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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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Zur antisemitischen Bewegung in Frankreich

zu bilden bestrebt seien, wie einst Richelieu von den Protestanten gesagt hat.
Und in der That richtet sich auch die neueste Hetze gegen die Protestanten im
Süden Frankreichs gegen "die Bekenner einer aus dem verhaßten Deutschland
eingeführten Irrlehre." Der Klerus kann eine religiöse Bewegung gegen die
Juden in Frankreich als Irrgläubige nicht fertig bringen; darum wird ein
nationaler Feldzug eingeleitet. Es ist aber ein unverdientes Schicksal der Juden
elsässischer Herkunft, wenn sie als deutsche Juden verschrieen werden, da doch
die Mehrzahl nach dem Kriege die Heimat verlassen hat, in der Hoffnung, in
der Republik, in dem Lande der Gleichheit bessere Erfahrungen zu machen, als
die Leute von Deutschland erwarten zu dürfen glaubten.

Den Juden in Frankreich könnte wohl nichts erwünschter sein, als
wenn der katholische Klerus mit seinen Bestrebungen offen aufträte. Dieser
Einsicht verschließt sich auch der Klerus nicht, und deshalb werden auch nur
Plänkler und Schwärmer ins vordere Treffen geschickt, Leute, von denen man
sich jederzeit lossagen kann. Es läßt sich aber nicht verkennen, daß die Anti¬
semiten in Frankreich in den Dienst der Revanche, der Deutschenhetze getreten
sind. Daß die Führer im Streite die Klerikalen sind, darüber können keine
Zweifel bestehen.

Es zeigt sich hier wieder einmal, daß in unsrer Zeit kaum ein politischer,
religiöser oder wirtschaftlicher Gegensatz gedacht werden kann, der ohne Bei¬
mengung fremder, zur Sache nicht gehörigen Motive ausgefochten werden
könnte. Es ist eine Folge unsers Parteilebens, daß ohne solche Legirungen
kein genügender Anhang aus den verschiednen Gruppen von Parteien ge¬
worben werden kann. Selbst wirtschaftliche Fragen werden nicht mehr nach
ihrem wirtschaftlichen Feingehalt beraten und entschieden, sondern nach den
Interessen der Parteien. Zur Beurteilung der antisemitischen Bewegung in
Frankreich schien besonders für deutsche Beobachter eine Aufklärung über die
Stellung von Interesse zu sein, die der katholische Klerus in der Sache ein¬
nimmt; um aber die öffentliche Meinung in Bewegung zu setzen, bedarf es
wieder eines kräftigen Koeffizienten, und diesen bildet die Hetze gegen Deutsch¬
land, das in jeder Gestalt verächtlich gemacht und hassenswert dargestellt wird,
hier in der Gestalt deutscher Freimaurer und deutscher Juden, mögen auch
diese deutschen Juden dem Elsaß angehören, dessen Wiedergewinnung Frank¬
reich mit allen Mitteln anstrebt. Wenn der katholische Klerus in Frankreich
das Land der ersten Söhne der Kirche, der allerchristlichsten Könige, von
Protestanten und Juden gründlich säubern will, dann muß vor allen Dingen
auf die Wiedererwerbung des Elsaß verzichtet werden. Sind vielleicht in diesem
Sinne die vereinzelten ab und zu gehörten Meinungen zu verstehen, das deutsche,
stark verketzerte und verjüdelte Elsaß möchten die Deutschen behalten, das fran¬
zösische, katholische Lothringen aber müsse wieder französisch werden?




Zur antisemitischen Bewegung in Frankreich

zu bilden bestrebt seien, wie einst Richelieu von den Protestanten gesagt hat.
Und in der That richtet sich auch die neueste Hetze gegen die Protestanten im
Süden Frankreichs gegen „die Bekenner einer aus dem verhaßten Deutschland
eingeführten Irrlehre." Der Klerus kann eine religiöse Bewegung gegen die
Juden in Frankreich als Irrgläubige nicht fertig bringen; darum wird ein
nationaler Feldzug eingeleitet. Es ist aber ein unverdientes Schicksal der Juden
elsässischer Herkunft, wenn sie als deutsche Juden verschrieen werden, da doch
die Mehrzahl nach dem Kriege die Heimat verlassen hat, in der Hoffnung, in
der Republik, in dem Lande der Gleichheit bessere Erfahrungen zu machen, als
die Leute von Deutschland erwarten zu dürfen glaubten.

Den Juden in Frankreich könnte wohl nichts erwünschter sein, als
wenn der katholische Klerus mit seinen Bestrebungen offen aufträte. Dieser
Einsicht verschließt sich auch der Klerus nicht, und deshalb werden auch nur
Plänkler und Schwärmer ins vordere Treffen geschickt, Leute, von denen man
sich jederzeit lossagen kann. Es läßt sich aber nicht verkennen, daß die Anti¬
semiten in Frankreich in den Dienst der Revanche, der Deutschenhetze getreten
sind. Daß die Führer im Streite die Klerikalen sind, darüber können keine
Zweifel bestehen.

Es zeigt sich hier wieder einmal, daß in unsrer Zeit kaum ein politischer,
religiöser oder wirtschaftlicher Gegensatz gedacht werden kann, der ohne Bei¬
mengung fremder, zur Sache nicht gehörigen Motive ausgefochten werden
könnte. Es ist eine Folge unsers Parteilebens, daß ohne solche Legirungen
kein genügender Anhang aus den verschiednen Gruppen von Parteien ge¬
worben werden kann. Selbst wirtschaftliche Fragen werden nicht mehr nach
ihrem wirtschaftlichen Feingehalt beraten und entschieden, sondern nach den
Interessen der Parteien. Zur Beurteilung der antisemitischen Bewegung in
Frankreich schien besonders für deutsche Beobachter eine Aufklärung über die
Stellung von Interesse zu sein, die der katholische Klerus in der Sache ein¬
nimmt; um aber die öffentliche Meinung in Bewegung zu setzen, bedarf es
wieder eines kräftigen Koeffizienten, und diesen bildet die Hetze gegen Deutsch¬
land, das in jeder Gestalt verächtlich gemacht und hassenswert dargestellt wird,
hier in der Gestalt deutscher Freimaurer und deutscher Juden, mögen auch
diese deutschen Juden dem Elsaß angehören, dessen Wiedergewinnung Frank¬
reich mit allen Mitteln anstrebt. Wenn der katholische Klerus in Frankreich
das Land der ersten Söhne der Kirche, der allerchristlichsten Könige, von
Protestanten und Juden gründlich säubern will, dann muß vor allen Dingen
auf die Wiedererwerbung des Elsaß verzichtet werden. Sind vielleicht in diesem
Sinne die vereinzelten ab und zu gehörten Meinungen zu verstehen, das deutsche,
stark verketzerte und verjüdelte Elsaß möchten die Deutschen behalten, das fran¬
zösische, katholische Lothringen aber müsse wieder französisch werden?




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/290>, abgerufen am 23.07.2024.