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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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Die Teilung der Provinz Posen

polnischen Bevölkerung, die deutschen Katholiken unter dem unablässigen Druck
der polnischen Geistlichkeit für das Polentum gewonnen worden sind.

Die Ursache des Fehlschlagens jener Maßnahmen wird von verschiednen
Seiten besonders in der schwankenden Haltung der Behörden der Provinz
Posen gesucht. Diesen wird vorgeworfen, daß sie die zu Gebote stehenden
Mittel zur Förderung des Deutschtums wiederholt nicht mit der nötigen Kraft
und Beharrlichkeit durchgeführt hätten. Statt einer festen Handhabung der
Verwaltung wäre trotz der frühern Erfahrungen immer von neuem eine durch¬
aus verfehlte Versöhnungspolitik versucht worden. Durch den trügerischen
Schein der polnischen Friedcnsversicherungen hätte man sich immer wieder
blenden und infolge dessen auf das Gejammer der Polen über Vergewaltigung
und Bedrückung eine unangebrachte Nachgiebigkeit bei der Ausführung der ein¬
schlägigen Bestimmungen walten lassen. Dabei hätten diese Versöhnungs¬
politik und eine straffere Führung der Zügel fortwährend gewechselt und sich
immer wieder einander abgelöst, sodaß man schon deswegen auf dem halben
Wege des Erfolgs hätte stehen bleiben müssen. Es sei nun nicht nur nichts
erreicht worden, sondern die dortige deutsche Bevölkerung habe dadurch ihren
Halt an der Regierung verloren und sei, um ihre wirtschaftliche Existenz zu
retten, den auf sie eindringenden polnischen Bestrebungen erlegen. So hätten
die Polen das Deutschtum in der Provinz Posen zurückgedrängt und selbst
die Oberhand gewonnen.

Allerdings wird von dieser Seite zugeben und anerkannt, daß die leitenden
Posener Negierungsorgane in ihren Entschlüssen nicht immer unbeeinflußt ge¬
wesen find, daß sie bei der vollständigen Verquickung der nationalen Frage
mit der gesamten Staatspolitik die Stimmung in Berlin und die Einwirkung
der polnischen Fraktion im Reichstage und im Abgeordnetenhause zu berück¬
sichtigen gehabt haben. Das ist umso mehr der Fall gewesen, als das Polen¬
tum von der Zentrumspartei in allen nationalen Fragen unterstützt worden
ist, seit den Polen die Begriffe "polnisch" und "katholisch" im wesentlichen
für eins gelten- Die Schuld trifft also nicht eigentlich die Personen, sondern,
insofern die polnische Nation in der Provinz Posen die Mehrheit in der Be¬
völkerungszahl und ihr Hauptquartier hat, die Einrichtungen. Man will daher
die posenschen Zentralbehörden, die sich eben dieser Einwirkung nicht entziehen
können, aufheben, also die Provinz Posen als solche auflösen und ihr Gebiet
andern deutschen Provinzen einverleiben, um so dem Polentum einen Schlag
zu versetzen, der geeignet wäre, seinen Bestrebungen am schnellsten ein Ende
zu machen.*)

Der Vorschlag hat auf den ersten Blick etwas verlockendes. Auch ist er
nicht neu und soll schon zu Bismarcks Zeiten in Erwägung gezogen worden



Vergl. die Kölnische Zeitung vom 28. September v, I,, Ur. 8M,
Die Teilung der Provinz Posen

polnischen Bevölkerung, die deutschen Katholiken unter dem unablässigen Druck
der polnischen Geistlichkeit für das Polentum gewonnen worden sind.

Die Ursache des Fehlschlagens jener Maßnahmen wird von verschiednen
Seiten besonders in der schwankenden Haltung der Behörden der Provinz
Posen gesucht. Diesen wird vorgeworfen, daß sie die zu Gebote stehenden
Mittel zur Förderung des Deutschtums wiederholt nicht mit der nötigen Kraft
und Beharrlichkeit durchgeführt hätten. Statt einer festen Handhabung der
Verwaltung wäre trotz der frühern Erfahrungen immer von neuem eine durch¬
aus verfehlte Versöhnungspolitik versucht worden. Durch den trügerischen
Schein der polnischen Friedcnsversicherungen hätte man sich immer wieder
blenden und infolge dessen auf das Gejammer der Polen über Vergewaltigung
und Bedrückung eine unangebrachte Nachgiebigkeit bei der Ausführung der ein¬
schlägigen Bestimmungen walten lassen. Dabei hätten diese Versöhnungs¬
politik und eine straffere Führung der Zügel fortwährend gewechselt und sich
immer wieder einander abgelöst, sodaß man schon deswegen auf dem halben
Wege des Erfolgs hätte stehen bleiben müssen. Es sei nun nicht nur nichts
erreicht worden, sondern die dortige deutsche Bevölkerung habe dadurch ihren
Halt an der Regierung verloren und sei, um ihre wirtschaftliche Existenz zu
retten, den auf sie eindringenden polnischen Bestrebungen erlegen. So hätten
die Polen das Deutschtum in der Provinz Posen zurückgedrängt und selbst
die Oberhand gewonnen.

Allerdings wird von dieser Seite zugeben und anerkannt, daß die leitenden
Posener Negierungsorgane in ihren Entschlüssen nicht immer unbeeinflußt ge¬
wesen find, daß sie bei der vollständigen Verquickung der nationalen Frage
mit der gesamten Staatspolitik die Stimmung in Berlin und die Einwirkung
der polnischen Fraktion im Reichstage und im Abgeordnetenhause zu berück¬
sichtigen gehabt haben. Das ist umso mehr der Fall gewesen, als das Polen¬
tum von der Zentrumspartei in allen nationalen Fragen unterstützt worden
ist, seit den Polen die Begriffe „polnisch" und „katholisch" im wesentlichen
für eins gelten- Die Schuld trifft also nicht eigentlich die Personen, sondern,
insofern die polnische Nation in der Provinz Posen die Mehrheit in der Be¬
völkerungszahl und ihr Hauptquartier hat, die Einrichtungen. Man will daher
die posenschen Zentralbehörden, die sich eben dieser Einwirkung nicht entziehen
können, aufheben, also die Provinz Posen als solche auflösen und ihr Gebiet
andern deutschen Provinzen einverleiben, um so dem Polentum einen Schlag
zu versetzen, der geeignet wäre, seinen Bestrebungen am schnellsten ein Ende
zu machen.*)

Der Vorschlag hat auf den ersten Blick etwas verlockendes. Auch ist er
nicht neu und soll schon zu Bismarcks Zeiten in Erwägung gezogen worden



Vergl. die Kölnische Zeitung vom 28. September v, I,, Ur. 8M,
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[0266] Die Teilung der Provinz Posen polnischen Bevölkerung, die deutschen Katholiken unter dem unablässigen Druck der polnischen Geistlichkeit für das Polentum gewonnen worden sind. Die Ursache des Fehlschlagens jener Maßnahmen wird von verschiednen Seiten besonders in der schwankenden Haltung der Behörden der Provinz Posen gesucht. Diesen wird vorgeworfen, daß sie die zu Gebote stehenden Mittel zur Förderung des Deutschtums wiederholt nicht mit der nötigen Kraft und Beharrlichkeit durchgeführt hätten. Statt einer festen Handhabung der Verwaltung wäre trotz der frühern Erfahrungen immer von neuem eine durch¬ aus verfehlte Versöhnungspolitik versucht worden. Durch den trügerischen Schein der polnischen Friedcnsversicherungen hätte man sich immer wieder blenden und infolge dessen auf das Gejammer der Polen über Vergewaltigung und Bedrückung eine unangebrachte Nachgiebigkeit bei der Ausführung der ein¬ schlägigen Bestimmungen walten lassen. Dabei hätten diese Versöhnungs¬ politik und eine straffere Führung der Zügel fortwährend gewechselt und sich immer wieder einander abgelöst, sodaß man schon deswegen auf dem halben Wege des Erfolgs hätte stehen bleiben müssen. Es sei nun nicht nur nichts erreicht worden, sondern die dortige deutsche Bevölkerung habe dadurch ihren Halt an der Regierung verloren und sei, um ihre wirtschaftliche Existenz zu retten, den auf sie eindringenden polnischen Bestrebungen erlegen. So hätten die Polen das Deutschtum in der Provinz Posen zurückgedrängt und selbst die Oberhand gewonnen. Allerdings wird von dieser Seite zugeben und anerkannt, daß die leitenden Posener Negierungsorgane in ihren Entschlüssen nicht immer unbeeinflußt ge¬ wesen find, daß sie bei der vollständigen Verquickung der nationalen Frage mit der gesamten Staatspolitik die Stimmung in Berlin und die Einwirkung der polnischen Fraktion im Reichstage und im Abgeordnetenhause zu berück¬ sichtigen gehabt haben. Das ist umso mehr der Fall gewesen, als das Polen¬ tum von der Zentrumspartei in allen nationalen Fragen unterstützt worden ist, seit den Polen die Begriffe „polnisch" und „katholisch" im wesentlichen für eins gelten- Die Schuld trifft also nicht eigentlich die Personen, sondern, insofern die polnische Nation in der Provinz Posen die Mehrheit in der Be¬ völkerungszahl und ihr Hauptquartier hat, die Einrichtungen. Man will daher die posenschen Zentralbehörden, die sich eben dieser Einwirkung nicht entziehen können, aufheben, also die Provinz Posen als solche auflösen und ihr Gebiet andern deutschen Provinzen einverleiben, um so dem Polentum einen Schlag zu versetzen, der geeignet wäre, seinen Bestrebungen am schnellsten ein Ende zu machen.*) Der Vorschlag hat auf den ersten Blick etwas verlockendes. Auch ist er nicht neu und soll schon zu Bismarcks Zeiten in Erwägung gezogen worden Vergl. die Kölnische Zeitung vom 28. September v, I,, Ur. 8M,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/266>, abgerufen am 23.07.2024.