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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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Gewerbeaufsicht und Grtspolizei

unfähig. Das schließt nicht aus, daß der Staat mehr als bisher auch Leute
zur Gewerbeaussicht heranziehen könnte, die aus der arbeitenden Klasse selbst
hervorgehen, nur muß er sicher sein, daß sie befähigt und gewillt sind, sich als
Staatsbeamte über die Parteien zu stellen, was auch gar nicht so selten sein
würde. Das Verlangen nach Gewerbeiuspektorinnen ist unsrer Erfahrung nach
Spielerei. Wo für besondre Aufgaben das besondre weibliche Wahrnehmungs¬
und Urteilsvermögen unentbehrlich sein sollte, wird man auch ohnedies Hilfe
schassen können. Wir haben solche Aufgaben aber bisher nirgends überzeugend
namhaft gemacht gesehen. Es wird immer Englands Beispiel angeführt, aber
es wird niemals nachgewiesen, daß dort für die verhältnismäßig wenigen
Dienstleistungen der Gewerbeiuspektorinnen nicht geeignete Männer zu finden
gewesen wären. Die Liebhaberei für Frauenämter liegt, nebenbei gesagt, in
England vielleicht teilweise an dem langen Frauenkönigtum.

Die Theorie von der Partcianwaltschaft der Gewerbeinspektoren oder doch
von ihrer absonderlichen Stellung im Vergleich zu den ordentlichen Polizei¬
behörden hat neuerdings anch in der wissenschaftlichen Sozialpolitik eine gewisse
Vertretung gefunden, die uns zu interessant erscheint, als daß wir nicht etwas
eingehender darauf hinweisen sollten. In der Wiener Zeitschrift für Volkswirt¬
schaft, Sozialpolitik und Verwaltung (Band 5, Heft 2) hat Professor Mischler
einen Aufsatz über die Gewerbeinspektion in Österreich veröffentlicht, worin er
unter anderm folgendes ausführt: Die "Dispositionen des öffentlichen Rechts"
sollten "um ihrer selbst willen" zur Anwendung gebracht werden, oder viel¬
mehr deshalb, "weil in ihrer Gesamtheit eine der Garantien für den Bestand
des Staats erblickt" werde. Ihre Durchführung gehöre zu deu Pflichten der
"politischen Behörden," und das Recht selbst erscheine "der Bevölkerung gegen¬
über als das xrius, das Stärkere," während die Bevölkerung als das "Be¬
herrschte, Unterworfne" erscheine. Deshalb sei unsrer "politischen Verwaltung,
somit auch der Gewerbeverwaltung" der Gedanke schon an sich fremd, durch
die "konkreten Anforderungen der Bevölkerung bedingt zu werden." Noch
mehr müsse ihr der Gedanke fremd erscheinen, "dnrch die Anforderungen einer
bestimmten Bevölkerungsklasse speziell beeinflußt zu werden." Die Gewerbe¬
inspektion suche nun "eine ganz spezifische Bethätigung der Gewalt gerade
zu Gunsten einer kapitallosen Klasse herbeizuführen," und zwar erscheine "bei
der heutigen thatsächlichen, wenn auch nur implizite gegebnen Bevorzugung
der besitzenden Klassen schon die einfache thatsächliche Gleichstellung der Klasse
der Arbeiter mit den übrigen Klassen als eine Bevorzugung derselben." Da
dürfe es wohl nicht wunder nehmen, "wenn -- selbst abgesehen von der
blinden Furcht vor dem roten Gespenst -- die Gewerbeinspektion in den: festen
Gefüge der Verwaltung nicht recht Wurzel fasse." Es sei ein "ganz fremder
Gedanke," daß sich die politische und die Gewerbebehörde um die Befolgung
solcher Normen, die im Interesse einzelner Klassen, der Arbeiter, der Unter-


Gewerbeaufsicht und Grtspolizei

unfähig. Das schließt nicht aus, daß der Staat mehr als bisher auch Leute
zur Gewerbeaussicht heranziehen könnte, die aus der arbeitenden Klasse selbst
hervorgehen, nur muß er sicher sein, daß sie befähigt und gewillt sind, sich als
Staatsbeamte über die Parteien zu stellen, was auch gar nicht so selten sein
würde. Das Verlangen nach Gewerbeiuspektorinnen ist unsrer Erfahrung nach
Spielerei. Wo für besondre Aufgaben das besondre weibliche Wahrnehmungs¬
und Urteilsvermögen unentbehrlich sein sollte, wird man auch ohnedies Hilfe
schassen können. Wir haben solche Aufgaben aber bisher nirgends überzeugend
namhaft gemacht gesehen. Es wird immer Englands Beispiel angeführt, aber
es wird niemals nachgewiesen, daß dort für die verhältnismäßig wenigen
Dienstleistungen der Gewerbeiuspektorinnen nicht geeignete Männer zu finden
gewesen wären. Die Liebhaberei für Frauenämter liegt, nebenbei gesagt, in
England vielleicht teilweise an dem langen Frauenkönigtum.

Die Theorie von der Partcianwaltschaft der Gewerbeinspektoren oder doch
von ihrer absonderlichen Stellung im Vergleich zu den ordentlichen Polizei¬
behörden hat neuerdings anch in der wissenschaftlichen Sozialpolitik eine gewisse
Vertretung gefunden, die uns zu interessant erscheint, als daß wir nicht etwas
eingehender darauf hinweisen sollten. In der Wiener Zeitschrift für Volkswirt¬
schaft, Sozialpolitik und Verwaltung (Band 5, Heft 2) hat Professor Mischler
einen Aufsatz über die Gewerbeinspektion in Österreich veröffentlicht, worin er
unter anderm folgendes ausführt: Die „Dispositionen des öffentlichen Rechts"
sollten „um ihrer selbst willen" zur Anwendung gebracht werden, oder viel¬
mehr deshalb, „weil in ihrer Gesamtheit eine der Garantien für den Bestand
des Staats erblickt" werde. Ihre Durchführung gehöre zu deu Pflichten der
„politischen Behörden," und das Recht selbst erscheine „der Bevölkerung gegen¬
über als das xrius, das Stärkere," während die Bevölkerung als das „Be¬
herrschte, Unterworfne" erscheine. Deshalb sei unsrer „politischen Verwaltung,
somit auch der Gewerbeverwaltung" der Gedanke schon an sich fremd, durch
die „konkreten Anforderungen der Bevölkerung bedingt zu werden." Noch
mehr müsse ihr der Gedanke fremd erscheinen, „dnrch die Anforderungen einer
bestimmten Bevölkerungsklasse speziell beeinflußt zu werden." Die Gewerbe¬
inspektion suche nun „eine ganz spezifische Bethätigung der Gewalt gerade
zu Gunsten einer kapitallosen Klasse herbeizuführen," und zwar erscheine „bei
der heutigen thatsächlichen, wenn auch nur implizite gegebnen Bevorzugung
der besitzenden Klassen schon die einfache thatsächliche Gleichstellung der Klasse
der Arbeiter mit den übrigen Klassen als eine Bevorzugung derselben." Da
dürfe es wohl nicht wunder nehmen, „wenn — selbst abgesehen von der
blinden Furcht vor dem roten Gespenst — die Gewerbeinspektion in den: festen
Gefüge der Verwaltung nicht recht Wurzel fasse." Es sei ein „ganz fremder
Gedanke," daß sich die politische und die Gewerbebehörde um die Befolgung
solcher Normen, die im Interesse einzelner Klassen, der Arbeiter, der Unter-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/20>, abgerufen am 23.07.2024.