Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Vlamen und Wallonen

für unrecht und thöricht anzusehen. Aber hier entscheidet schließlich allein der
Erfolg. Wenn es die Slowenen usw. durch ihr energisches Vorgehen zu einer
bedeutenden Litteratur bringen -- was doch nicht unmöglich ist! --, dann haben
sie eben mit ihren deutschfeindlichen Anstrengungen Recht gehabt. Ebenso steht
es mit den Vlamen. Das vlämische Volk beginnt sich zu fühlen und will seine
eigne Kultur haben. Die Vlamen, die in französischer Sprache schreiben, haben
wohl einen größern Leserkreis; aber sie können ihre Eigentümlichkeiten niemals
in einer fremden Sprache so gut zur Geltung bringen wie in ihrer eignen.
Beherrschen sie aber, wie es wohl vorkommt, das Französische besser als ihre
eigentliche Muttersprache, so ist das doch immer ein unnatürlicher, kein nor¬
maler Zustand.

Der vlämische Nativnalroman Ililsnsxiögöl, der die Geschichte des echt-
vlümischen Nationalhelden Eulenspiegel zur Zeit Wilhelms von Oranien
schildert, ist in französischer Sprache geschrieben. Jedenfalls war sein Ver¬
fasser de Koster des Vlämischen zu wenig kundig, als daß er ihn in dieser
Sprache hätte schreibe" können. Sicher hätte er aber dann größern Erfolg
und größere Wirkung gehabt als jetzt, denn sein Roman wird von den des
Französischen kundigen sehr wenig gelesen. Der Verfasser, der im größten
Elend starb, wurde erst dem größern Publikum bekannt, als ein junger
genialer Bildhauer auf einer Ausstellung in Brüssel das Modell seines Denk¬
mals mit den beiden Hauptfiguren des Romans ausgestellt hatte. Jetzt steht
das Denkmal zu seiner Ehre aufgerichtet in Brüssel; aber sein Roman wird
doch nicht gelesen.

Vor kurzem hat Cyrill Buysse, ein vlümischer Romanschriftsteller, der sich
nach dem Haag zurückgezogen hat, einen heftigen Artikel gegen die vlämische
Sprache geschrieben und den ganzen Flamingantismus verurteilt. Aber er hat
immer mehr französisch als vlämisch gedacht und geschrieben, als er niederländisch
schrieb; und der Hauptgrund, den er gegen die vlämische Bewegung anführt,
ist auch ganz egoistisch: nämlich daß ein Schriftsteller, der auf die Vlamen
allein angewiesen sei, verhungern könne. Freilich, wer für ein kleines Volk
schreibt, kaun nicht den materiellen Erfolg haben wie einer, der einem großen
Volke angehört; aber ebenso wahr ist es, daß allein durch Hochherzigkeit
und Opfer eine neue Litteratur geschaffen werden kann. Die Vlamen sind
außerordentlich thätig, um ihre Bildung zu erhöhen, und das verdient alle An¬
erkennung. In der Poesie haben sie auch schon ganz beachtenswerte Leistungen
aufzuweisen, während sie in der Prosa natürlich noch zurückstehen, denn die
Poesie ist die Sprache des Herzens, des Gefühls, die Prosa aber, die mehr
vom Verstände abhängig ist, kann sich erst in einer weitern Entwicklungsstufe
eines Volks entfalten, wenn es vom Jünglingsalter in das Mannesalter ein¬
getreten ist. In diese Periode treten die Vlamländer jetzt ein. Sie wissen,
was sie wollen, und werden die Mittel zur Durchführung ihrer Zukunftspläne


Vlamen und Wallonen

für unrecht und thöricht anzusehen. Aber hier entscheidet schließlich allein der
Erfolg. Wenn es die Slowenen usw. durch ihr energisches Vorgehen zu einer
bedeutenden Litteratur bringen — was doch nicht unmöglich ist! —, dann haben
sie eben mit ihren deutschfeindlichen Anstrengungen Recht gehabt. Ebenso steht
es mit den Vlamen. Das vlämische Volk beginnt sich zu fühlen und will seine
eigne Kultur haben. Die Vlamen, die in französischer Sprache schreiben, haben
wohl einen größern Leserkreis; aber sie können ihre Eigentümlichkeiten niemals
in einer fremden Sprache so gut zur Geltung bringen wie in ihrer eignen.
Beherrschen sie aber, wie es wohl vorkommt, das Französische besser als ihre
eigentliche Muttersprache, so ist das doch immer ein unnatürlicher, kein nor¬
maler Zustand.

Der vlämische Nativnalroman Ililsnsxiögöl, der die Geschichte des echt-
vlümischen Nationalhelden Eulenspiegel zur Zeit Wilhelms von Oranien
schildert, ist in französischer Sprache geschrieben. Jedenfalls war sein Ver¬
fasser de Koster des Vlämischen zu wenig kundig, als daß er ihn in dieser
Sprache hätte schreibe» können. Sicher hätte er aber dann größern Erfolg
und größere Wirkung gehabt als jetzt, denn sein Roman wird von den des
Französischen kundigen sehr wenig gelesen. Der Verfasser, der im größten
Elend starb, wurde erst dem größern Publikum bekannt, als ein junger
genialer Bildhauer auf einer Ausstellung in Brüssel das Modell seines Denk¬
mals mit den beiden Hauptfiguren des Romans ausgestellt hatte. Jetzt steht
das Denkmal zu seiner Ehre aufgerichtet in Brüssel; aber sein Roman wird
doch nicht gelesen.

Vor kurzem hat Cyrill Buysse, ein vlümischer Romanschriftsteller, der sich
nach dem Haag zurückgezogen hat, einen heftigen Artikel gegen die vlämische
Sprache geschrieben und den ganzen Flamingantismus verurteilt. Aber er hat
immer mehr französisch als vlämisch gedacht und geschrieben, als er niederländisch
schrieb; und der Hauptgrund, den er gegen die vlämische Bewegung anführt,
ist auch ganz egoistisch: nämlich daß ein Schriftsteller, der auf die Vlamen
allein angewiesen sei, verhungern könne. Freilich, wer für ein kleines Volk
schreibt, kaun nicht den materiellen Erfolg haben wie einer, der einem großen
Volke angehört; aber ebenso wahr ist es, daß allein durch Hochherzigkeit
und Opfer eine neue Litteratur geschaffen werden kann. Die Vlamen sind
außerordentlich thätig, um ihre Bildung zu erhöhen, und das verdient alle An¬
erkennung. In der Poesie haben sie auch schon ganz beachtenswerte Leistungen
aufzuweisen, während sie in der Prosa natürlich noch zurückstehen, denn die
Poesie ist die Sprache des Herzens, des Gefühls, die Prosa aber, die mehr
vom Verstände abhängig ist, kann sich erst in einer weitern Entwicklungsstufe
eines Volks entfalten, wenn es vom Jünglingsalter in das Mannesalter ein¬
getreten ist. In diese Periode treten die Vlamländer jetzt ein. Sie wissen,
was sie wollen, und werden die Mittel zur Durchführung ihrer Zukunftspläne


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0248" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/225176"/>
          <fw type="header" place="top"> Vlamen und Wallonen</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_805" prev="#ID_804"> für unrecht und thöricht anzusehen. Aber hier entscheidet schließlich allein der<lb/>
Erfolg. Wenn es die Slowenen usw. durch ihr energisches Vorgehen zu einer<lb/>
bedeutenden Litteratur bringen &#x2014; was doch nicht unmöglich ist! &#x2014;, dann haben<lb/>
sie eben mit ihren deutschfeindlichen Anstrengungen Recht gehabt. Ebenso steht<lb/>
es mit den Vlamen. Das vlämische Volk beginnt sich zu fühlen und will seine<lb/>
eigne Kultur haben. Die Vlamen, die in französischer Sprache schreiben, haben<lb/>
wohl einen größern Leserkreis; aber sie können ihre Eigentümlichkeiten niemals<lb/>
in einer fremden Sprache so gut zur Geltung bringen wie in ihrer eignen.<lb/>
Beherrschen sie aber, wie es wohl vorkommt, das Französische besser als ihre<lb/>
eigentliche Muttersprache, so ist das doch immer ein unnatürlicher, kein nor¬<lb/>
maler Zustand.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_806"> Der vlämische Nativnalroman Ililsnsxiögöl, der die Geschichte des echt-<lb/>
vlümischen Nationalhelden Eulenspiegel zur Zeit Wilhelms von Oranien<lb/>
schildert, ist in französischer Sprache geschrieben. Jedenfalls war sein Ver¬<lb/>
fasser de Koster des Vlämischen zu wenig kundig, als daß er ihn in dieser<lb/>
Sprache hätte schreibe» können. Sicher hätte er aber dann größern Erfolg<lb/>
und größere Wirkung gehabt als jetzt, denn sein Roman wird von den des<lb/>
Französischen kundigen sehr wenig gelesen. Der Verfasser, der im größten<lb/>
Elend starb, wurde erst dem größern Publikum bekannt, als ein junger<lb/>
genialer Bildhauer auf einer Ausstellung in Brüssel das Modell seines Denk¬<lb/>
mals mit den beiden Hauptfiguren des Romans ausgestellt hatte. Jetzt steht<lb/>
das Denkmal zu seiner Ehre aufgerichtet in Brüssel; aber sein Roman wird<lb/>
doch nicht gelesen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_807" next="#ID_808"> Vor kurzem hat Cyrill Buysse, ein vlümischer Romanschriftsteller, der sich<lb/>
nach dem Haag zurückgezogen hat, einen heftigen Artikel gegen die vlämische<lb/>
Sprache geschrieben und den ganzen Flamingantismus verurteilt. Aber er hat<lb/>
immer mehr französisch als vlämisch gedacht und geschrieben, als er niederländisch<lb/>
schrieb; und der Hauptgrund, den er gegen die vlämische Bewegung anführt,<lb/>
ist auch ganz egoistisch: nämlich daß ein Schriftsteller, der auf die Vlamen<lb/>
allein angewiesen sei, verhungern könne. Freilich, wer für ein kleines Volk<lb/>
schreibt, kaun nicht den materiellen Erfolg haben wie einer, der einem großen<lb/>
Volke angehört; aber ebenso wahr ist es, daß allein durch Hochherzigkeit<lb/>
und Opfer eine neue Litteratur geschaffen werden kann. Die Vlamen sind<lb/>
außerordentlich thätig, um ihre Bildung zu erhöhen, und das verdient alle An¬<lb/>
erkennung. In der Poesie haben sie auch schon ganz beachtenswerte Leistungen<lb/>
aufzuweisen, während sie in der Prosa natürlich noch zurückstehen, denn die<lb/>
Poesie ist die Sprache des Herzens, des Gefühls, die Prosa aber, die mehr<lb/>
vom Verstände abhängig ist, kann sich erst in einer weitern Entwicklungsstufe<lb/>
eines Volks entfalten, wenn es vom Jünglingsalter in das Mannesalter ein¬<lb/>
getreten ist. In diese Periode treten die Vlamländer jetzt ein. Sie wissen,<lb/>
was sie wollen, und werden die Mittel zur Durchführung ihrer Zukunftspläne</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0248] Vlamen und Wallonen für unrecht und thöricht anzusehen. Aber hier entscheidet schließlich allein der Erfolg. Wenn es die Slowenen usw. durch ihr energisches Vorgehen zu einer bedeutenden Litteratur bringen — was doch nicht unmöglich ist! —, dann haben sie eben mit ihren deutschfeindlichen Anstrengungen Recht gehabt. Ebenso steht es mit den Vlamen. Das vlämische Volk beginnt sich zu fühlen und will seine eigne Kultur haben. Die Vlamen, die in französischer Sprache schreiben, haben wohl einen größern Leserkreis; aber sie können ihre Eigentümlichkeiten niemals in einer fremden Sprache so gut zur Geltung bringen wie in ihrer eignen. Beherrschen sie aber, wie es wohl vorkommt, das Französische besser als ihre eigentliche Muttersprache, so ist das doch immer ein unnatürlicher, kein nor¬ maler Zustand. Der vlämische Nativnalroman Ililsnsxiögöl, der die Geschichte des echt- vlümischen Nationalhelden Eulenspiegel zur Zeit Wilhelms von Oranien schildert, ist in französischer Sprache geschrieben. Jedenfalls war sein Ver¬ fasser de Koster des Vlämischen zu wenig kundig, als daß er ihn in dieser Sprache hätte schreibe» können. Sicher hätte er aber dann größern Erfolg und größere Wirkung gehabt als jetzt, denn sein Roman wird von den des Französischen kundigen sehr wenig gelesen. Der Verfasser, der im größten Elend starb, wurde erst dem größern Publikum bekannt, als ein junger genialer Bildhauer auf einer Ausstellung in Brüssel das Modell seines Denk¬ mals mit den beiden Hauptfiguren des Romans ausgestellt hatte. Jetzt steht das Denkmal zu seiner Ehre aufgerichtet in Brüssel; aber sein Roman wird doch nicht gelesen. Vor kurzem hat Cyrill Buysse, ein vlümischer Romanschriftsteller, der sich nach dem Haag zurückgezogen hat, einen heftigen Artikel gegen die vlämische Sprache geschrieben und den ganzen Flamingantismus verurteilt. Aber er hat immer mehr französisch als vlämisch gedacht und geschrieben, als er niederländisch schrieb; und der Hauptgrund, den er gegen die vlämische Bewegung anführt, ist auch ganz egoistisch: nämlich daß ein Schriftsteller, der auf die Vlamen allein angewiesen sei, verhungern könne. Freilich, wer für ein kleines Volk schreibt, kaun nicht den materiellen Erfolg haben wie einer, der einem großen Volke angehört; aber ebenso wahr ist es, daß allein durch Hochherzigkeit und Opfer eine neue Litteratur geschaffen werden kann. Die Vlamen sind außerordentlich thätig, um ihre Bildung zu erhöhen, und das verdient alle An¬ erkennung. In der Poesie haben sie auch schon ganz beachtenswerte Leistungen aufzuweisen, während sie in der Prosa natürlich noch zurückstehen, denn die Poesie ist die Sprache des Herzens, des Gefühls, die Prosa aber, die mehr vom Verstände abhängig ist, kann sich erst in einer weitern Entwicklungsstufe eines Volks entfalten, wenn es vom Jünglingsalter in das Mannesalter ein¬ getreten ist. In diese Periode treten die Vlamländer jetzt ein. Sie wissen, was sie wollen, und werden die Mittel zur Durchführung ihrer Zukunftspläne

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/248
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/248>, abgerufen am 23.07.2024.