Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Neue Erzählungen

hören und der Forderung eines richtigen Schlusses für das Kunstwerk. Kleinig¬
keit! sagt Clara Sudermann, das läßt sich machen. Nämlich so: Zunächst
lange Pause. Nach Jahren, da der alte Oberförster in Ruhestand treten will,
kommen die Familien seiner beiden Tochter, um ihn das letztemal im Forsthause
zu besuchen. Maggie, nun, die durfte nicht glücklich werden, denn sie hat doch
eigentlich recht niederträchtig gehandelt, und das fühlt sie auch längst. Zur
Strafe dafür ist sie jetzt nervös, hat keine Kinder, und der blonde, schlanke,
ideale Sackersdorf sieht etwas ver--essen aus und macht recht einfältige Be¬
merkungen, wenn er überhaupt noch spricht. Kurowskis aber sind seelenver¬
gnügt. Er ist noch ein bischen roh und polternd, aber im ganzen doch artig,
sie eine gute Hausfrau, denn sie ist "so fromm geworden," wie Maggie schon
unterwegs auf der Reise gehört hat (sie hat nämlich zuletzt mit ihrem Manne
auf dessen sächsischen Gütern gelebt). Also das ist die Lösung! Und Sackers¬
dorf bemerkt dazu täppisch: "Bei uns zu Hause war das auch so; meine
Mutter hielt sehr darauf, daß die Leute kirchlich waren, und eigentlich gehört
sich das auch . . . ." Unter "Leute" versteht er natürlich die Dienstboten,
worauf die Erzählung weiter geht: Maggie lachte hell ... Er hielt erschrocken
inne. -- Was noch folgt, ist unwesentlich.

Frau oder Fräulein Sudermann (wir sind in der neuern Litteratur¬
geschichte nicht recht beschlagen) hat vor das Buch ihr eigen Bildnis gesetzt
mit einem äußerst behaglichen Gesichtsausdruck. Sie selbst scheint also von
ihrer Leistung befriedigt zu sein. Das wäre doch wenigsten ein Erfolg des
Romans.

Vier kleine Erzählungen in einem hübsch illustrirten Bande (Stuttgart,
Bonz u. Comp.) vou Hermine Villiuger haben den Titel: Aus unsrer
Zeit. Aber wer darin realistische, an wirklich vorkommende Dinge erinnernde
Schilderungen erwartete, würde sehr enttäuscht werden. Es sind so zu sagen
gedichtete Geschichten, aus sehr vielen UnWahrscheinlichkeiten zusammengesetzt,
wie sie in Dichtungen weiblichen Ursprungs fast niemals fehlen, aber doch
ganz nett zu lesen. Die Motive sind ein wenig verbraucht: ein Nähmädchen,
das einen armen Adlichen heiratet und, um die Vornehmheit aufrecht zu halten,
lieber die Familie verhungern läßt, sodciß es ihre Söhne vorziehen, nahrhafte
Gewerbe zu ergreifen und bürgerliche Mädchen zu heiraten; eine Nevisors-
tochter, die Lehrerin wird, einen wohlhabenden Gastwirt heiratet und ihre
ganze Familie wie Hans im Glücke zu sich ins Haus nimmt; eine Verlobung
in einem Alpenhotel, die ganz anders ausfüllt, als die vielen unbeschäftigten
Beobachter anfangs denken. Dazu noch eine Dorfgeschichte von etwas zweifel¬
haftem Gepräge, der Stimmung nach ganz wirkungsvoll, aber unheimlich und
jedenfalls nicht zu den ersten drei, wesentlich komischen Geschichten passend.
Sie alle treten nicht anspruchsvoll auf und werden manchen Leser angenehm
zerstreuen.


Neue Erzählungen

hören und der Forderung eines richtigen Schlusses für das Kunstwerk. Kleinig¬
keit! sagt Clara Sudermann, das läßt sich machen. Nämlich so: Zunächst
lange Pause. Nach Jahren, da der alte Oberförster in Ruhestand treten will,
kommen die Familien seiner beiden Tochter, um ihn das letztemal im Forsthause
zu besuchen. Maggie, nun, die durfte nicht glücklich werden, denn sie hat doch
eigentlich recht niederträchtig gehandelt, und das fühlt sie auch längst. Zur
Strafe dafür ist sie jetzt nervös, hat keine Kinder, und der blonde, schlanke,
ideale Sackersdorf sieht etwas ver—essen aus und macht recht einfältige Be¬
merkungen, wenn er überhaupt noch spricht. Kurowskis aber sind seelenver¬
gnügt. Er ist noch ein bischen roh und polternd, aber im ganzen doch artig,
sie eine gute Hausfrau, denn sie ist „so fromm geworden," wie Maggie schon
unterwegs auf der Reise gehört hat (sie hat nämlich zuletzt mit ihrem Manne
auf dessen sächsischen Gütern gelebt). Also das ist die Lösung! Und Sackers¬
dorf bemerkt dazu täppisch: „Bei uns zu Hause war das auch so; meine
Mutter hielt sehr darauf, daß die Leute kirchlich waren, und eigentlich gehört
sich das auch . . . ." Unter „Leute" versteht er natürlich die Dienstboten,
worauf die Erzählung weiter geht: Maggie lachte hell ... Er hielt erschrocken
inne. — Was noch folgt, ist unwesentlich.

Frau oder Fräulein Sudermann (wir sind in der neuern Litteratur¬
geschichte nicht recht beschlagen) hat vor das Buch ihr eigen Bildnis gesetzt
mit einem äußerst behaglichen Gesichtsausdruck. Sie selbst scheint also von
ihrer Leistung befriedigt zu sein. Das wäre doch wenigsten ein Erfolg des
Romans.

Vier kleine Erzählungen in einem hübsch illustrirten Bande (Stuttgart,
Bonz u. Comp.) vou Hermine Villiuger haben den Titel: Aus unsrer
Zeit. Aber wer darin realistische, an wirklich vorkommende Dinge erinnernde
Schilderungen erwartete, würde sehr enttäuscht werden. Es sind so zu sagen
gedichtete Geschichten, aus sehr vielen UnWahrscheinlichkeiten zusammengesetzt,
wie sie in Dichtungen weiblichen Ursprungs fast niemals fehlen, aber doch
ganz nett zu lesen. Die Motive sind ein wenig verbraucht: ein Nähmädchen,
das einen armen Adlichen heiratet und, um die Vornehmheit aufrecht zu halten,
lieber die Familie verhungern läßt, sodciß es ihre Söhne vorziehen, nahrhafte
Gewerbe zu ergreifen und bürgerliche Mädchen zu heiraten; eine Nevisors-
tochter, die Lehrerin wird, einen wohlhabenden Gastwirt heiratet und ihre
ganze Familie wie Hans im Glücke zu sich ins Haus nimmt; eine Verlobung
in einem Alpenhotel, die ganz anders ausfüllt, als die vielen unbeschäftigten
Beobachter anfangs denken. Dazu noch eine Dorfgeschichte von etwas zweifel¬
haftem Gepräge, der Stimmung nach ganz wirkungsvoll, aber unheimlich und
jedenfalls nicht zu den ersten drei, wesentlich komischen Geschichten passend.
Sie alle treten nicht anspruchsvoll auf und werden manchen Leser angenehm
zerstreuen.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0200" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/225128"/>
          <fw type="header" place="top"> Neue Erzählungen</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_637" prev="#ID_636"> hören und der Forderung eines richtigen Schlusses für das Kunstwerk. Kleinig¬<lb/>
keit! sagt Clara Sudermann, das läßt sich machen. Nämlich so: Zunächst<lb/>
lange Pause. Nach Jahren, da der alte Oberförster in Ruhestand treten will,<lb/>
kommen die Familien seiner beiden Tochter, um ihn das letztemal im Forsthause<lb/>
zu besuchen. Maggie, nun, die durfte nicht glücklich werden, denn sie hat doch<lb/>
eigentlich recht niederträchtig gehandelt, und das fühlt sie auch längst. Zur<lb/>
Strafe dafür ist sie jetzt nervös, hat keine Kinder, und der blonde, schlanke,<lb/>
ideale Sackersdorf sieht etwas ver&#x2014;essen aus und macht recht einfältige Be¬<lb/>
merkungen, wenn er überhaupt noch spricht. Kurowskis aber sind seelenver¬<lb/>
gnügt. Er ist noch ein bischen roh und polternd, aber im ganzen doch artig,<lb/>
sie eine gute Hausfrau, denn sie ist &#x201E;so fromm geworden," wie Maggie schon<lb/>
unterwegs auf der Reise gehört hat (sie hat nämlich zuletzt mit ihrem Manne<lb/>
auf dessen sächsischen Gütern gelebt). Also das ist die Lösung! Und Sackers¬<lb/>
dorf bemerkt dazu täppisch: &#x201E;Bei uns zu Hause war das auch so; meine<lb/>
Mutter hielt sehr darauf, daß die Leute kirchlich waren, und eigentlich gehört<lb/>
sich das auch . . . ." Unter &#x201E;Leute" versteht er natürlich die Dienstboten,<lb/>
worauf die Erzählung weiter geht: Maggie lachte hell ... Er hielt erschrocken<lb/>
inne. &#x2014; Was noch folgt, ist unwesentlich.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_638"> Frau oder Fräulein Sudermann (wir sind in der neuern Litteratur¬<lb/>
geschichte nicht recht beschlagen) hat vor das Buch ihr eigen Bildnis gesetzt<lb/>
mit einem äußerst behaglichen Gesichtsausdruck. Sie selbst scheint also von<lb/>
ihrer Leistung befriedigt zu sein. Das wäre doch wenigsten ein Erfolg des<lb/>
Romans.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_639"> Vier kleine Erzählungen in einem hübsch illustrirten Bande (Stuttgart,<lb/>
Bonz u. Comp.) vou Hermine Villiuger haben den Titel: Aus unsrer<lb/>
Zeit. Aber wer darin realistische, an wirklich vorkommende Dinge erinnernde<lb/>
Schilderungen erwartete, würde sehr enttäuscht werden. Es sind so zu sagen<lb/>
gedichtete Geschichten, aus sehr vielen UnWahrscheinlichkeiten zusammengesetzt,<lb/>
wie sie in Dichtungen weiblichen Ursprungs fast niemals fehlen, aber doch<lb/>
ganz nett zu lesen. Die Motive sind ein wenig verbraucht: ein Nähmädchen,<lb/>
das einen armen Adlichen heiratet und, um die Vornehmheit aufrecht zu halten,<lb/>
lieber die Familie verhungern läßt, sodciß es ihre Söhne vorziehen, nahrhafte<lb/>
Gewerbe zu ergreifen und bürgerliche Mädchen zu heiraten; eine Nevisors-<lb/>
tochter, die Lehrerin wird, einen wohlhabenden Gastwirt heiratet und ihre<lb/>
ganze Familie wie Hans im Glücke zu sich ins Haus nimmt; eine Verlobung<lb/>
in einem Alpenhotel, die ganz anders ausfüllt, als die vielen unbeschäftigten<lb/>
Beobachter anfangs denken. Dazu noch eine Dorfgeschichte von etwas zweifel¬<lb/>
haftem Gepräge, der Stimmung nach ganz wirkungsvoll, aber unheimlich und<lb/>
jedenfalls nicht zu den ersten drei, wesentlich komischen Geschichten passend.<lb/>
Sie alle treten nicht anspruchsvoll auf und werden manchen Leser angenehm<lb/>
zerstreuen.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0200] Neue Erzählungen hören und der Forderung eines richtigen Schlusses für das Kunstwerk. Kleinig¬ keit! sagt Clara Sudermann, das läßt sich machen. Nämlich so: Zunächst lange Pause. Nach Jahren, da der alte Oberförster in Ruhestand treten will, kommen die Familien seiner beiden Tochter, um ihn das letztemal im Forsthause zu besuchen. Maggie, nun, die durfte nicht glücklich werden, denn sie hat doch eigentlich recht niederträchtig gehandelt, und das fühlt sie auch längst. Zur Strafe dafür ist sie jetzt nervös, hat keine Kinder, und der blonde, schlanke, ideale Sackersdorf sieht etwas ver—essen aus und macht recht einfältige Be¬ merkungen, wenn er überhaupt noch spricht. Kurowskis aber sind seelenver¬ gnügt. Er ist noch ein bischen roh und polternd, aber im ganzen doch artig, sie eine gute Hausfrau, denn sie ist „so fromm geworden," wie Maggie schon unterwegs auf der Reise gehört hat (sie hat nämlich zuletzt mit ihrem Manne auf dessen sächsischen Gütern gelebt). Also das ist die Lösung! Und Sackers¬ dorf bemerkt dazu täppisch: „Bei uns zu Hause war das auch so; meine Mutter hielt sehr darauf, daß die Leute kirchlich waren, und eigentlich gehört sich das auch . . . ." Unter „Leute" versteht er natürlich die Dienstboten, worauf die Erzählung weiter geht: Maggie lachte hell ... Er hielt erschrocken inne. — Was noch folgt, ist unwesentlich. Frau oder Fräulein Sudermann (wir sind in der neuern Litteratur¬ geschichte nicht recht beschlagen) hat vor das Buch ihr eigen Bildnis gesetzt mit einem äußerst behaglichen Gesichtsausdruck. Sie selbst scheint also von ihrer Leistung befriedigt zu sein. Das wäre doch wenigsten ein Erfolg des Romans. Vier kleine Erzählungen in einem hübsch illustrirten Bande (Stuttgart, Bonz u. Comp.) vou Hermine Villiuger haben den Titel: Aus unsrer Zeit. Aber wer darin realistische, an wirklich vorkommende Dinge erinnernde Schilderungen erwartete, würde sehr enttäuscht werden. Es sind so zu sagen gedichtete Geschichten, aus sehr vielen UnWahrscheinlichkeiten zusammengesetzt, wie sie in Dichtungen weiblichen Ursprungs fast niemals fehlen, aber doch ganz nett zu lesen. Die Motive sind ein wenig verbraucht: ein Nähmädchen, das einen armen Adlichen heiratet und, um die Vornehmheit aufrecht zu halten, lieber die Familie verhungern läßt, sodciß es ihre Söhne vorziehen, nahrhafte Gewerbe zu ergreifen und bürgerliche Mädchen zu heiraten; eine Nevisors- tochter, die Lehrerin wird, einen wohlhabenden Gastwirt heiratet und ihre ganze Familie wie Hans im Glücke zu sich ins Haus nimmt; eine Verlobung in einem Alpenhotel, die ganz anders ausfüllt, als die vielen unbeschäftigten Beobachter anfangs denken. Dazu noch eine Dorfgeschichte von etwas zweifel¬ haftem Gepräge, der Stimmung nach ganz wirkungsvoll, aber unheimlich und jedenfalls nicht zu den ersten drei, wesentlich komischen Geschichten passend. Sie alle treten nicht anspruchsvoll auf und werden manchen Leser angenehm zerstreuen.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/200
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/200>, abgerufen am 23.07.2024.