Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Aus den Denkwürdigkeiten zweier Uunstforscher

endgiltige und zwar eine sehr glückliche Gestaltung gefunden. Und auf das,
was er geistig erreicht und ungeschaffen hat, kann er fürwahr mit hoher
Befriedigung zurücksehen.

Er hebt es öfter hervor, daß er die für sein Leben entscheidenden Wen¬
dungen nicht durch bewußten Willen hervorgerufen habe, sondern daß er sie
als empfangnes Glück ansehe. Zu diesen glücklichen Fügungen gehörte es aber
auch, daß gerade um die Zeit, wo er zu lernen aufgehört hatte und anfing
selbständig zu leisten, in der äußern Organisation des Kunstlebens sich eine
neue Bewegung mit praktischen Zielen geltend machte, für die seine bisherige
Studienrichtung wie geschaffen erscheinen mußte. Was heute jedermann, ohne
vielleicht etwas dabei zu denken, Kunstgewerbe nennt, das entstand damals
vor vierzig Jahren in Deutschland als Idee, Plan oder Fach, früher im
Süden und am frühesten in Wien unter Anregungen aus London und Paris,
und Falke, heute ohne Frage die hervorragendste Autorität dieses Faches in
Deutschland, konnte gegenüber einer Zeitgenosfenschaft, die bald nach neuen
Möbeln, Stoffen oder Geräten verlangte, sein kulturgeschichtliches Wissen und
seine Kunstkennerschaft in ganz andrer Weise verwerten, als wenn es sich nur,
wie früher, darum gehandelt hätte, etwas wissenswertes zu lehren und inter¬
essante Bücher zu schreiben. Das Leben mit seinem praktischen Inhalt in den
Formen der Industrie und des Handels, das Sinnen und Erfinden trat in
Wechselwirkung mit dem Wissen und Erkennen und der Kritik des sachver¬
ständigen Forschers. Falles große Bücher über die Ästhetik des Kunstgewerbes,
über Hauseinrichtung, Gartenkunst und Trachtenkunde sind längst bekannt, sie
und seine zahlreichen Einzelschriften haben einen Einfluß ausgeübt, dem man
in der Geschichte jedes Zweiges nachgehen könnte. Seinen persönlichen Anteil
an der ganzen Bewegung kann man natürlich nicht so leicht feststellen. Daß
er aber sehr groß gewesen ist, zeigt das vorliegende Buch, das uns unter¬
haltend, einfach, bescheiden, feinsinnig mit dem bedeutenden Lebensinhalt seines
Verfassers vertraut macht. In besondern Abschnitten wird das Germanische
Museum und das Museum für Kunst und Industrie behandelt: dort wollte
man wertvollen, zum Teil von der Zeit verkannten Stoff vor dem Untergange
schützen und für einsichtsvollere Nachkommen bewahren und sichten, hier wollte
man das hervorbringende Gewerbe fördern und hat dadurch ganze Industrien
neu ins Leben gerufen, Glas-, Lederarbeit, Kunststickerei, Teppichweberei,
Spitzenfabrikation und vieles andre. Daran schließt sich ein Kapitel über die
ästhetische Reform des Kunstgewerbes und eines über den hauptsächlichen
Nutzen der einzelnen großen und der vielen kleinern Ausstellungen für den
Fortschritt der ganzen Bewegung. Diese vier Kapitel geben in anziehender,
leichter Form einen Überblick über das, was nach Falles Überzeugung auf
dem Gesamtgebiete des Kunstgewerbes wirklich erreicht ist, so präzis, wie es,
meine ich. noch nirgends von jemand versucht worden ist. Es berührt wohl-


Aus den Denkwürdigkeiten zweier Uunstforscher

endgiltige und zwar eine sehr glückliche Gestaltung gefunden. Und auf das,
was er geistig erreicht und ungeschaffen hat, kann er fürwahr mit hoher
Befriedigung zurücksehen.

Er hebt es öfter hervor, daß er die für sein Leben entscheidenden Wen¬
dungen nicht durch bewußten Willen hervorgerufen habe, sondern daß er sie
als empfangnes Glück ansehe. Zu diesen glücklichen Fügungen gehörte es aber
auch, daß gerade um die Zeit, wo er zu lernen aufgehört hatte und anfing
selbständig zu leisten, in der äußern Organisation des Kunstlebens sich eine
neue Bewegung mit praktischen Zielen geltend machte, für die seine bisherige
Studienrichtung wie geschaffen erscheinen mußte. Was heute jedermann, ohne
vielleicht etwas dabei zu denken, Kunstgewerbe nennt, das entstand damals
vor vierzig Jahren in Deutschland als Idee, Plan oder Fach, früher im
Süden und am frühesten in Wien unter Anregungen aus London und Paris,
und Falke, heute ohne Frage die hervorragendste Autorität dieses Faches in
Deutschland, konnte gegenüber einer Zeitgenosfenschaft, die bald nach neuen
Möbeln, Stoffen oder Geräten verlangte, sein kulturgeschichtliches Wissen und
seine Kunstkennerschaft in ganz andrer Weise verwerten, als wenn es sich nur,
wie früher, darum gehandelt hätte, etwas wissenswertes zu lehren und inter¬
essante Bücher zu schreiben. Das Leben mit seinem praktischen Inhalt in den
Formen der Industrie und des Handels, das Sinnen und Erfinden trat in
Wechselwirkung mit dem Wissen und Erkennen und der Kritik des sachver¬
ständigen Forschers. Falles große Bücher über die Ästhetik des Kunstgewerbes,
über Hauseinrichtung, Gartenkunst und Trachtenkunde sind längst bekannt, sie
und seine zahlreichen Einzelschriften haben einen Einfluß ausgeübt, dem man
in der Geschichte jedes Zweiges nachgehen könnte. Seinen persönlichen Anteil
an der ganzen Bewegung kann man natürlich nicht so leicht feststellen. Daß
er aber sehr groß gewesen ist, zeigt das vorliegende Buch, das uns unter¬
haltend, einfach, bescheiden, feinsinnig mit dem bedeutenden Lebensinhalt seines
Verfassers vertraut macht. In besondern Abschnitten wird das Germanische
Museum und das Museum für Kunst und Industrie behandelt: dort wollte
man wertvollen, zum Teil von der Zeit verkannten Stoff vor dem Untergange
schützen und für einsichtsvollere Nachkommen bewahren und sichten, hier wollte
man das hervorbringende Gewerbe fördern und hat dadurch ganze Industrien
neu ins Leben gerufen, Glas-, Lederarbeit, Kunststickerei, Teppichweberei,
Spitzenfabrikation und vieles andre. Daran schließt sich ein Kapitel über die
ästhetische Reform des Kunstgewerbes und eines über den hauptsächlichen
Nutzen der einzelnen großen und der vielen kleinern Ausstellungen für den
Fortschritt der ganzen Bewegung. Diese vier Kapitel geben in anziehender,
leichter Form einen Überblick über das, was nach Falles Überzeugung auf
dem Gesamtgebiete des Kunstgewerbes wirklich erreicht ist, so präzis, wie es,
meine ich. noch nirgends von jemand versucht worden ist. Es berührt wohl-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0295" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/225223"/>
          <fw type="header" place="top"> Aus den Denkwürdigkeiten zweier Uunstforscher</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_967" prev="#ID_966"> endgiltige und zwar eine sehr glückliche Gestaltung gefunden. Und auf das,<lb/>
was er geistig erreicht und ungeschaffen hat, kann er fürwahr mit hoher<lb/>
Befriedigung zurücksehen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_968" next="#ID_969"> Er hebt es öfter hervor, daß er die für sein Leben entscheidenden Wen¬<lb/>
dungen nicht durch bewußten Willen hervorgerufen habe, sondern daß er sie<lb/>
als empfangnes Glück ansehe. Zu diesen glücklichen Fügungen gehörte es aber<lb/>
auch, daß gerade um die Zeit, wo er zu lernen aufgehört hatte und anfing<lb/>
selbständig zu leisten, in der äußern Organisation des Kunstlebens sich eine<lb/>
neue Bewegung mit praktischen Zielen geltend machte, für die seine bisherige<lb/>
Studienrichtung wie geschaffen erscheinen mußte. Was heute jedermann, ohne<lb/>
vielleicht etwas dabei zu denken, Kunstgewerbe nennt, das entstand damals<lb/>
vor vierzig Jahren in Deutschland als Idee, Plan oder Fach, früher im<lb/>
Süden und am frühesten in Wien unter Anregungen aus London und Paris,<lb/>
und Falke, heute ohne Frage die hervorragendste Autorität dieses Faches in<lb/>
Deutschland, konnte gegenüber einer Zeitgenosfenschaft, die bald nach neuen<lb/>
Möbeln, Stoffen oder Geräten verlangte, sein kulturgeschichtliches Wissen und<lb/>
seine Kunstkennerschaft in ganz andrer Weise verwerten, als wenn es sich nur,<lb/>
wie früher, darum gehandelt hätte, etwas wissenswertes zu lehren und inter¬<lb/>
essante Bücher zu schreiben. Das Leben mit seinem praktischen Inhalt in den<lb/>
Formen der Industrie und des Handels, das Sinnen und Erfinden trat in<lb/>
Wechselwirkung mit dem Wissen und Erkennen und der Kritik des sachver¬<lb/>
ständigen Forschers. Falles große Bücher über die Ästhetik des Kunstgewerbes,<lb/>
über Hauseinrichtung, Gartenkunst und Trachtenkunde sind längst bekannt, sie<lb/>
und seine zahlreichen Einzelschriften haben einen Einfluß ausgeübt, dem man<lb/>
in der Geschichte jedes Zweiges nachgehen könnte. Seinen persönlichen Anteil<lb/>
an der ganzen Bewegung kann man natürlich nicht so leicht feststellen. Daß<lb/>
er aber sehr groß gewesen ist, zeigt das vorliegende Buch, das uns unter¬<lb/>
haltend, einfach, bescheiden, feinsinnig mit dem bedeutenden Lebensinhalt seines<lb/>
Verfassers vertraut macht. In besondern Abschnitten wird das Germanische<lb/>
Museum und das Museum für Kunst und Industrie behandelt: dort wollte<lb/>
man wertvollen, zum Teil von der Zeit verkannten Stoff vor dem Untergange<lb/>
schützen und für einsichtsvollere Nachkommen bewahren und sichten, hier wollte<lb/>
man das hervorbringende Gewerbe fördern und hat dadurch ganze Industrien<lb/>
neu ins Leben gerufen, Glas-, Lederarbeit, Kunststickerei, Teppichweberei,<lb/>
Spitzenfabrikation und vieles andre. Daran schließt sich ein Kapitel über die<lb/>
ästhetische Reform des Kunstgewerbes und eines über den hauptsächlichen<lb/>
Nutzen der einzelnen großen und der vielen kleinern Ausstellungen für den<lb/>
Fortschritt der ganzen Bewegung. Diese vier Kapitel geben in anziehender,<lb/>
leichter Form einen Überblick über das, was nach Falles Überzeugung auf<lb/>
dem Gesamtgebiete des Kunstgewerbes wirklich erreicht ist, so präzis, wie es,<lb/>
meine ich. noch nirgends von jemand versucht worden ist.  Es berührt wohl-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0295] Aus den Denkwürdigkeiten zweier Uunstforscher endgiltige und zwar eine sehr glückliche Gestaltung gefunden. Und auf das, was er geistig erreicht und ungeschaffen hat, kann er fürwahr mit hoher Befriedigung zurücksehen. Er hebt es öfter hervor, daß er die für sein Leben entscheidenden Wen¬ dungen nicht durch bewußten Willen hervorgerufen habe, sondern daß er sie als empfangnes Glück ansehe. Zu diesen glücklichen Fügungen gehörte es aber auch, daß gerade um die Zeit, wo er zu lernen aufgehört hatte und anfing selbständig zu leisten, in der äußern Organisation des Kunstlebens sich eine neue Bewegung mit praktischen Zielen geltend machte, für die seine bisherige Studienrichtung wie geschaffen erscheinen mußte. Was heute jedermann, ohne vielleicht etwas dabei zu denken, Kunstgewerbe nennt, das entstand damals vor vierzig Jahren in Deutschland als Idee, Plan oder Fach, früher im Süden und am frühesten in Wien unter Anregungen aus London und Paris, und Falke, heute ohne Frage die hervorragendste Autorität dieses Faches in Deutschland, konnte gegenüber einer Zeitgenosfenschaft, die bald nach neuen Möbeln, Stoffen oder Geräten verlangte, sein kulturgeschichtliches Wissen und seine Kunstkennerschaft in ganz andrer Weise verwerten, als wenn es sich nur, wie früher, darum gehandelt hätte, etwas wissenswertes zu lehren und inter¬ essante Bücher zu schreiben. Das Leben mit seinem praktischen Inhalt in den Formen der Industrie und des Handels, das Sinnen und Erfinden trat in Wechselwirkung mit dem Wissen und Erkennen und der Kritik des sachver¬ ständigen Forschers. Falles große Bücher über die Ästhetik des Kunstgewerbes, über Hauseinrichtung, Gartenkunst und Trachtenkunde sind längst bekannt, sie und seine zahlreichen Einzelschriften haben einen Einfluß ausgeübt, dem man in der Geschichte jedes Zweiges nachgehen könnte. Seinen persönlichen Anteil an der ganzen Bewegung kann man natürlich nicht so leicht feststellen. Daß er aber sehr groß gewesen ist, zeigt das vorliegende Buch, das uns unter¬ haltend, einfach, bescheiden, feinsinnig mit dem bedeutenden Lebensinhalt seines Verfassers vertraut macht. In besondern Abschnitten wird das Germanische Museum und das Museum für Kunst und Industrie behandelt: dort wollte man wertvollen, zum Teil von der Zeit verkannten Stoff vor dem Untergange schützen und für einsichtsvollere Nachkommen bewahren und sichten, hier wollte man das hervorbringende Gewerbe fördern und hat dadurch ganze Industrien neu ins Leben gerufen, Glas-, Lederarbeit, Kunststickerei, Teppichweberei, Spitzenfabrikation und vieles andre. Daran schließt sich ein Kapitel über die ästhetische Reform des Kunstgewerbes und eines über den hauptsächlichen Nutzen der einzelnen großen und der vielen kleinern Ausstellungen für den Fortschritt der ganzen Bewegung. Diese vier Kapitel geben in anziehender, leichter Form einen Überblick über das, was nach Falles Überzeugung auf dem Gesamtgebiete des Kunstgewerbes wirklich erreicht ist, so präzis, wie es, meine ich. noch nirgends von jemand versucht worden ist. Es berührt wohl-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/295
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/295>, abgerufen am 23.07.2024.