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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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Aus den Denkwürdigkeiten zweier Runstforscher

gekommen und zu dem geworden, was sie sind. Die einen kamen von der
Rechtswissenschaft, die andern von der Philologie, und sie haben sich dann
selbst weiter bilden müssen. Heute giebt es Schulen, Professoren, Institute
und Sammlungen, die Kunstschriftsteller werden schulmäßig herangebildet.
Selbst auf den Gymnasien soll ihnen schon das "Nötigste" beigebracht werden,
und "ehe noch der Geist hinlänglich gereift, ehe noch das wissenschaftlich ge¬
lernte verdaut ist. fliegen schon die jungen Kunstbeflissenen durch die Welt von
Petersburg bis Madrid, von Rom bis Stockholm. So leicht wurde es uns
Alten nicht gemacht."

Falke erzählt uns, wie er zur Kunst gekommen ist. Bei ihm war es
nicht Absicht und Wille; sein eigentlicher Lebensweg und seine besondre An¬
lage blieben ihm lange verborgen. Als Schüler und Student in Erlangen
und Göttingen hatte er noch kein entschiednes Interesse für das, worin er
später so ausgezeichnetes leisten sollte; nicht einmal in Hildesheim bekam er
bestimmende Eindrücke. Erst in Düsseldorf, wo der Prinz einen Teil des
Jahres zuzubringen pflegte, und im Verkehr mit Künstlern, dann in Wien,
wohin er die Familie zum Besuche des verwandten fürstlich Liechtensteinschen
Hauses begleitete, wurde es ihm klar, daß die Gegenstände der Kunst ihm die
Unterlage werden müßten für eine ganz besondre, auf seiner persönlichen
Richtung beruhende Art der Behandlung. Das Kunstwerk jeder Gattung und
jeder Zeit, als Zeugnis einer bestimmten Kultur und als Denkmal seiner nicht
mehr erhaltnen Umgebung, seines "Milieu," mit allem, was es uns lehren
kann, so etwa läßt sich Falles Interesse an dem Objekt seiner Wissenschaft
bezeichnen. Der Stoff war ihm ganz neu, er vermehrte ihn täglich durch frische
Eindrücke. Von seinen Universitätsstudien brachte er dazu nur eine energische
Richtung auf alles Geschichtliche mit; den größten Einfluß für seine spätere
Entwicklung bekennt er zwei Büchern zu verdanken, in deren Verehrung ich
zu meiner Freude mit ihm zusammentreffe: Johannes von Müllers Jahr¬
büchern der allgemeinen Geschichte und Schnases Niederländischen Briefen.
Von Hildesheim aus hatte er auch einmal die nun längst verkaufte Galerie
des Grafen Stolberg in Soter aufgesucht und als hauptsächlichen Eindruck
festgehalten, daß man die Säle nur auf Filzschuhen durchwandern durfte. Es
flößte ihm große Ehrfurcht vor den alten Meistern ein, sie in dieser Weise
geehrt zu sehen, denn er meinte, es geschähe ihretwegen. Das war das erstemal
in seinem Leben, daß er eine Galerie besuchte, und er und seine Freunde
thaten dabei sehr kunstverständig. "Wie man sagt, bleibt ja immer etwas
Hunger; diesmal war es ein Hase von Weenix, den wir sehr bewunderten."
Also mit der Bewunderung fing er sein Knnststudium an. "Heute macht man
es gewöhnlich umgekehrt. Da die Kunst Gemeingut geworden ist, so fängt
man mit der Kritik an und läßt diese weiten Weges dem Verständnis voraus¬
gehen. Arme und Beine ist das erste, was der Laie kritisirt; seine Kenntnis


Aus den Denkwürdigkeiten zweier Runstforscher

gekommen und zu dem geworden, was sie sind. Die einen kamen von der
Rechtswissenschaft, die andern von der Philologie, und sie haben sich dann
selbst weiter bilden müssen. Heute giebt es Schulen, Professoren, Institute
und Sammlungen, die Kunstschriftsteller werden schulmäßig herangebildet.
Selbst auf den Gymnasien soll ihnen schon das „Nötigste" beigebracht werden,
und „ehe noch der Geist hinlänglich gereift, ehe noch das wissenschaftlich ge¬
lernte verdaut ist. fliegen schon die jungen Kunstbeflissenen durch die Welt von
Petersburg bis Madrid, von Rom bis Stockholm. So leicht wurde es uns
Alten nicht gemacht."

Falke erzählt uns, wie er zur Kunst gekommen ist. Bei ihm war es
nicht Absicht und Wille; sein eigentlicher Lebensweg und seine besondre An¬
lage blieben ihm lange verborgen. Als Schüler und Student in Erlangen
und Göttingen hatte er noch kein entschiednes Interesse für das, worin er
später so ausgezeichnetes leisten sollte; nicht einmal in Hildesheim bekam er
bestimmende Eindrücke. Erst in Düsseldorf, wo der Prinz einen Teil des
Jahres zuzubringen pflegte, und im Verkehr mit Künstlern, dann in Wien,
wohin er die Familie zum Besuche des verwandten fürstlich Liechtensteinschen
Hauses begleitete, wurde es ihm klar, daß die Gegenstände der Kunst ihm die
Unterlage werden müßten für eine ganz besondre, auf seiner persönlichen
Richtung beruhende Art der Behandlung. Das Kunstwerk jeder Gattung und
jeder Zeit, als Zeugnis einer bestimmten Kultur und als Denkmal seiner nicht
mehr erhaltnen Umgebung, seines „Milieu," mit allem, was es uns lehren
kann, so etwa läßt sich Falles Interesse an dem Objekt seiner Wissenschaft
bezeichnen. Der Stoff war ihm ganz neu, er vermehrte ihn täglich durch frische
Eindrücke. Von seinen Universitätsstudien brachte er dazu nur eine energische
Richtung auf alles Geschichtliche mit; den größten Einfluß für seine spätere
Entwicklung bekennt er zwei Büchern zu verdanken, in deren Verehrung ich
zu meiner Freude mit ihm zusammentreffe: Johannes von Müllers Jahr¬
büchern der allgemeinen Geschichte und Schnases Niederländischen Briefen.
Von Hildesheim aus hatte er auch einmal die nun längst verkaufte Galerie
des Grafen Stolberg in Soter aufgesucht und als hauptsächlichen Eindruck
festgehalten, daß man die Säle nur auf Filzschuhen durchwandern durfte. Es
flößte ihm große Ehrfurcht vor den alten Meistern ein, sie in dieser Weise
geehrt zu sehen, denn er meinte, es geschähe ihretwegen. Das war das erstemal
in seinem Leben, daß er eine Galerie besuchte, und er und seine Freunde
thaten dabei sehr kunstverständig. „Wie man sagt, bleibt ja immer etwas
Hunger; diesmal war es ein Hase von Weenix, den wir sehr bewunderten."
Also mit der Bewunderung fing er sein Knnststudium an. „Heute macht man
es gewöhnlich umgekehrt. Da die Kunst Gemeingut geworden ist, so fängt
man mit der Kritik an und läßt diese weiten Weges dem Verständnis voraus¬
gehen. Arme und Beine ist das erste, was der Laie kritisirt; seine Kenntnis


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[0293] Aus den Denkwürdigkeiten zweier Runstforscher gekommen und zu dem geworden, was sie sind. Die einen kamen von der Rechtswissenschaft, die andern von der Philologie, und sie haben sich dann selbst weiter bilden müssen. Heute giebt es Schulen, Professoren, Institute und Sammlungen, die Kunstschriftsteller werden schulmäßig herangebildet. Selbst auf den Gymnasien soll ihnen schon das „Nötigste" beigebracht werden, und „ehe noch der Geist hinlänglich gereift, ehe noch das wissenschaftlich ge¬ lernte verdaut ist. fliegen schon die jungen Kunstbeflissenen durch die Welt von Petersburg bis Madrid, von Rom bis Stockholm. So leicht wurde es uns Alten nicht gemacht." Falke erzählt uns, wie er zur Kunst gekommen ist. Bei ihm war es nicht Absicht und Wille; sein eigentlicher Lebensweg und seine besondre An¬ lage blieben ihm lange verborgen. Als Schüler und Student in Erlangen und Göttingen hatte er noch kein entschiednes Interesse für das, worin er später so ausgezeichnetes leisten sollte; nicht einmal in Hildesheim bekam er bestimmende Eindrücke. Erst in Düsseldorf, wo der Prinz einen Teil des Jahres zuzubringen pflegte, und im Verkehr mit Künstlern, dann in Wien, wohin er die Familie zum Besuche des verwandten fürstlich Liechtensteinschen Hauses begleitete, wurde es ihm klar, daß die Gegenstände der Kunst ihm die Unterlage werden müßten für eine ganz besondre, auf seiner persönlichen Richtung beruhende Art der Behandlung. Das Kunstwerk jeder Gattung und jeder Zeit, als Zeugnis einer bestimmten Kultur und als Denkmal seiner nicht mehr erhaltnen Umgebung, seines „Milieu," mit allem, was es uns lehren kann, so etwa läßt sich Falles Interesse an dem Objekt seiner Wissenschaft bezeichnen. Der Stoff war ihm ganz neu, er vermehrte ihn täglich durch frische Eindrücke. Von seinen Universitätsstudien brachte er dazu nur eine energische Richtung auf alles Geschichtliche mit; den größten Einfluß für seine spätere Entwicklung bekennt er zwei Büchern zu verdanken, in deren Verehrung ich zu meiner Freude mit ihm zusammentreffe: Johannes von Müllers Jahr¬ büchern der allgemeinen Geschichte und Schnases Niederländischen Briefen. Von Hildesheim aus hatte er auch einmal die nun längst verkaufte Galerie des Grafen Stolberg in Soter aufgesucht und als hauptsächlichen Eindruck festgehalten, daß man die Säle nur auf Filzschuhen durchwandern durfte. Es flößte ihm große Ehrfurcht vor den alten Meistern ein, sie in dieser Weise geehrt zu sehen, denn er meinte, es geschähe ihretwegen. Das war das erstemal in seinem Leben, daß er eine Galerie besuchte, und er und seine Freunde thaten dabei sehr kunstverständig. „Wie man sagt, bleibt ja immer etwas Hunger; diesmal war es ein Hase von Weenix, den wir sehr bewunderten." Also mit der Bewunderung fing er sein Knnststudium an. „Heute macht man es gewöhnlich umgekehrt. Da die Kunst Gemeingut geworden ist, so fängt man mit der Kritik an und läßt diese weiten Weges dem Verständnis voraus¬ gehen. Arme und Beine ist das erste, was der Laie kritisirt; seine Kenntnis

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/293>, abgerufen am 23.07.2024.