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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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München und Konstanz

Geistlichen nicht absetzen lassen. Umsekes Gemeinde verhielt sich anders als
die Gemeinden der preußischen Staatspfarrer: sie fuhr fort, seinen Gottesdienst
zu besuchen und ihn als ihren Pfarrer anzuerkennen. Freilich war er schon
viele Jahre lang dort Pfarrer gewesen, während die meisten der preußischen
Staatspfarrer den Gemeinden von der Regierung erst in der Kvnfliktszeit auf¬
gedrängt worden waren, und nichtvatikanische Geistliche zu exkommuniziren
und die Exkommunikation den Gemeinden bekannt zu machen haben, so viel
ich weiß, die bairischen Bischöfe nicht gewagt. In Preußen ist ein protesti-
render Pfarrer, Tangermann, sogar mit Gewalt aus seinem Pfarrhause Ver¬
trieben worden. Übrigens fehlte natürlich sehr viel daran, daß die ganze große
Mehringer Gemeinde aus überzeugten Altkatholiken bestanden hätte. Druffel
machte einmal die ganz richtige Bemerkung, die Mehringer seien nicht ihrem
Pfarrer, sondern ihrer Kirche treu geblieben, d. h. dem steinernen Bau. Der
Ort hat eine große und nach dem Geschmack der Leute auch sehr schöne Kirche,
und schon katholische Städter, nun vollends Landleute, hängen mit solcher
Liebe an einem ehrwürdigen und schönen Gotteshause, daß ihnen das Opfer,
ihre Kirche zu verlassen und eine hölzerne Notkirche zu beziehen, sehr schwer
fällt. Nenftle wußte es auch, daß ihm der größte Teil der Gemeinde grolle,
sah seine Stellung mehr und mehr unhaltbar werden und siedelte bald nach
meinem Weggange aus München aus eine badische Pfarre am Südabhange des
Schmarzwaldes über, wo ich ihn noch einigemal besucht habe. Er war ein
verständiger und gemütlicher Mann, mit dem ich gern verkehrte. Außerdem
habe ich vertretungsweise an verschiednen andern Orten Baierns Gottesdienste
abgehalten und Amtshandlungen vorgenommen. Eine interessante Bekanntschaft
machte ich in einem Orte an der österreichischen Grenze. Ein richterlicher Be¬
amter gewährte mir da Gastfreundschaft, der von seinen preußischen Kollegen
für mehr oder vielmehr für weniger als satisfaktionsfühig erklärt werden
würde. Des Morgens ging er barfuß und mit aufgestreiften Hosen in Hemds-
ürmeln in den Garten, um seiner Frau Suppenkräuter und Wurzeln zu holen,
und auch sonst unterzog er sich allen möglichen Wirtschastsarbeiten. Bei Tisch
hatte er neben seinem Teller, um diesen zu schonen, ein hölzernes Brettchen
liegen, auf dem er das Fleisch schnitt. Das Söhnlein, ein zweieinhalbjähriger
strammer Bube, krabbelte, mit einem einzigen Kittclchen bekleidet, zwischen den
Tellern und Schüsseln herum, und die guten Eltern frontem sich herzlich, wenn
ihm da etwas passirte, wofür andre als Eßgeschirre bestimmt sind. Seine
Frau war eine tüchtige Hausfrau und ganz ländlich; in die Gefahr, nach Art
der Frau M. komisch zu werden, konnte sie nicht geraten. Als mir der Mann
seine Mutter, ein kleines, bescheidnes Bauerweiblein, vorstellte, fügte er bei,
aber vollkommen ernsthaft: "Ein sehr schönes Blatt, der Mvrkur >^so betonte
erj 's liest'n gern, den Murkur, 's Mutterl, 's liest'n sehr gern; ^nach einer
kleinen Pause:^ ober's versteht'" uicht." In dem Sommer, wo ich ihn kennen


München und Konstanz

Geistlichen nicht absetzen lassen. Umsekes Gemeinde verhielt sich anders als
die Gemeinden der preußischen Staatspfarrer: sie fuhr fort, seinen Gottesdienst
zu besuchen und ihn als ihren Pfarrer anzuerkennen. Freilich war er schon
viele Jahre lang dort Pfarrer gewesen, während die meisten der preußischen
Staatspfarrer den Gemeinden von der Regierung erst in der Kvnfliktszeit auf¬
gedrängt worden waren, und nichtvatikanische Geistliche zu exkommuniziren
und die Exkommunikation den Gemeinden bekannt zu machen haben, so viel
ich weiß, die bairischen Bischöfe nicht gewagt. In Preußen ist ein protesti-
render Pfarrer, Tangermann, sogar mit Gewalt aus seinem Pfarrhause Ver¬
trieben worden. Übrigens fehlte natürlich sehr viel daran, daß die ganze große
Mehringer Gemeinde aus überzeugten Altkatholiken bestanden hätte. Druffel
machte einmal die ganz richtige Bemerkung, die Mehringer seien nicht ihrem
Pfarrer, sondern ihrer Kirche treu geblieben, d. h. dem steinernen Bau. Der
Ort hat eine große und nach dem Geschmack der Leute auch sehr schöne Kirche,
und schon katholische Städter, nun vollends Landleute, hängen mit solcher
Liebe an einem ehrwürdigen und schönen Gotteshause, daß ihnen das Opfer,
ihre Kirche zu verlassen und eine hölzerne Notkirche zu beziehen, sehr schwer
fällt. Nenftle wußte es auch, daß ihm der größte Teil der Gemeinde grolle,
sah seine Stellung mehr und mehr unhaltbar werden und siedelte bald nach
meinem Weggange aus München aus eine badische Pfarre am Südabhange des
Schmarzwaldes über, wo ich ihn noch einigemal besucht habe. Er war ein
verständiger und gemütlicher Mann, mit dem ich gern verkehrte. Außerdem
habe ich vertretungsweise an verschiednen andern Orten Baierns Gottesdienste
abgehalten und Amtshandlungen vorgenommen. Eine interessante Bekanntschaft
machte ich in einem Orte an der österreichischen Grenze. Ein richterlicher Be¬
amter gewährte mir da Gastfreundschaft, der von seinen preußischen Kollegen
für mehr oder vielmehr für weniger als satisfaktionsfühig erklärt werden
würde. Des Morgens ging er barfuß und mit aufgestreiften Hosen in Hemds-
ürmeln in den Garten, um seiner Frau Suppenkräuter und Wurzeln zu holen,
und auch sonst unterzog er sich allen möglichen Wirtschastsarbeiten. Bei Tisch
hatte er neben seinem Teller, um diesen zu schonen, ein hölzernes Brettchen
liegen, auf dem er das Fleisch schnitt. Das Söhnlein, ein zweieinhalbjähriger
strammer Bube, krabbelte, mit einem einzigen Kittclchen bekleidet, zwischen den
Tellern und Schüsseln herum, und die guten Eltern frontem sich herzlich, wenn
ihm da etwas passirte, wofür andre als Eßgeschirre bestimmt sind. Seine
Frau war eine tüchtige Hausfrau und ganz ländlich; in die Gefahr, nach Art
der Frau M. komisch zu werden, konnte sie nicht geraten. Als mir der Mann
seine Mutter, ein kleines, bescheidnes Bauerweiblein, vorstellte, fügte er bei,
aber vollkommen ernsthaft: „Ein sehr schönes Blatt, der Mvrkur >^so betonte
erj 's liest'n gern, den Murkur, 's Mutterl, 's liest'n sehr gern; ^nach einer
kleinen Pause:^ ober's versteht'» uicht." In dem Sommer, wo ich ihn kennen


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[0235] München und Konstanz Geistlichen nicht absetzen lassen. Umsekes Gemeinde verhielt sich anders als die Gemeinden der preußischen Staatspfarrer: sie fuhr fort, seinen Gottesdienst zu besuchen und ihn als ihren Pfarrer anzuerkennen. Freilich war er schon viele Jahre lang dort Pfarrer gewesen, während die meisten der preußischen Staatspfarrer den Gemeinden von der Regierung erst in der Kvnfliktszeit auf¬ gedrängt worden waren, und nichtvatikanische Geistliche zu exkommuniziren und die Exkommunikation den Gemeinden bekannt zu machen haben, so viel ich weiß, die bairischen Bischöfe nicht gewagt. In Preußen ist ein protesti- render Pfarrer, Tangermann, sogar mit Gewalt aus seinem Pfarrhause Ver¬ trieben worden. Übrigens fehlte natürlich sehr viel daran, daß die ganze große Mehringer Gemeinde aus überzeugten Altkatholiken bestanden hätte. Druffel machte einmal die ganz richtige Bemerkung, die Mehringer seien nicht ihrem Pfarrer, sondern ihrer Kirche treu geblieben, d. h. dem steinernen Bau. Der Ort hat eine große und nach dem Geschmack der Leute auch sehr schöne Kirche, und schon katholische Städter, nun vollends Landleute, hängen mit solcher Liebe an einem ehrwürdigen und schönen Gotteshause, daß ihnen das Opfer, ihre Kirche zu verlassen und eine hölzerne Notkirche zu beziehen, sehr schwer fällt. Nenftle wußte es auch, daß ihm der größte Teil der Gemeinde grolle, sah seine Stellung mehr und mehr unhaltbar werden und siedelte bald nach meinem Weggange aus München aus eine badische Pfarre am Südabhange des Schmarzwaldes über, wo ich ihn noch einigemal besucht habe. Er war ein verständiger und gemütlicher Mann, mit dem ich gern verkehrte. Außerdem habe ich vertretungsweise an verschiednen andern Orten Baierns Gottesdienste abgehalten und Amtshandlungen vorgenommen. Eine interessante Bekanntschaft machte ich in einem Orte an der österreichischen Grenze. Ein richterlicher Be¬ amter gewährte mir da Gastfreundschaft, der von seinen preußischen Kollegen für mehr oder vielmehr für weniger als satisfaktionsfühig erklärt werden würde. Des Morgens ging er barfuß und mit aufgestreiften Hosen in Hemds- ürmeln in den Garten, um seiner Frau Suppenkräuter und Wurzeln zu holen, und auch sonst unterzog er sich allen möglichen Wirtschastsarbeiten. Bei Tisch hatte er neben seinem Teller, um diesen zu schonen, ein hölzernes Brettchen liegen, auf dem er das Fleisch schnitt. Das Söhnlein, ein zweieinhalbjähriger strammer Bube, krabbelte, mit einem einzigen Kittclchen bekleidet, zwischen den Tellern und Schüsseln herum, und die guten Eltern frontem sich herzlich, wenn ihm da etwas passirte, wofür andre als Eßgeschirre bestimmt sind. Seine Frau war eine tüchtige Hausfrau und ganz ländlich; in die Gefahr, nach Art der Frau M. komisch zu werden, konnte sie nicht geraten. Als mir der Mann seine Mutter, ein kleines, bescheidnes Bauerweiblein, vorstellte, fügte er bei, aber vollkommen ernsthaft: „Ein sehr schönes Blatt, der Mvrkur >^so betonte erj 's liest'n gern, den Murkur, 's Mutterl, 's liest'n sehr gern; ^nach einer kleinen Pause:^ ober's versteht'» uicht." In dem Sommer, wo ich ihn kennen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/235>, abgerufen am 23.07.2024.