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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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Gewerbeaufstcht und Grtspolizei

Scheidung füllt trotzdem immer im Sinne einer Partei. Nur arge Gedanken¬
losigkeit oder die bewußte Absicht, den Arbeitern zur Alleinherrschaft zu ver¬
helfen, kann das übersehen- Auch die ehrenamtliche Thätigkeit ist kein Schutz
gegen Jnteresfenwirtschaft, nicht einmal gegen Schreiberwirtschaft. Es bleibt
nichts übrig, als das unmittelbare Eingreifen der Staatsgewalt bis ganz
unten hin. Die Gewinnung und Erziehung der dazu tauglichen Organe ist
eine der wichtigsten Aufgaben der nächsten Zukunft.

Aber bis dahin ist noch ein Weiler Weg. Es muß vorläufig auch so
gehen, und es kann auch so besser gehen, wenigstens als bisher, nur muß das
leidige Fortwursteln aufhören, das durch die Selbstverwaltung so liebenswürdig
unterstützt wird. Der Staat hat auch jetzt Vollmachten über die Selbst¬
verwaltungspolizei, die er nicht hinreichend ausnutzt. Zunächst muß er, so¬
weit er kann, nur "unabhängige, intelligente, rührige" Polizeiverwalter zu¬
lassen. Mehr als bisher kann darin sicher geschehen. Und wo die Ortspolizei
gegen ihre Pflicht verstößt, da kann und muß er sie auf die Finger klopfen, ganz
energisch. Wir denken nicht daran, die Pflichterfüllung der Polizei nach sozial¬
demokratischen Übertreibungen zu beurteilen, auch nicht vom idealen Studirstubeu-
stcmdpnnkt aus. Die Ortspolizei braucht ein beträchtliches Maß diskretionärer
Gewalt; das Niniirm ron our-re xra-for muß jeder Schutzmann respektiren,
sonst wird er unmöglich. Das gilt auch beim Arbeiterschutz. Dann verkennen
wir gar nicht, daß das Luminum, ^'n8 Zuniuig. iujnria gerade hier oft zur
Wahrheit wird. Bei der Kinderarbeit, den Pausen usw. hat der stritte Buch¬
stabe oft wunderbare Blüten getrieben, und der tüchtigste Pvlizeiverwalter hat
manchmal Veranlassung, aus Liebe zu den Arbeitern den ganzen Arbeiterschutz
zum Teufel zu wünschen. Da ist plumpes, schablonenhaftes Zufahren von oben
nicht am Platze. Aber wo Schlendrian und Faulheit die Schuld trägt, noch
mehr, wo bewußte Auflehnung gegen das Gesetz aus Parteieigensinn, und vollends,
wo servile, eigennützige Rücksicht gegen Vornehme und Reiche die Pflichtverletzung
veranlaßt, da muß die Rücksicht von oben ein Ende haben. Und das ge¬
schieht leider nicht immer. Der Staat soll aber auch uicht vergessen, mehr
als bisher für die untersten, unmittelbar mit der Aufsicht beauftragten Organe,
die Polizeidiener und ihresgleichen, zu sorgen. Auf dem Lande ist die Gen¬
darmerie fast allein mit der Aufsicht betraut und, in Preußen wenigstens,
meist viel zu schwach vertreten. Die Vororte unsrer Großstädte, viele Jndustrie-
dörfer weisen zum Teil ganz unhaltbare Zustände ans. In den Klein- und
Mittelstädten genügt meist schon ein Blick auf die äußere Erscheinung der
Polizeidiener, um den Grad des Ansehens zu bemessen, worin sie bei den
Bürgern stehen, ganz davon zu schweigen, wie die Herren Stadtverordneten
diese "von ihnen gehaltenen" Vertreter der Staatsgewalt oft behandeln. Der
Schutzmann in der Großstadt ist der reine Geheimrat dagegen, und doch wird
der selbständigen Pflichttreue, der "Unabhängigkeit" des schäbigen Polizei-


Gewerbeaufstcht und Grtspolizei

Scheidung füllt trotzdem immer im Sinne einer Partei. Nur arge Gedanken¬
losigkeit oder die bewußte Absicht, den Arbeitern zur Alleinherrschaft zu ver¬
helfen, kann das übersehen- Auch die ehrenamtliche Thätigkeit ist kein Schutz
gegen Jnteresfenwirtschaft, nicht einmal gegen Schreiberwirtschaft. Es bleibt
nichts übrig, als das unmittelbare Eingreifen der Staatsgewalt bis ganz
unten hin. Die Gewinnung und Erziehung der dazu tauglichen Organe ist
eine der wichtigsten Aufgaben der nächsten Zukunft.

Aber bis dahin ist noch ein Weiler Weg. Es muß vorläufig auch so
gehen, und es kann auch so besser gehen, wenigstens als bisher, nur muß das
leidige Fortwursteln aufhören, das durch die Selbstverwaltung so liebenswürdig
unterstützt wird. Der Staat hat auch jetzt Vollmachten über die Selbst¬
verwaltungspolizei, die er nicht hinreichend ausnutzt. Zunächst muß er, so¬
weit er kann, nur „unabhängige, intelligente, rührige" Polizeiverwalter zu¬
lassen. Mehr als bisher kann darin sicher geschehen. Und wo die Ortspolizei
gegen ihre Pflicht verstößt, da kann und muß er sie auf die Finger klopfen, ganz
energisch. Wir denken nicht daran, die Pflichterfüllung der Polizei nach sozial¬
demokratischen Übertreibungen zu beurteilen, auch nicht vom idealen Studirstubeu-
stcmdpnnkt aus. Die Ortspolizei braucht ein beträchtliches Maß diskretionärer
Gewalt; das Niniirm ron our-re xra-for muß jeder Schutzmann respektiren,
sonst wird er unmöglich. Das gilt auch beim Arbeiterschutz. Dann verkennen
wir gar nicht, daß das Luminum, ^'n8 Zuniuig. iujnria gerade hier oft zur
Wahrheit wird. Bei der Kinderarbeit, den Pausen usw. hat der stritte Buch¬
stabe oft wunderbare Blüten getrieben, und der tüchtigste Pvlizeiverwalter hat
manchmal Veranlassung, aus Liebe zu den Arbeitern den ganzen Arbeiterschutz
zum Teufel zu wünschen. Da ist plumpes, schablonenhaftes Zufahren von oben
nicht am Platze. Aber wo Schlendrian und Faulheit die Schuld trägt, noch
mehr, wo bewußte Auflehnung gegen das Gesetz aus Parteieigensinn, und vollends,
wo servile, eigennützige Rücksicht gegen Vornehme und Reiche die Pflichtverletzung
veranlaßt, da muß die Rücksicht von oben ein Ende haben. Und das ge¬
schieht leider nicht immer. Der Staat soll aber auch uicht vergessen, mehr
als bisher für die untersten, unmittelbar mit der Aufsicht beauftragten Organe,
die Polizeidiener und ihresgleichen, zu sorgen. Auf dem Lande ist die Gen¬
darmerie fast allein mit der Aufsicht betraut und, in Preußen wenigstens,
meist viel zu schwach vertreten. Die Vororte unsrer Großstädte, viele Jndustrie-
dörfer weisen zum Teil ganz unhaltbare Zustände ans. In den Klein- und
Mittelstädten genügt meist schon ein Blick auf die äußere Erscheinung der
Polizeidiener, um den Grad des Ansehens zu bemessen, worin sie bei den
Bürgern stehen, ganz davon zu schweigen, wie die Herren Stadtverordneten
diese „von ihnen gehaltenen" Vertreter der Staatsgewalt oft behandeln. Der
Schutzmann in der Großstadt ist der reine Geheimrat dagegen, und doch wird
der selbständigen Pflichttreue, der „Unabhängigkeit" des schäbigen Polizei-


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[0024] Gewerbeaufstcht und Grtspolizei Scheidung füllt trotzdem immer im Sinne einer Partei. Nur arge Gedanken¬ losigkeit oder die bewußte Absicht, den Arbeitern zur Alleinherrschaft zu ver¬ helfen, kann das übersehen- Auch die ehrenamtliche Thätigkeit ist kein Schutz gegen Jnteresfenwirtschaft, nicht einmal gegen Schreiberwirtschaft. Es bleibt nichts übrig, als das unmittelbare Eingreifen der Staatsgewalt bis ganz unten hin. Die Gewinnung und Erziehung der dazu tauglichen Organe ist eine der wichtigsten Aufgaben der nächsten Zukunft. Aber bis dahin ist noch ein Weiler Weg. Es muß vorläufig auch so gehen, und es kann auch so besser gehen, wenigstens als bisher, nur muß das leidige Fortwursteln aufhören, das durch die Selbstverwaltung so liebenswürdig unterstützt wird. Der Staat hat auch jetzt Vollmachten über die Selbst¬ verwaltungspolizei, die er nicht hinreichend ausnutzt. Zunächst muß er, so¬ weit er kann, nur „unabhängige, intelligente, rührige" Polizeiverwalter zu¬ lassen. Mehr als bisher kann darin sicher geschehen. Und wo die Ortspolizei gegen ihre Pflicht verstößt, da kann und muß er sie auf die Finger klopfen, ganz energisch. Wir denken nicht daran, die Pflichterfüllung der Polizei nach sozial¬ demokratischen Übertreibungen zu beurteilen, auch nicht vom idealen Studirstubeu- stcmdpnnkt aus. Die Ortspolizei braucht ein beträchtliches Maß diskretionärer Gewalt; das Niniirm ron our-re xra-for muß jeder Schutzmann respektiren, sonst wird er unmöglich. Das gilt auch beim Arbeiterschutz. Dann verkennen wir gar nicht, daß das Luminum, ^'n8 Zuniuig. iujnria gerade hier oft zur Wahrheit wird. Bei der Kinderarbeit, den Pausen usw. hat der stritte Buch¬ stabe oft wunderbare Blüten getrieben, und der tüchtigste Pvlizeiverwalter hat manchmal Veranlassung, aus Liebe zu den Arbeitern den ganzen Arbeiterschutz zum Teufel zu wünschen. Da ist plumpes, schablonenhaftes Zufahren von oben nicht am Platze. Aber wo Schlendrian und Faulheit die Schuld trägt, noch mehr, wo bewußte Auflehnung gegen das Gesetz aus Parteieigensinn, und vollends, wo servile, eigennützige Rücksicht gegen Vornehme und Reiche die Pflichtverletzung veranlaßt, da muß die Rücksicht von oben ein Ende haben. Und das ge¬ schieht leider nicht immer. Der Staat soll aber auch uicht vergessen, mehr als bisher für die untersten, unmittelbar mit der Aufsicht beauftragten Organe, die Polizeidiener und ihresgleichen, zu sorgen. Auf dem Lande ist die Gen¬ darmerie fast allein mit der Aufsicht betraut und, in Preußen wenigstens, meist viel zu schwach vertreten. Die Vororte unsrer Großstädte, viele Jndustrie- dörfer weisen zum Teil ganz unhaltbare Zustände ans. In den Klein- und Mittelstädten genügt meist schon ein Blick auf die äußere Erscheinung der Polizeidiener, um den Grad des Ansehens zu bemessen, worin sie bei den Bürgern stehen, ganz davon zu schweigen, wie die Herren Stadtverordneten diese „von ihnen gehaltenen" Vertreter der Staatsgewalt oft behandeln. Der Schutzmann in der Großstadt ist der reine Geheimrat dagegen, und doch wird der selbständigen Pflichttreue, der „Unabhängigkeit" des schäbigen Polizei-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/24>, abgerufen am 23.07.2024.