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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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Neue Erzählungen

einfach angezogen, weil sie es nicht reicher geben kann, ist aber trotzdem immer
die schönste, die unterhaltendste, die gewandteste (ihre verstorbne Mutter war
eine Engländerin) und auch recht anspruchsvoll. Sie spricht von diesen auf
großem Fuße lebenden Leuten, wie wenn es gerade freundlich genug von ihr
wäre, in deren Häusern sich zu vergnügen oder zu langweilen, je nach der
Beschaffenheit der Gastgeber. Sie findet auf dem Gute eines Junggesellen mit
vieler Dienerschaft die Weine gut, das Essen schlecht.

Was nun zunächst diesen Hintergrund unsers Romans anlangt, so kennen
wir die Ostpreußen auch, aber wir kennen sie als ziemlich ruhige, nüchterne,
rechnende Menschen und finden es einigermaßen unwahrscheinlich, daß alle diese
reichen Familien höhern Standes eine arme Försterstochter umschwärmen und
verziehen sollten, deren Haus ihnen keinerlei Erwiderung bietet, die persönlich
zum Dank sür genossene Gastfreundschaft noch den Söhnen die Köpfe verdreht,
die Töchter aussticht und über die Alten mitleidige Bemerkungen macht. Wir
fürchten, solch gute Menschen giebt es selbst in Ostpreußen nicht. Aber dafür
sind wir im Reiche des Romans, und gedichtet hat ihn eine Frau.

Maggie, die Siegerin, nimmt die ältere, unglückliche Schwester rührend
auf, tröstet sie und will ihr ihren ersten Liebhaber, den nunmehrigen Guts¬
besitzer von Sackersdorf, wieder verschaffen, obwohl der gegenwärtige Gatte
an alles eher denkt als an Scheidung, und auch der alte Oberförster davon
nichts wissen will. Das ist also jedenfalls sehr schwer. Aber was wäre zu
schwer für die Heldin eines solchen Romans? In den recht nett geschilderten
Unterhaltungen der beiden Schwestern, einigen Besuchen von Papa und Maggie
bei Sackersdorf und in dem, was die einsame, getrennte Frau hiervon erfährt
und dabei empfindet und darüber spricht, wird der Faden weiter gesponnen.
Nachdem wir uns an einige Unwahrscheinlichkeit in dein Laufe dieser kleinen
Welt gewöhnt haben, folgen wir den einzelnen Akten mit Interesse. Wir sind
sogar gespannt, da die Siegerin allmählich auf das Ziel zusteuert, anstatt für
die Schwester für sich selbst den Sackersdorf zu fangen, und ihn auch wirklich
fängt. Denn nun wird die Sache kritisch. Die Schwester ist natürlich außer
sich über ihren eigennützigen Liebesboten, deren Mann ist auch nicht angenehmer
geworden infolge so wunderbar sich überstürzender Neuigkeiten, und nach allerlei
Zwischenfällen, die wir übergehen, trägt es sich endlich zu, daß Frau von
Knrowski im Forsthause kurz vor der Trauung Maggies Herrn von Sackers¬
dorf einen förmlichen Antrag macht, den dieser mit dem Hinweis auf seine
nunmehrige stärkere Verpflichtung noch gerade zu rechter Zeit abschneidet.
Sonst hätte Herrn von Knrowski und der künftigen Fran von Sackersdorf
dies bedenkliche Zwischenspiel in den engen Räumen des Forsthauses unmöglich
entgehen können.

Aber was soll nun aus unserm Roman werden? fragt sorgenvoll der
Leser, dessen Gedanken sich ja teilen müssen zwischen den Geschicken der Per-


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einfach angezogen, weil sie es nicht reicher geben kann, ist aber trotzdem immer
die schönste, die unterhaltendste, die gewandteste (ihre verstorbne Mutter war
eine Engländerin) und auch recht anspruchsvoll. Sie spricht von diesen auf
großem Fuße lebenden Leuten, wie wenn es gerade freundlich genug von ihr
wäre, in deren Häusern sich zu vergnügen oder zu langweilen, je nach der
Beschaffenheit der Gastgeber. Sie findet auf dem Gute eines Junggesellen mit
vieler Dienerschaft die Weine gut, das Essen schlecht.

Was nun zunächst diesen Hintergrund unsers Romans anlangt, so kennen
wir die Ostpreußen auch, aber wir kennen sie als ziemlich ruhige, nüchterne,
rechnende Menschen und finden es einigermaßen unwahrscheinlich, daß alle diese
reichen Familien höhern Standes eine arme Försterstochter umschwärmen und
verziehen sollten, deren Haus ihnen keinerlei Erwiderung bietet, die persönlich
zum Dank sür genossene Gastfreundschaft noch den Söhnen die Köpfe verdreht,
die Töchter aussticht und über die Alten mitleidige Bemerkungen macht. Wir
fürchten, solch gute Menschen giebt es selbst in Ostpreußen nicht. Aber dafür
sind wir im Reiche des Romans, und gedichtet hat ihn eine Frau.

Maggie, die Siegerin, nimmt die ältere, unglückliche Schwester rührend
auf, tröstet sie und will ihr ihren ersten Liebhaber, den nunmehrigen Guts¬
besitzer von Sackersdorf, wieder verschaffen, obwohl der gegenwärtige Gatte
an alles eher denkt als an Scheidung, und auch der alte Oberförster davon
nichts wissen will. Das ist also jedenfalls sehr schwer. Aber was wäre zu
schwer für die Heldin eines solchen Romans? In den recht nett geschilderten
Unterhaltungen der beiden Schwestern, einigen Besuchen von Papa und Maggie
bei Sackersdorf und in dem, was die einsame, getrennte Frau hiervon erfährt
und dabei empfindet und darüber spricht, wird der Faden weiter gesponnen.
Nachdem wir uns an einige Unwahrscheinlichkeit in dein Laufe dieser kleinen
Welt gewöhnt haben, folgen wir den einzelnen Akten mit Interesse. Wir sind
sogar gespannt, da die Siegerin allmählich auf das Ziel zusteuert, anstatt für
die Schwester für sich selbst den Sackersdorf zu fangen, und ihn auch wirklich
fängt. Denn nun wird die Sache kritisch. Die Schwester ist natürlich außer
sich über ihren eigennützigen Liebesboten, deren Mann ist auch nicht angenehmer
geworden infolge so wunderbar sich überstürzender Neuigkeiten, und nach allerlei
Zwischenfällen, die wir übergehen, trägt es sich endlich zu, daß Frau von
Knrowski im Forsthause kurz vor der Trauung Maggies Herrn von Sackers¬
dorf einen förmlichen Antrag macht, den dieser mit dem Hinweis auf seine
nunmehrige stärkere Verpflichtung noch gerade zu rechter Zeit abschneidet.
Sonst hätte Herrn von Knrowski und der künftigen Fran von Sackersdorf
dies bedenkliche Zwischenspiel in den engen Räumen des Forsthauses unmöglich
entgehen können.

Aber was soll nun aus unserm Roman werden? fragt sorgenvoll der
Leser, dessen Gedanken sich ja teilen müssen zwischen den Geschicken der Per-


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[0199] Neue Erzählungen einfach angezogen, weil sie es nicht reicher geben kann, ist aber trotzdem immer die schönste, die unterhaltendste, die gewandteste (ihre verstorbne Mutter war eine Engländerin) und auch recht anspruchsvoll. Sie spricht von diesen auf großem Fuße lebenden Leuten, wie wenn es gerade freundlich genug von ihr wäre, in deren Häusern sich zu vergnügen oder zu langweilen, je nach der Beschaffenheit der Gastgeber. Sie findet auf dem Gute eines Junggesellen mit vieler Dienerschaft die Weine gut, das Essen schlecht. Was nun zunächst diesen Hintergrund unsers Romans anlangt, so kennen wir die Ostpreußen auch, aber wir kennen sie als ziemlich ruhige, nüchterne, rechnende Menschen und finden es einigermaßen unwahrscheinlich, daß alle diese reichen Familien höhern Standes eine arme Försterstochter umschwärmen und verziehen sollten, deren Haus ihnen keinerlei Erwiderung bietet, die persönlich zum Dank sür genossene Gastfreundschaft noch den Söhnen die Köpfe verdreht, die Töchter aussticht und über die Alten mitleidige Bemerkungen macht. Wir fürchten, solch gute Menschen giebt es selbst in Ostpreußen nicht. Aber dafür sind wir im Reiche des Romans, und gedichtet hat ihn eine Frau. Maggie, die Siegerin, nimmt die ältere, unglückliche Schwester rührend auf, tröstet sie und will ihr ihren ersten Liebhaber, den nunmehrigen Guts¬ besitzer von Sackersdorf, wieder verschaffen, obwohl der gegenwärtige Gatte an alles eher denkt als an Scheidung, und auch der alte Oberförster davon nichts wissen will. Das ist also jedenfalls sehr schwer. Aber was wäre zu schwer für die Heldin eines solchen Romans? In den recht nett geschilderten Unterhaltungen der beiden Schwestern, einigen Besuchen von Papa und Maggie bei Sackersdorf und in dem, was die einsame, getrennte Frau hiervon erfährt und dabei empfindet und darüber spricht, wird der Faden weiter gesponnen. Nachdem wir uns an einige Unwahrscheinlichkeit in dein Laufe dieser kleinen Welt gewöhnt haben, folgen wir den einzelnen Akten mit Interesse. Wir sind sogar gespannt, da die Siegerin allmählich auf das Ziel zusteuert, anstatt für die Schwester für sich selbst den Sackersdorf zu fangen, und ihn auch wirklich fängt. Denn nun wird die Sache kritisch. Die Schwester ist natürlich außer sich über ihren eigennützigen Liebesboten, deren Mann ist auch nicht angenehmer geworden infolge so wunderbar sich überstürzender Neuigkeiten, und nach allerlei Zwischenfällen, die wir übergehen, trägt es sich endlich zu, daß Frau von Knrowski im Forsthause kurz vor der Trauung Maggies Herrn von Sackers¬ dorf einen förmlichen Antrag macht, den dieser mit dem Hinweis auf seine nunmehrige stärkere Verpflichtung noch gerade zu rechter Zeit abschneidet. Sonst hätte Herrn von Knrowski und der künftigen Fran von Sackersdorf dies bedenkliche Zwischenspiel in den engen Räumen des Forsthauses unmöglich entgehen können. Aber was soll nun aus unserm Roman werden? fragt sorgenvoll der Leser, dessen Gedanken sich ja teilen müssen zwischen den Geschicken der Per-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/199>, abgerufen am 23.07.2024.