirklich ge¬
leistete hervorhebt und damit zugleich auch für seine eigne Arbeit Zeugnis ab¬
legt. Denn er weiß, daß er fleißig mitgearbeitet hat, und auch über seinen
Erfolg hat er eine vollkommen klare Meinung, aber es widerstrebt ihm, darauf
einzugehen. Der Leser findet von selbst, daß auch an der Gründung des
Wiener Museums nach der Idee des South Kensington Museums Falke einen
bedeutenden Anteil hat. Was also ist, wenn man es gegen den Zustand um
die Mitte unsers Jahrhunderts hält, in der Sache erreicht? Damals stand
man im Mobiliar und im Gerät unter den Nachwirkungen des Empire, soweit
von einem Stil die Rede sein konnte, übrigens aber brachten, unbekümmert
um jeden Stil, persönliche Einfälle fast täglich neue Verschönerungen, deren
Geschmacklosigkeit nur ganz wenige empfanden. Inzwischen hat man alle Stile
durchgemacht, in Nürnberg und am Rhein die Gotik, in Wien italienische,
in Deutschland deutsche Renaissance und Barock, in München den Stil Lud¬
wigs XIV. und das Rokoko, und zuletzt ist man über Ludwig XVI. wieder bei
dem Empire angelangt, womit man das Jahrhundert eröffnete. Ein neuer
Stil ist nicht erfunden worden, nicht einmal ein einziges neues Kapitell ist ent¬
standen innerhalb der riesigen Vauthätigkeit in unsern erweiterten und erneuten
modernen Städten, und es ist nicht zu erwarten, daß die Menschen von heute
etwas dem Stil nach neues erleben werden, weder in der Architektur, noch im
Kleingewerbe. Die neuerdings gepflegte Volkskunst, so löblich sie ist, wirft doch
nur kleinen Ertrag ab für Nebengebiete, Dekoration, Gewebe, Stickerei und
dergleichen. Der Japonismus aber ist seinem Stilprinzip nach unsrer ganzen
europäischen, zuletzt auf die Griechen zurückgehenden Art der Ornamentirung
entgegengesetzt, und er hat auch bereits abgewirtschaftet infolge des Überdrusses
an der massenhaft eingeführten Schundware, die für die Urteilslosen eigens her¬
gestellt wurde und nur den Vorzug hatte, nach mehr auszusehen, als sie kostete.*)



") Den auf der japanischen Verzierungsweise beruhenden aus England (Walter Crane usw.)
gekommnen Stil im Kunstgewerbe kennt Falke natürlich auch, denn man sieht ja seine Erzeug¬
nisse jetzt in jedem bessern Schaufenster. Er wird ihm aber, da er ihn nicht erwähnt, kein
langes Leben zutrauen. Wie mir scheint, mit gutem Grunde, denn z. B. die Möbel sind zu
zerbrechlich und wegen der vielen unerläßlichen Dctailarbeit außerdem für uns zu teuer. Ob
sie aber schön sind? Viele, die bei uns im Kunstgewerbe arbeiten, finden es. Wer Recht behält,
das wird ja die nächste Zukunft, d. h. das kaufende Publikum entscheiden.
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[0296] thuend, daß gegenüber den viel verspotteten Verirrungen des „Schmücke dein Heim!" und den schwermütigen Betrachtungen über Erfindungsarmut, Stil¬ wechsel, Altertumssucht, Japonismus, gegenüber dem einseitigen Hinweisen andrer Theoretiker auf die Notwendigkeit, einen möglichst unhistorischen, nur auf dem Gebrauchswert beruhenden Stil z. B. für Möbel zu erfinden, von dem doch das Publikum trotz aller Anweisungen, wie es scheint, nicht viel wissen will, es berührt alledem gegenüber wohlthuend, daß ein wirklicher Kenner, der mitten in der Arbeit gestanden hat, das positive, das wirklich ge¬ leistete hervorhebt und damit zugleich auch für seine eigne Arbeit Zeugnis ab¬ legt. Denn er weiß, daß er fleißig mitgearbeitet hat, und auch über seinen Erfolg hat er eine vollkommen klare Meinung, aber es widerstrebt ihm, darauf einzugehen. Der Leser findet von selbst, daß auch an der Gründung des Wiener Museums nach der Idee des South Kensington Museums Falke einen bedeutenden Anteil hat. Was also ist, wenn man es gegen den Zustand um die Mitte unsers Jahrhunderts hält, in der Sache erreicht? Damals stand man im Mobiliar und im Gerät unter den Nachwirkungen des Empire, soweit von einem Stil die Rede sein konnte, übrigens aber brachten, unbekümmert um jeden Stil, persönliche Einfälle fast täglich neue Verschönerungen, deren Geschmacklosigkeit nur ganz wenige empfanden. Inzwischen hat man alle Stile durchgemacht, in Nürnberg und am Rhein die Gotik, in Wien italienische, in Deutschland deutsche Renaissance und Barock, in München den Stil Lud¬ wigs XIV. und das Rokoko, und zuletzt ist man über Ludwig XVI. wieder bei dem Empire angelangt, womit man das Jahrhundert eröffnete. Ein neuer Stil ist nicht erfunden worden, nicht einmal ein einziges neues Kapitell ist ent¬ standen innerhalb der riesigen Vauthätigkeit in unsern erweiterten und erneuten modernen Städten, und es ist nicht zu erwarten, daß die Menschen von heute etwas dem Stil nach neues erleben werden, weder in der Architektur, noch im Kleingewerbe. Die neuerdings gepflegte Volkskunst, so löblich sie ist, wirft doch nur kleinen Ertrag ab für Nebengebiete, Dekoration, Gewebe, Stickerei und dergleichen. Der Japonismus aber ist seinem Stilprinzip nach unsrer ganzen europäischen, zuletzt auf die Griechen zurückgehenden Art der Ornamentirung entgegengesetzt, und er hat auch bereits abgewirtschaftet infolge des Überdrusses an der massenhaft eingeführten Schundware, die für die Urteilslosen eigens her¬ gestellt wurde und nur den Vorzug hatte, nach mehr auszusehen, als sie kostete.*) ") Den auf der japanischen Verzierungsweise beruhenden aus England (Walter Crane usw.) gekommnen Stil im Kunstgewerbe kennt Falke natürlich auch, denn man sieht ja seine Erzeug¬ nisse jetzt in jedem bessern Schaufenster. Er wird ihm aber, da er ihn nicht erwähnt, kein langes Leben zutrauen. Wie mir scheint, mit gutem Grunde, denn z. B. die Möbel sind zu zerbrechlich und wegen der vielen unerläßlichen Dctailarbeit außerdem für uns zu teuer. Ob sie aber schön sind? Viele, die bei uns im Kunstgewerbe arbeiten, finden es. Wer Recht behält, das wird ja die nächste Zukunft, d. h. das kaufende Publikum entscheiden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/296>, abgerufen am 23.07.2024.