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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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München und Konstanz

voll wissenschaftlichen und Kunstenthusiasmus. Sie kochte sehr gut und be¬
sorgte, nur von einer Aufwartefrau, die auch bei großer Wäsche half, unter¬
stützt, allein alle Arbeit für die zahlreiche Familie. Diese bestand aus dem
Manne, der als Importeur von südländischen Gemüsen und italienischen
Kapaunen die deutsche Landwirtschaft schädigte, zwei Kindern von zehn und
zwölf Jahren, einem Militärarzt, ihrem Vetter, den sie beköstigte (ich nahm
bei ihr außer dem Frühstück nur im Winter das "Nachtessen"), und ihren
Eltern, die eine gesonderte Wohnung in demselben Hause hatten. Da kam es
denn vor, daß sie des Morgens plötzlich von ihrem Waschschaff wegstürzte
mit dem Ausruf: Gott, es ist schon dreiviertel Elf, und um elf Uhr liest
Professor Ranke über den Urmenschen! In anderthalb Minuten war die Um-
kleidung fertig, und Frau Müller flog zur Universität. Und da nnn auch ihr
Mann und I)r. Feuerbach, ein Sproß der berühmten Familie, gemütlich und
unterhaltsam waren, so verflossen die Abende in der Familie sehr angenehm.
Natürlich zankten wir auch oft, und da standen denn gewöhnlich die drei
Männer gegen die eine Frau, die es jedoch wohl auch mit noch mehreren auf¬
genommen hätte. Einmal aber habe ich sie mit der pedantischen Rechthaberei,
die ein methodisch denkender Mann so schwer zu zügeln vermag, zum Weinen
gebracht. Sie schwärmte für antike Kunst, schwärmte zugleich auch für
Wagnersche Musik und haßte Christentum und Mittelalter. Da zog sie nun,
um den Widerspruch zwischen jenen beiden Schwärmereien aufzuheben, frisch¬
weg die Folgerung, daß die Wagnersche Musik klassisch, die von Haydn und
Mozart romantisch sei, und ich Esel wollte sie zwingen, das Gegenteil anzu¬
erkennen, was selbstverständlich auch dann nicht möglich gewesen wäre, wenn
ich körperliche Folterinstrumente angewandt hätte. Mit dem Christentum, über¬
haupt mit aller Religion, hatte sie vollständig gebrochen, als ihr der Tod den
ältesten Sohn, einen kräftigen und gesunden und, wie sie versicherte, ideal
schönen Knaben geraubt hatte; von einem Gott, meinte sie, der so etwas thun
könne, falls es einen geben sollte, möge sie nichts wissen. So ergab sie sich
denn mit der ihr eignen Schneidigkeit und Entschiedenheit der Feuerbachschen
Diesseitigkeitslchre, die ohnehin zur Familientradition gehörte. Ihre prak¬
tische Philosophie war übrigens gar nicht übel. Als ich ihr einmal das
katholische Heiligenideal empfahl, mit dem ich damals noch nicht ganz gebrochen
hatte, entgegnete sie: Damit bleiben Sie mir vom Leibe! Meine Philosophie
ist: tüchtig arbeiten, tüchtig essen, freudig genießen. Und bei dieser Philo¬
sophie hat sich ihre Familie sehr wohl befunden. Als ich aus München fort
war, wurde ihr Ersatz für den verstorbnen Sohn. Sie war darüber natürlich
hoch erfreut, aber, wie sie mir schrieb, der Hoftheaterintendant hatte ihr einen
dicken Wermutstropfen in den Freudenbecher fallen lasten. Das Bayreuther
Weihfestspiel zu besuchen, hatten ihr ihre häuslichen Verhältnisse nicht erlaubt.
Nun wurde gerade während ihrer Sechswochen die Nibelungentrilogie zum


München und Konstanz

voll wissenschaftlichen und Kunstenthusiasmus. Sie kochte sehr gut und be¬
sorgte, nur von einer Aufwartefrau, die auch bei großer Wäsche half, unter¬
stützt, allein alle Arbeit für die zahlreiche Familie. Diese bestand aus dem
Manne, der als Importeur von südländischen Gemüsen und italienischen
Kapaunen die deutsche Landwirtschaft schädigte, zwei Kindern von zehn und
zwölf Jahren, einem Militärarzt, ihrem Vetter, den sie beköstigte (ich nahm
bei ihr außer dem Frühstück nur im Winter das „Nachtessen"), und ihren
Eltern, die eine gesonderte Wohnung in demselben Hause hatten. Da kam es
denn vor, daß sie des Morgens plötzlich von ihrem Waschschaff wegstürzte
mit dem Ausruf: Gott, es ist schon dreiviertel Elf, und um elf Uhr liest
Professor Ranke über den Urmenschen! In anderthalb Minuten war die Um-
kleidung fertig, und Frau Müller flog zur Universität. Und da nnn auch ihr
Mann und I)r. Feuerbach, ein Sproß der berühmten Familie, gemütlich und
unterhaltsam waren, so verflossen die Abende in der Familie sehr angenehm.
Natürlich zankten wir auch oft, und da standen denn gewöhnlich die drei
Männer gegen die eine Frau, die es jedoch wohl auch mit noch mehreren auf¬
genommen hätte. Einmal aber habe ich sie mit der pedantischen Rechthaberei,
die ein methodisch denkender Mann so schwer zu zügeln vermag, zum Weinen
gebracht. Sie schwärmte für antike Kunst, schwärmte zugleich auch für
Wagnersche Musik und haßte Christentum und Mittelalter. Da zog sie nun,
um den Widerspruch zwischen jenen beiden Schwärmereien aufzuheben, frisch¬
weg die Folgerung, daß die Wagnersche Musik klassisch, die von Haydn und
Mozart romantisch sei, und ich Esel wollte sie zwingen, das Gegenteil anzu¬
erkennen, was selbstverständlich auch dann nicht möglich gewesen wäre, wenn
ich körperliche Folterinstrumente angewandt hätte. Mit dem Christentum, über¬
haupt mit aller Religion, hatte sie vollständig gebrochen, als ihr der Tod den
ältesten Sohn, einen kräftigen und gesunden und, wie sie versicherte, ideal
schönen Knaben geraubt hatte; von einem Gott, meinte sie, der so etwas thun
könne, falls es einen geben sollte, möge sie nichts wissen. So ergab sie sich
denn mit der ihr eignen Schneidigkeit und Entschiedenheit der Feuerbachschen
Diesseitigkeitslchre, die ohnehin zur Familientradition gehörte. Ihre prak¬
tische Philosophie war übrigens gar nicht übel. Als ich ihr einmal das
katholische Heiligenideal empfahl, mit dem ich damals noch nicht ganz gebrochen
hatte, entgegnete sie: Damit bleiben Sie mir vom Leibe! Meine Philosophie
ist: tüchtig arbeiten, tüchtig essen, freudig genießen. Und bei dieser Philo¬
sophie hat sich ihre Familie sehr wohl befunden. Als ich aus München fort
war, wurde ihr Ersatz für den verstorbnen Sohn. Sie war darüber natürlich
hoch erfreut, aber, wie sie mir schrieb, der Hoftheaterintendant hatte ihr einen
dicken Wermutstropfen in den Freudenbecher fallen lasten. Das Bayreuther
Weihfestspiel zu besuchen, hatten ihr ihre häuslichen Verhältnisse nicht erlaubt.
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[0232] München und Konstanz voll wissenschaftlichen und Kunstenthusiasmus. Sie kochte sehr gut und be¬ sorgte, nur von einer Aufwartefrau, die auch bei großer Wäsche half, unter¬ stützt, allein alle Arbeit für die zahlreiche Familie. Diese bestand aus dem Manne, der als Importeur von südländischen Gemüsen und italienischen Kapaunen die deutsche Landwirtschaft schädigte, zwei Kindern von zehn und zwölf Jahren, einem Militärarzt, ihrem Vetter, den sie beköstigte (ich nahm bei ihr außer dem Frühstück nur im Winter das „Nachtessen"), und ihren Eltern, die eine gesonderte Wohnung in demselben Hause hatten. Da kam es denn vor, daß sie des Morgens plötzlich von ihrem Waschschaff wegstürzte mit dem Ausruf: Gott, es ist schon dreiviertel Elf, und um elf Uhr liest Professor Ranke über den Urmenschen! In anderthalb Minuten war die Um- kleidung fertig, und Frau Müller flog zur Universität. Und da nnn auch ihr Mann und I)r. Feuerbach, ein Sproß der berühmten Familie, gemütlich und unterhaltsam waren, so verflossen die Abende in der Familie sehr angenehm. Natürlich zankten wir auch oft, und da standen denn gewöhnlich die drei Männer gegen die eine Frau, die es jedoch wohl auch mit noch mehreren auf¬ genommen hätte. Einmal aber habe ich sie mit der pedantischen Rechthaberei, die ein methodisch denkender Mann so schwer zu zügeln vermag, zum Weinen gebracht. Sie schwärmte für antike Kunst, schwärmte zugleich auch für Wagnersche Musik und haßte Christentum und Mittelalter. Da zog sie nun, um den Widerspruch zwischen jenen beiden Schwärmereien aufzuheben, frisch¬ weg die Folgerung, daß die Wagnersche Musik klassisch, die von Haydn und Mozart romantisch sei, und ich Esel wollte sie zwingen, das Gegenteil anzu¬ erkennen, was selbstverständlich auch dann nicht möglich gewesen wäre, wenn ich körperliche Folterinstrumente angewandt hätte. Mit dem Christentum, über¬ haupt mit aller Religion, hatte sie vollständig gebrochen, als ihr der Tod den ältesten Sohn, einen kräftigen und gesunden und, wie sie versicherte, ideal schönen Knaben geraubt hatte; von einem Gott, meinte sie, der so etwas thun könne, falls es einen geben sollte, möge sie nichts wissen. So ergab sie sich denn mit der ihr eignen Schneidigkeit und Entschiedenheit der Feuerbachschen Diesseitigkeitslchre, die ohnehin zur Familientradition gehörte. Ihre prak¬ tische Philosophie war übrigens gar nicht übel. Als ich ihr einmal das katholische Heiligenideal empfahl, mit dem ich damals noch nicht ganz gebrochen hatte, entgegnete sie: Damit bleiben Sie mir vom Leibe! Meine Philosophie ist: tüchtig arbeiten, tüchtig essen, freudig genießen. Und bei dieser Philo¬ sophie hat sich ihre Familie sehr wohl befunden. Als ich aus München fort war, wurde ihr Ersatz für den verstorbnen Sohn. Sie war darüber natürlich hoch erfreut, aber, wie sie mir schrieb, der Hoftheaterintendant hatte ihr einen dicken Wermutstropfen in den Freudenbecher fallen lasten. Das Bayreuther Weihfestspiel zu besuchen, hatten ihr ihre häuslichen Verhältnisse nicht erlaubt. Nun wurde gerade während ihrer Sechswochen die Nibelungentrilogie zum

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/232>, abgerufen am 23.07.2024.