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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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Zur antisemitischen Bewegung in Frankreich

ordmmg des Gerichtshofes zu Kolmar. Die Forderungen der Juden im Elsaß
wurden damals auf zwölf bis fünfzehn Millionen Livres berechnet; der elsässische
Abgeordnete Rewbell erklärte in der koustituirenden Versammlung am 27. Sep¬
tember 1791, die Juden wollten sich mit vier Millionen zufrieden geben, wenn
der Staat diese Leistung übernähme. Die Versammlung beschäftigte sich aber
mit dieser Angelegenheit nicht weiter.

Es ist sehr belustigend, zu sehen, wie im Gegensatze zu den Ausführungen
der katholischen antisemitischen Schriftsteller und der Redner beim Kongreß von
Lyon die hervorragenden Persönlichkeiten, die die Redaktion des Blattes
^rc;uivö8 Jörg.v1it,of aus Anlaß des hundertsten Jahrestags des Beschlusses der
Nationalversammlung vom 27. September 1791 um ihre Meinung über die
Bedeutung des Ereignisses befragt hatte, von Verdiensten der katholischen Kirche
und des französischen Königtums um die Juden nichts zu sagen wußten.
Barthvlemy Saint-Hilmre meinte, ohne das Alte Testament wäre das Neue
nicht möglich gewesen; es sei das Verdienst Voltaires, den Geist der Duldung
verbreitet zu haben, obwohl er selbst nicht duldsam gewesen sei. Jules
Simon erklärte, die Katholiken seien der Nationalversammlung ebenso viel
Dank schuldig wie die Juden; denn sie habe den Juden die Eigenschaft als
Verfolgte, den Katholiken die Eigenschaft als Verfolger genommen. Ähnlich
andre Größen. Nur im Figaro schalt Philipp de Grcmdlieu die Juden, weil
sie vergessen hätten, daß der edle König Ludwig XVI. die Emanzipationsdekrete
unterzeichnet hätte, während sie doch infolge dieses hochherzigen Entschlusses
des Königs heute sagen könnten, wie Mardochai in Raeines Esther: "Ich
regiere das Reich, in dem ich Sklave war." "Am 27. September 1791
waren die Juden in Frankreich nichts, das war nicht genug; am 27. Sep¬
tember 1891 sind die Juden in Frankreich alles, oder fast alles, ist das nicht
zuviel?"

Daß die Franzosen von 1891 das Verdienst der Emanzipation von 1791,
das die Katholiken sich und dem Königtum zumessen, dem Volke, der großen
Nation zuerkennen, ist ja begreiflich. Die Auseinandersetzung über diese
Meinungsverschiedenheiten können wir füglich den Franzosen überlassen.

Uns Deutsche berührt zunächst eine andre Frage. Gelegentlich des Ge¬
denktags von 1791 ist ebenso wie beim antisemitischen Kongreß in Lyon der
in der antisemitischen katholischen Litteratur aus früherer Zeit, besonders von
den Brüdern Lvmann mannichfach ausgeführte Gedanke wiederholt worden,
daß die französische Nation allein die Hochherzigkeit und den ritterlichen Sinn
gehabt habe, die zu einem so großen Entschlüsse wie der Emanzipation der
Juden nötig seien, kein andres Volk sei dazu imstande gewesen.

Solcher Überhebung gegenüber dürfte es am Platze sein, darauf aufmerk¬
sam zu machen, daß einerseits die Mittel zur Ausführung des Gedankens, daß
den Juden die vollen bürgerlichen Rechte zu gewähren seien, schon vor der


Zur antisemitischen Bewegung in Frankreich

ordmmg des Gerichtshofes zu Kolmar. Die Forderungen der Juden im Elsaß
wurden damals auf zwölf bis fünfzehn Millionen Livres berechnet; der elsässische
Abgeordnete Rewbell erklärte in der koustituirenden Versammlung am 27. Sep¬
tember 1791, die Juden wollten sich mit vier Millionen zufrieden geben, wenn
der Staat diese Leistung übernähme. Die Versammlung beschäftigte sich aber
mit dieser Angelegenheit nicht weiter.

Es ist sehr belustigend, zu sehen, wie im Gegensatze zu den Ausführungen
der katholischen antisemitischen Schriftsteller und der Redner beim Kongreß von
Lyon die hervorragenden Persönlichkeiten, die die Redaktion des Blattes
^rc;uivö8 Jörg.v1it,of aus Anlaß des hundertsten Jahrestags des Beschlusses der
Nationalversammlung vom 27. September 1791 um ihre Meinung über die
Bedeutung des Ereignisses befragt hatte, von Verdiensten der katholischen Kirche
und des französischen Königtums um die Juden nichts zu sagen wußten.
Barthvlemy Saint-Hilmre meinte, ohne das Alte Testament wäre das Neue
nicht möglich gewesen; es sei das Verdienst Voltaires, den Geist der Duldung
verbreitet zu haben, obwohl er selbst nicht duldsam gewesen sei. Jules
Simon erklärte, die Katholiken seien der Nationalversammlung ebenso viel
Dank schuldig wie die Juden; denn sie habe den Juden die Eigenschaft als
Verfolgte, den Katholiken die Eigenschaft als Verfolger genommen. Ähnlich
andre Größen. Nur im Figaro schalt Philipp de Grcmdlieu die Juden, weil
sie vergessen hätten, daß der edle König Ludwig XVI. die Emanzipationsdekrete
unterzeichnet hätte, während sie doch infolge dieses hochherzigen Entschlusses
des Königs heute sagen könnten, wie Mardochai in Raeines Esther: „Ich
regiere das Reich, in dem ich Sklave war." „Am 27. September 1791
waren die Juden in Frankreich nichts, das war nicht genug; am 27. Sep¬
tember 1891 sind die Juden in Frankreich alles, oder fast alles, ist das nicht
zuviel?"

Daß die Franzosen von 1891 das Verdienst der Emanzipation von 1791,
das die Katholiken sich und dem Königtum zumessen, dem Volke, der großen
Nation zuerkennen, ist ja begreiflich. Die Auseinandersetzung über diese
Meinungsverschiedenheiten können wir füglich den Franzosen überlassen.

Uns Deutsche berührt zunächst eine andre Frage. Gelegentlich des Ge¬
denktags von 1791 ist ebenso wie beim antisemitischen Kongreß in Lyon der
in der antisemitischen katholischen Litteratur aus früherer Zeit, besonders von
den Brüdern Lvmann mannichfach ausgeführte Gedanke wiederholt worden,
daß die französische Nation allein die Hochherzigkeit und den ritterlichen Sinn
gehabt habe, die zu einem so großen Entschlüsse wie der Emanzipation der
Juden nötig seien, kein andres Volk sei dazu imstande gewesen.

Solcher Überhebung gegenüber dürfte es am Platze sein, darauf aufmerk¬
sam zu machen, daß einerseits die Mittel zur Ausführung des Gedankens, daß
den Juden die vollen bürgerlichen Rechte zu gewähren seien, schon vor der


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[0282] Zur antisemitischen Bewegung in Frankreich ordmmg des Gerichtshofes zu Kolmar. Die Forderungen der Juden im Elsaß wurden damals auf zwölf bis fünfzehn Millionen Livres berechnet; der elsässische Abgeordnete Rewbell erklärte in der koustituirenden Versammlung am 27. Sep¬ tember 1791, die Juden wollten sich mit vier Millionen zufrieden geben, wenn der Staat diese Leistung übernähme. Die Versammlung beschäftigte sich aber mit dieser Angelegenheit nicht weiter. Es ist sehr belustigend, zu sehen, wie im Gegensatze zu den Ausführungen der katholischen antisemitischen Schriftsteller und der Redner beim Kongreß von Lyon die hervorragenden Persönlichkeiten, die die Redaktion des Blattes ^rc;uivö8 Jörg.v1it,of aus Anlaß des hundertsten Jahrestags des Beschlusses der Nationalversammlung vom 27. September 1791 um ihre Meinung über die Bedeutung des Ereignisses befragt hatte, von Verdiensten der katholischen Kirche und des französischen Königtums um die Juden nichts zu sagen wußten. Barthvlemy Saint-Hilmre meinte, ohne das Alte Testament wäre das Neue nicht möglich gewesen; es sei das Verdienst Voltaires, den Geist der Duldung verbreitet zu haben, obwohl er selbst nicht duldsam gewesen sei. Jules Simon erklärte, die Katholiken seien der Nationalversammlung ebenso viel Dank schuldig wie die Juden; denn sie habe den Juden die Eigenschaft als Verfolgte, den Katholiken die Eigenschaft als Verfolger genommen. Ähnlich andre Größen. Nur im Figaro schalt Philipp de Grcmdlieu die Juden, weil sie vergessen hätten, daß der edle König Ludwig XVI. die Emanzipationsdekrete unterzeichnet hätte, während sie doch infolge dieses hochherzigen Entschlusses des Königs heute sagen könnten, wie Mardochai in Raeines Esther: „Ich regiere das Reich, in dem ich Sklave war." „Am 27. September 1791 waren die Juden in Frankreich nichts, das war nicht genug; am 27. Sep¬ tember 1891 sind die Juden in Frankreich alles, oder fast alles, ist das nicht zuviel?" Daß die Franzosen von 1891 das Verdienst der Emanzipation von 1791, das die Katholiken sich und dem Königtum zumessen, dem Volke, der großen Nation zuerkennen, ist ja begreiflich. Die Auseinandersetzung über diese Meinungsverschiedenheiten können wir füglich den Franzosen überlassen. Uns Deutsche berührt zunächst eine andre Frage. Gelegentlich des Ge¬ denktags von 1791 ist ebenso wie beim antisemitischen Kongreß in Lyon der in der antisemitischen katholischen Litteratur aus früherer Zeit, besonders von den Brüdern Lvmann mannichfach ausgeführte Gedanke wiederholt worden, daß die französische Nation allein die Hochherzigkeit und den ritterlichen Sinn gehabt habe, die zu einem so großen Entschlüsse wie der Emanzipation der Juden nötig seien, kein andres Volk sei dazu imstande gewesen. Solcher Überhebung gegenüber dürfte es am Platze sein, darauf aufmerk¬ sam zu machen, daß einerseits die Mittel zur Ausführung des Gedankens, daß den Juden die vollen bürgerlichen Rechte zu gewähren seien, schon vor der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/282>, abgerufen am 23.07.2024.