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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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München und Konstanz

Monaten um, was ihm drei Jahrhunderte lang unablässig eingeprägt worden
ist. Die Masse der gläubigen Katholiken sah sich also vor die Alternative
gestellt, entweder mit Pius die äußersten Konsequenzen des papistischen Systems
zu ziehen, oder nach ihrer Meinung mit dem Papismus zugleich den Katho¬
lizismus aufzugeben, und sie wählte -- wenngleich mit schwerem Herzen --
das erste. Der Teil der Gebildeten hingegen, der, wie gesagt, von der Macht
religiöser Vorstellungen und kirchlicher Gewohnheiten keine Ahnung hat, der
meinte, die Leute müßten es einsehen, welcher Schimpf unserm aufgeklürteu
Zeitalter durch den römischen Unsinn zugefügt werde. Einige von ihnen
schlössen sich der altkatholischen Bewegung an, in der Meinung, diese werde
nichts seil? als ein bequemer und rascher Triumphzug der Wahrheit und Auf¬
klärung durchs deutsche Vaterland. Nun ist aber, wie vorauszusehen war,
alles ganz anders gekommen. Die katholische Bevölkerung Deutschlands ist
römisch, teils aus Überzeugung, teils aus Furcht vor Schädigung des Christen¬
tums, teils als Füllstoff zwischen diesen beiden festen Bestandteilen, an dieser
Thatsache können weder fromme Wünsche etwas ändern, noch Resolutionen und
Gesetze, die in Berlin, Karlsruhe, Bonn oder sonstwo gemacht werden. Dieser
Zustand, der durch das jahrzehntelange Zusammenwirken der verschiedenartigsten
-- guten und schlechten, bewußten und unbewußten -- Kräfte herbeigeführt
worden ist, kann wiederum bloß im Laufe von Jahrzehnten durch das Zu¬
sammenwirken vieler Kräfte beseitigt werden. Der Altkatholizismus tritt als
eine solche Kraft, und zwar mit Bewußtsein und Absicht, in Aktion. Er will
der erste Punkt des Widerstands sein, an dem die Ziel und Maß über¬
schreitende papistische Bewegung sich bricht, und von dem aus die Massen all¬
mählich in eine andre Richtung gelenkt werden. Es ist jetzt etwa hundert
Jahre her, daß einige wenige Männer der damals herrschenden rationalistischen
Strömung sich entgegenstemmten und jene Rückkehr zur Religion, ja zur
Mystik anbahnten, die, nach Art aller menschlichen Bewegungen, in unsrer
Zeit so weit über ihr vernünftiges Ziel Hinansgeschossen ist. Es ist kein
Grund vorhanden, daran zu zweifeln, daß unsre Bewegung ebenfalls ihr Ziel
erreichen wird, wenn alle dabei Beteiligten ihre Schuldigkeit thun; denn das
Große erbaut sich doch eben nur aus vielem Kleinen, und das Ganze nur aus
dem Einzelnen."

"Also nicht der Anteil an einem mühelosem Triumphzuge, sondern die
Verpflichtung zu einer mühseligen, langwierigen und oft recht verdrießlichen
Arbeit ist das Los des Altkatholiken. Davon wollen aber die Ungeduldigen
nichts wisse", und nachdem ihre erste Hoffnung getäuscht worden ist, sehen sie
sich nach einem "frischen Luftzuge" um, der die Sachlage plötzlich ändern soll.
Daß sie zunächst darauf verfallen sind, mit einigen kräftigen Neformbeschlüssen
der Synode die Rettung aus unbequemer Lage zu versuchen, das liegt in
dem Parlaments- und Gesetzmachungsfieber unsrer Zeit. Wenn dem Deutschen


München und Konstanz

Monaten um, was ihm drei Jahrhunderte lang unablässig eingeprägt worden
ist. Die Masse der gläubigen Katholiken sah sich also vor die Alternative
gestellt, entweder mit Pius die äußersten Konsequenzen des papistischen Systems
zu ziehen, oder nach ihrer Meinung mit dem Papismus zugleich den Katho¬
lizismus aufzugeben, und sie wählte — wenngleich mit schwerem Herzen —
das erste. Der Teil der Gebildeten hingegen, der, wie gesagt, von der Macht
religiöser Vorstellungen und kirchlicher Gewohnheiten keine Ahnung hat, der
meinte, die Leute müßten es einsehen, welcher Schimpf unserm aufgeklürteu
Zeitalter durch den römischen Unsinn zugefügt werde. Einige von ihnen
schlössen sich der altkatholischen Bewegung an, in der Meinung, diese werde
nichts seil? als ein bequemer und rascher Triumphzug der Wahrheit und Auf¬
klärung durchs deutsche Vaterland. Nun ist aber, wie vorauszusehen war,
alles ganz anders gekommen. Die katholische Bevölkerung Deutschlands ist
römisch, teils aus Überzeugung, teils aus Furcht vor Schädigung des Christen¬
tums, teils als Füllstoff zwischen diesen beiden festen Bestandteilen, an dieser
Thatsache können weder fromme Wünsche etwas ändern, noch Resolutionen und
Gesetze, die in Berlin, Karlsruhe, Bonn oder sonstwo gemacht werden. Dieser
Zustand, der durch das jahrzehntelange Zusammenwirken der verschiedenartigsten
— guten und schlechten, bewußten und unbewußten — Kräfte herbeigeführt
worden ist, kann wiederum bloß im Laufe von Jahrzehnten durch das Zu¬
sammenwirken vieler Kräfte beseitigt werden. Der Altkatholizismus tritt als
eine solche Kraft, und zwar mit Bewußtsein und Absicht, in Aktion. Er will
der erste Punkt des Widerstands sein, an dem die Ziel und Maß über¬
schreitende papistische Bewegung sich bricht, und von dem aus die Massen all¬
mählich in eine andre Richtung gelenkt werden. Es ist jetzt etwa hundert
Jahre her, daß einige wenige Männer der damals herrschenden rationalistischen
Strömung sich entgegenstemmten und jene Rückkehr zur Religion, ja zur
Mystik anbahnten, die, nach Art aller menschlichen Bewegungen, in unsrer
Zeit so weit über ihr vernünftiges Ziel Hinansgeschossen ist. Es ist kein
Grund vorhanden, daran zu zweifeln, daß unsre Bewegung ebenfalls ihr Ziel
erreichen wird, wenn alle dabei Beteiligten ihre Schuldigkeit thun; denn das
Große erbaut sich doch eben nur aus vielem Kleinen, und das Ganze nur aus
dem Einzelnen."

„Also nicht der Anteil an einem mühelosem Triumphzuge, sondern die
Verpflichtung zu einer mühseligen, langwierigen und oft recht verdrießlichen
Arbeit ist das Los des Altkatholiken. Davon wollen aber die Ungeduldigen
nichts wisse», und nachdem ihre erste Hoffnung getäuscht worden ist, sehen sie
sich nach einem »frischen Luftzuge« um, der die Sachlage plötzlich ändern soll.
Daß sie zunächst darauf verfallen sind, mit einigen kräftigen Neformbeschlüssen
der Synode die Rettung aus unbequemer Lage zu versuchen, das liegt in
dem Parlaments- und Gesetzmachungsfieber unsrer Zeit. Wenn dem Deutschen


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[0238] München und Konstanz Monaten um, was ihm drei Jahrhunderte lang unablässig eingeprägt worden ist. Die Masse der gläubigen Katholiken sah sich also vor die Alternative gestellt, entweder mit Pius die äußersten Konsequenzen des papistischen Systems zu ziehen, oder nach ihrer Meinung mit dem Papismus zugleich den Katho¬ lizismus aufzugeben, und sie wählte — wenngleich mit schwerem Herzen — das erste. Der Teil der Gebildeten hingegen, der, wie gesagt, von der Macht religiöser Vorstellungen und kirchlicher Gewohnheiten keine Ahnung hat, der meinte, die Leute müßten es einsehen, welcher Schimpf unserm aufgeklürteu Zeitalter durch den römischen Unsinn zugefügt werde. Einige von ihnen schlössen sich der altkatholischen Bewegung an, in der Meinung, diese werde nichts seil? als ein bequemer und rascher Triumphzug der Wahrheit und Auf¬ klärung durchs deutsche Vaterland. Nun ist aber, wie vorauszusehen war, alles ganz anders gekommen. Die katholische Bevölkerung Deutschlands ist römisch, teils aus Überzeugung, teils aus Furcht vor Schädigung des Christen¬ tums, teils als Füllstoff zwischen diesen beiden festen Bestandteilen, an dieser Thatsache können weder fromme Wünsche etwas ändern, noch Resolutionen und Gesetze, die in Berlin, Karlsruhe, Bonn oder sonstwo gemacht werden. Dieser Zustand, der durch das jahrzehntelange Zusammenwirken der verschiedenartigsten — guten und schlechten, bewußten und unbewußten — Kräfte herbeigeführt worden ist, kann wiederum bloß im Laufe von Jahrzehnten durch das Zu¬ sammenwirken vieler Kräfte beseitigt werden. Der Altkatholizismus tritt als eine solche Kraft, und zwar mit Bewußtsein und Absicht, in Aktion. Er will der erste Punkt des Widerstands sein, an dem die Ziel und Maß über¬ schreitende papistische Bewegung sich bricht, und von dem aus die Massen all¬ mählich in eine andre Richtung gelenkt werden. Es ist jetzt etwa hundert Jahre her, daß einige wenige Männer der damals herrschenden rationalistischen Strömung sich entgegenstemmten und jene Rückkehr zur Religion, ja zur Mystik anbahnten, die, nach Art aller menschlichen Bewegungen, in unsrer Zeit so weit über ihr vernünftiges Ziel Hinansgeschossen ist. Es ist kein Grund vorhanden, daran zu zweifeln, daß unsre Bewegung ebenfalls ihr Ziel erreichen wird, wenn alle dabei Beteiligten ihre Schuldigkeit thun; denn das Große erbaut sich doch eben nur aus vielem Kleinen, und das Ganze nur aus dem Einzelnen." „Also nicht der Anteil an einem mühelosem Triumphzuge, sondern die Verpflichtung zu einer mühseligen, langwierigen und oft recht verdrießlichen Arbeit ist das Los des Altkatholiken. Davon wollen aber die Ungeduldigen nichts wisse», und nachdem ihre erste Hoffnung getäuscht worden ist, sehen sie sich nach einem »frischen Luftzuge« um, der die Sachlage plötzlich ändern soll. Daß sie zunächst darauf verfallen sind, mit einigen kräftigen Neformbeschlüssen der Synode die Rettung aus unbequemer Lage zu versuchen, das liegt in dem Parlaments- und Gesetzmachungsfieber unsrer Zeit. Wenn dem Deutschen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/238>, abgerufen am 23.07.2024.