Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Zur antisemitischen Bewegung in Frankreich

französischen Revolution beraten wurden, und zwar nicht in Frankreich, sondern
in Deutschland, und nicht vou Franzosen, sondern von Angehörigen aller
Nationen Europas, und daß andrerseits Frankreich allerdings zuerst durch die
Nationalversammlung den Gedanken verwirklichte, daß aber dieser Beschluß
nicht nur im Elsaß und in Lothringen, sondern ebenso im südlichen Frankreich
heftigen Widerspruch erfuhr, und nicht nur Vonseiten der Christen, sondern
ganz besonders Vonseiten der französischen Glaubensgenossen der Juden.
Dabei ist beachtenswert, daß die klerikalen Antisemiten in Frankreich jetzt
bestrebt sind, diese Thatsachen zu dem Zwecke wieder hervorzuholen, den
ganzen Unwillen der französischen Antisemiten über die Emanzipation auf die
Freimaurer und insbesondre auf die deutschen Freimaurer abzulenken und die
Judenhetze gegen die Juden deutschen und elsässischen Ursprungs zu richten,
und zwar, wie wir sehen werden, im Einklange mit alten Überlieferungen.

Man mag den französischen Martinisten die Ehre zuerkennen, zuerst in
Frankreich das Interesse sür die Sache der Juden in weitern Kreisen verbreitet
und Beziehungen im Auslande angeknüpft zu haben; Toland hat für die Juden
in England schon 1715 die Naturalisation verlangt. Die erste That folgte
doch erst viel später; das war die Zulassung der Juden in den Freimaurer¬
orden. Diese Aufnahme wurde vorbereitet durch die Illuminaten in Baiern,
an deren Spitze Professor Weishaupt in Ingolstadt stand; sie wurde be¬
schlossen oder erfolgte thatsächlich 1781 in dem Konvent zu Wilhelmsbad bei
Frankfurt, der unter dem Protektorate des Herzogs Ferdinand von Braun¬
schweig und unter Zustimmung andrer deutscher Fürsten abgehalten wurde.
In Deutschland hatte Lessing Schule gemacht und durch die dem Decamerone
des Boccaccio entlehnte Parabel von den drei Ringen den Geist der Duld¬
samkeit geweckt. Lessings Schüler Moses Mendelssohn erwarb sich gerade da¬
durch die Sympathien der damals sogenannten "fortgeschrittnen Kreise Berlins"
(ig eel'Llö kVWLv als lZ<zi'1w), daß er durch seine Versuche, zwischen den Be¬
kenntnissen zu vermitteln, ganz besonders aber durch seine deutsche Übersetzung
und durch Berichtigung des Pentateuch den Zorn der orthodoxen Glaubens¬
genossen, besonders der polnischen Juden auf sich gezogen hatte; Mendelssohn
wirkte aber auf die öffentliche Meinung nachdrücklich und machte sie em¬
pfänglich für die Schrift des Archivars und nachmaligen Diplomaten Christian
Wilhelm Dohm "Über die bürgerliche Verbesserung der Juden." Mirabeau,
der sich 1786 in Berlin aufhielt, knüpfte mit Dohm, Nicolai, Leuchsenring usw.
Beziehungen an und fand im Salon der schönen und geistreichen Henriette
Herz in Berlin Anschluß an die Freunde Mendelssohns und an den "sort-
geschrittnen Kreis"; seine 1788 in London erschienenen Schriften über Moses
Mendelssohn und über die politische Reform der Juden waren die Frucht
seines Aufenthalts in Deutschland. Wir kennen nicht die Beziehungen der
französischen Logen zu diesen Kreisen Berlins; sicher ist aber, daß die Juden


Zur antisemitischen Bewegung in Frankreich

französischen Revolution beraten wurden, und zwar nicht in Frankreich, sondern
in Deutschland, und nicht vou Franzosen, sondern von Angehörigen aller
Nationen Europas, und daß andrerseits Frankreich allerdings zuerst durch die
Nationalversammlung den Gedanken verwirklichte, daß aber dieser Beschluß
nicht nur im Elsaß und in Lothringen, sondern ebenso im südlichen Frankreich
heftigen Widerspruch erfuhr, und nicht nur Vonseiten der Christen, sondern
ganz besonders Vonseiten der französischen Glaubensgenossen der Juden.
Dabei ist beachtenswert, daß die klerikalen Antisemiten in Frankreich jetzt
bestrebt sind, diese Thatsachen zu dem Zwecke wieder hervorzuholen, den
ganzen Unwillen der französischen Antisemiten über die Emanzipation auf die
Freimaurer und insbesondre auf die deutschen Freimaurer abzulenken und die
Judenhetze gegen die Juden deutschen und elsässischen Ursprungs zu richten,
und zwar, wie wir sehen werden, im Einklange mit alten Überlieferungen.

Man mag den französischen Martinisten die Ehre zuerkennen, zuerst in
Frankreich das Interesse sür die Sache der Juden in weitern Kreisen verbreitet
und Beziehungen im Auslande angeknüpft zu haben; Toland hat für die Juden
in England schon 1715 die Naturalisation verlangt. Die erste That folgte
doch erst viel später; das war die Zulassung der Juden in den Freimaurer¬
orden. Diese Aufnahme wurde vorbereitet durch die Illuminaten in Baiern,
an deren Spitze Professor Weishaupt in Ingolstadt stand; sie wurde be¬
schlossen oder erfolgte thatsächlich 1781 in dem Konvent zu Wilhelmsbad bei
Frankfurt, der unter dem Protektorate des Herzogs Ferdinand von Braun¬
schweig und unter Zustimmung andrer deutscher Fürsten abgehalten wurde.
In Deutschland hatte Lessing Schule gemacht und durch die dem Decamerone
des Boccaccio entlehnte Parabel von den drei Ringen den Geist der Duld¬
samkeit geweckt. Lessings Schüler Moses Mendelssohn erwarb sich gerade da¬
durch die Sympathien der damals sogenannten „fortgeschrittnen Kreise Berlins"
(ig eel'Llö kVWLv als lZ<zi'1w), daß er durch seine Versuche, zwischen den Be¬
kenntnissen zu vermitteln, ganz besonders aber durch seine deutsche Übersetzung
und durch Berichtigung des Pentateuch den Zorn der orthodoxen Glaubens¬
genossen, besonders der polnischen Juden auf sich gezogen hatte; Mendelssohn
wirkte aber auf die öffentliche Meinung nachdrücklich und machte sie em¬
pfänglich für die Schrift des Archivars und nachmaligen Diplomaten Christian
Wilhelm Dohm „Über die bürgerliche Verbesserung der Juden." Mirabeau,
der sich 1786 in Berlin aufhielt, knüpfte mit Dohm, Nicolai, Leuchsenring usw.
Beziehungen an und fand im Salon der schönen und geistreichen Henriette
Herz in Berlin Anschluß an die Freunde Mendelssohns und an den „sort-
geschrittnen Kreis"; seine 1788 in London erschienenen Schriften über Moses
Mendelssohn und über die politische Reform der Juden waren die Frucht
seines Aufenthalts in Deutschland. Wir kennen nicht die Beziehungen der
französischen Logen zu diesen Kreisen Berlins; sicher ist aber, daß die Juden


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0283" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/225211"/>
          <fw type="header" place="top"> Zur antisemitischen Bewegung in Frankreich</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_941" prev="#ID_940"> französischen Revolution beraten wurden, und zwar nicht in Frankreich, sondern<lb/>
in Deutschland, und nicht vou Franzosen, sondern von Angehörigen aller<lb/>
Nationen Europas, und daß andrerseits Frankreich allerdings zuerst durch die<lb/>
Nationalversammlung den Gedanken verwirklichte, daß aber dieser Beschluß<lb/>
nicht nur im Elsaß und in Lothringen, sondern ebenso im südlichen Frankreich<lb/>
heftigen Widerspruch erfuhr, und nicht nur Vonseiten der Christen, sondern<lb/>
ganz besonders Vonseiten der französischen Glaubensgenossen der Juden.<lb/>
Dabei ist beachtenswert, daß die klerikalen Antisemiten in Frankreich jetzt<lb/>
bestrebt sind, diese Thatsachen zu dem Zwecke wieder hervorzuholen, den<lb/>
ganzen Unwillen der französischen Antisemiten über die Emanzipation auf die<lb/>
Freimaurer und insbesondre auf die deutschen Freimaurer abzulenken und die<lb/>
Judenhetze gegen die Juden deutschen und elsässischen Ursprungs zu richten,<lb/>
und zwar, wie wir sehen werden, im Einklange mit alten Überlieferungen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_942" next="#ID_943"> Man mag den französischen Martinisten die Ehre zuerkennen, zuerst in<lb/>
Frankreich das Interesse sür die Sache der Juden in weitern Kreisen verbreitet<lb/>
und Beziehungen im Auslande angeknüpft zu haben; Toland hat für die Juden<lb/>
in England schon 1715 die Naturalisation verlangt. Die erste That folgte<lb/>
doch erst viel später; das war die Zulassung der Juden in den Freimaurer¬<lb/>
orden. Diese Aufnahme wurde vorbereitet durch die Illuminaten in Baiern,<lb/>
an deren Spitze Professor Weishaupt in Ingolstadt stand; sie wurde be¬<lb/>
schlossen oder erfolgte thatsächlich 1781 in dem Konvent zu Wilhelmsbad bei<lb/>
Frankfurt, der unter dem Protektorate des Herzogs Ferdinand von Braun¬<lb/>
schweig und unter Zustimmung andrer deutscher Fürsten abgehalten wurde.<lb/>
In Deutschland hatte Lessing Schule gemacht und durch die dem Decamerone<lb/>
des Boccaccio entlehnte Parabel von den drei Ringen den Geist der Duld¬<lb/>
samkeit geweckt. Lessings Schüler Moses Mendelssohn erwarb sich gerade da¬<lb/>
durch die Sympathien der damals sogenannten &#x201E;fortgeschrittnen Kreise Berlins"<lb/>
(ig eel'Llö kVWLv als lZ&lt;zi'1w), daß er durch seine Versuche, zwischen den Be¬<lb/>
kenntnissen zu vermitteln, ganz besonders aber durch seine deutsche Übersetzung<lb/>
und durch Berichtigung des Pentateuch den Zorn der orthodoxen Glaubens¬<lb/>
genossen, besonders der polnischen Juden auf sich gezogen hatte; Mendelssohn<lb/>
wirkte aber auf die öffentliche Meinung nachdrücklich und machte sie em¬<lb/>
pfänglich für die Schrift des Archivars und nachmaligen Diplomaten Christian<lb/>
Wilhelm Dohm &#x201E;Über die bürgerliche Verbesserung der Juden." Mirabeau,<lb/>
der sich 1786 in Berlin aufhielt, knüpfte mit Dohm, Nicolai, Leuchsenring usw.<lb/>
Beziehungen an und fand im Salon der schönen und geistreichen Henriette<lb/>
Herz in Berlin Anschluß an die Freunde Mendelssohns und an den &#x201E;sort-<lb/>
geschrittnen Kreis"; seine 1788 in London erschienenen Schriften über Moses<lb/>
Mendelssohn und über die politische Reform der Juden waren die Frucht<lb/>
seines Aufenthalts in Deutschland. Wir kennen nicht die Beziehungen der<lb/>
französischen Logen zu diesen Kreisen Berlins; sicher ist aber, daß die Juden</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0283] Zur antisemitischen Bewegung in Frankreich französischen Revolution beraten wurden, und zwar nicht in Frankreich, sondern in Deutschland, und nicht vou Franzosen, sondern von Angehörigen aller Nationen Europas, und daß andrerseits Frankreich allerdings zuerst durch die Nationalversammlung den Gedanken verwirklichte, daß aber dieser Beschluß nicht nur im Elsaß und in Lothringen, sondern ebenso im südlichen Frankreich heftigen Widerspruch erfuhr, und nicht nur Vonseiten der Christen, sondern ganz besonders Vonseiten der französischen Glaubensgenossen der Juden. Dabei ist beachtenswert, daß die klerikalen Antisemiten in Frankreich jetzt bestrebt sind, diese Thatsachen zu dem Zwecke wieder hervorzuholen, den ganzen Unwillen der französischen Antisemiten über die Emanzipation auf die Freimaurer und insbesondre auf die deutschen Freimaurer abzulenken und die Judenhetze gegen die Juden deutschen und elsässischen Ursprungs zu richten, und zwar, wie wir sehen werden, im Einklange mit alten Überlieferungen. Man mag den französischen Martinisten die Ehre zuerkennen, zuerst in Frankreich das Interesse sür die Sache der Juden in weitern Kreisen verbreitet und Beziehungen im Auslande angeknüpft zu haben; Toland hat für die Juden in England schon 1715 die Naturalisation verlangt. Die erste That folgte doch erst viel später; das war die Zulassung der Juden in den Freimaurer¬ orden. Diese Aufnahme wurde vorbereitet durch die Illuminaten in Baiern, an deren Spitze Professor Weishaupt in Ingolstadt stand; sie wurde be¬ schlossen oder erfolgte thatsächlich 1781 in dem Konvent zu Wilhelmsbad bei Frankfurt, der unter dem Protektorate des Herzogs Ferdinand von Braun¬ schweig und unter Zustimmung andrer deutscher Fürsten abgehalten wurde. In Deutschland hatte Lessing Schule gemacht und durch die dem Decamerone des Boccaccio entlehnte Parabel von den drei Ringen den Geist der Duld¬ samkeit geweckt. Lessings Schüler Moses Mendelssohn erwarb sich gerade da¬ durch die Sympathien der damals sogenannten „fortgeschrittnen Kreise Berlins" (ig eel'Llö kVWLv als lZ<zi'1w), daß er durch seine Versuche, zwischen den Be¬ kenntnissen zu vermitteln, ganz besonders aber durch seine deutsche Übersetzung und durch Berichtigung des Pentateuch den Zorn der orthodoxen Glaubens¬ genossen, besonders der polnischen Juden auf sich gezogen hatte; Mendelssohn wirkte aber auf die öffentliche Meinung nachdrücklich und machte sie em¬ pfänglich für die Schrift des Archivars und nachmaligen Diplomaten Christian Wilhelm Dohm „Über die bürgerliche Verbesserung der Juden." Mirabeau, der sich 1786 in Berlin aufhielt, knüpfte mit Dohm, Nicolai, Leuchsenring usw. Beziehungen an und fand im Salon der schönen und geistreichen Henriette Herz in Berlin Anschluß an die Freunde Mendelssohns und an den „sort- geschrittnen Kreis"; seine 1788 in London erschienenen Schriften über Moses Mendelssohn und über die politische Reform der Juden waren die Frucht seines Aufenthalts in Deutschland. Wir kennen nicht die Beziehungen der französischen Logen zu diesen Kreisen Berlins; sicher ist aber, daß die Juden

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/283
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/283>, abgerufen am 23.07.2024.