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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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Neue Erzählungen

in seine sonstigen Eigenschaften so sehr verliebt hat, daß sie sogar auf die Ein¬
willigung ihrer stolzen Mutter verzichtet und sich von Doktors die Hochzeits¬
feier ausrichten läßt. Beide jungen Leute bleiben in dem etwas erweiterten
Gärtnerhäuschen der Villa und sind sehr glücklich, bis auf die plötzlich sich
wieder einstellenden Rückfälle des Mannes. Daraus entsteht aber allmählich
eine Tragödie, die trotz dem kleinen Zuschnitt der Verhältnisse doch etwas
sehr großes in sich hat. Die Frau überwindet schließlich das Laster des
Mannes und gewinnt ihn aufs neue, und alles geht gut aus. Es kommen
noch einige Bauern und Bäuerinnen dabei vor, und eine fast ganz blödsinnige
Kostgängerin bei Jan de Ritters Eltern, ferner eine Schucipswirtin im Dorfe,
bei der die jungen Leute ihre Groschen vertrinken, also gewiß keine anziehende
Gesellschaft. Trotzdem ist das kleine Buch sehr anziehend. Wem das wunder¬
bar vorkommt, der muß es eben lesen. Und wir wünschen, daß das recht
viele thun möchten.

Der Titel eines zweiten Buches, das uns nach Schweden sührt und eine
ebenfalls landschaftlich bestimmte Erzählung enthält, klingt viel vertrauen¬
erweckender: Der Schutzengel, Roman von Ola Hanssvn (Berlin, Grote),
aber der Leser wird darin doch etwas andres finden, als was er sich vor¬
gestellt hat, wenigstens unter dem Schutzengel, denn für Schweden ist das Buch
sehr charakteristisch: es ist darin sehr viel die Rede vom Frühstücken, von
Hummern und Krebsscheren, Punsch und Toddy, und von den Verhältnissen
der Zeitungsschreiber. Der "Schutzengel" ist ein reicher älterer Junggeselle,
der früher so ziemlich in allen Fakultäten vergeblich studirt und sich dann als
Berichterstatter am "Schonenschen Kurier" in Malmö niedergelassen hat, wo
er sich schon seit langer Zeit damit beschäftigt, die Menschen zu beobachten
und zu bespötteln und dabei ausgesucht gut zu essen und zu trinken. Als
Unterhaltung, so dann und wann abends beim Glase Wein, wäre der Mann
nicht übel, denn eine Menge treffende, witzige und beißende Redensarten sitzen
ihm sehr lose, aber auf die Dauer? Und nun verkehrt er noch dazu mit zwei
blutjungen Redakteuren, die ziemlich grün und persönlich ganz ohne Anziehung
sind. Sie scheinen eigentlich nur dazu da zu sein, von ihm aufgezogen zu
werden. Der eine redigirt eine Bauernzeitung, hält Vorträge fürs Landvolk
und kommt öfter nach dem großen Vauerndorfe Nefvie, wo ihm auch eine
Tochter des Dorfes wohlgefällt. Aber der "Schutzengel" entscheidet anders
über seine Zukunft. Er meint unter anderen: Refvie ist zum Untergang be¬
stimmt. Von unten her kommen die Arbeiter, und die Arbeiter haben die
Disziplin. Von oben her kommen die Juden, und die Juden haben die
Schlaue. Aber Refvie hat weder Disziplin noch Schlaue. Refvie ist dumm
und stumpf, es trinkt Toddy, spielt Preference, baut Zuckerrüben, besucht
Fortbildungsschulen. Und wenn der letzte alte Bauernhof auf die Gaut
gekommen ist, dann fällt der ganze germanische Gesellschaftsbau und die ganze


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in seine sonstigen Eigenschaften so sehr verliebt hat, daß sie sogar auf die Ein¬
willigung ihrer stolzen Mutter verzichtet und sich von Doktors die Hochzeits¬
feier ausrichten läßt. Beide jungen Leute bleiben in dem etwas erweiterten
Gärtnerhäuschen der Villa und sind sehr glücklich, bis auf die plötzlich sich
wieder einstellenden Rückfälle des Mannes. Daraus entsteht aber allmählich
eine Tragödie, die trotz dem kleinen Zuschnitt der Verhältnisse doch etwas
sehr großes in sich hat. Die Frau überwindet schließlich das Laster des
Mannes und gewinnt ihn aufs neue, und alles geht gut aus. Es kommen
noch einige Bauern und Bäuerinnen dabei vor, und eine fast ganz blödsinnige
Kostgängerin bei Jan de Ritters Eltern, ferner eine Schucipswirtin im Dorfe,
bei der die jungen Leute ihre Groschen vertrinken, also gewiß keine anziehende
Gesellschaft. Trotzdem ist das kleine Buch sehr anziehend. Wem das wunder¬
bar vorkommt, der muß es eben lesen. Und wir wünschen, daß das recht
viele thun möchten.

Der Titel eines zweiten Buches, das uns nach Schweden sührt und eine
ebenfalls landschaftlich bestimmte Erzählung enthält, klingt viel vertrauen¬
erweckender: Der Schutzengel, Roman von Ola Hanssvn (Berlin, Grote),
aber der Leser wird darin doch etwas andres finden, als was er sich vor¬
gestellt hat, wenigstens unter dem Schutzengel, denn für Schweden ist das Buch
sehr charakteristisch: es ist darin sehr viel die Rede vom Frühstücken, von
Hummern und Krebsscheren, Punsch und Toddy, und von den Verhältnissen
der Zeitungsschreiber. Der „Schutzengel" ist ein reicher älterer Junggeselle,
der früher so ziemlich in allen Fakultäten vergeblich studirt und sich dann als
Berichterstatter am „Schonenschen Kurier" in Malmö niedergelassen hat, wo
er sich schon seit langer Zeit damit beschäftigt, die Menschen zu beobachten
und zu bespötteln und dabei ausgesucht gut zu essen und zu trinken. Als
Unterhaltung, so dann und wann abends beim Glase Wein, wäre der Mann
nicht übel, denn eine Menge treffende, witzige und beißende Redensarten sitzen
ihm sehr lose, aber auf die Dauer? Und nun verkehrt er noch dazu mit zwei
blutjungen Redakteuren, die ziemlich grün und persönlich ganz ohne Anziehung
sind. Sie scheinen eigentlich nur dazu da zu sein, von ihm aufgezogen zu
werden. Der eine redigirt eine Bauernzeitung, hält Vorträge fürs Landvolk
und kommt öfter nach dem großen Vauerndorfe Nefvie, wo ihm auch eine
Tochter des Dorfes wohlgefällt. Aber der „Schutzengel" entscheidet anders
über seine Zukunft. Er meint unter anderen: Refvie ist zum Untergang be¬
stimmt. Von unten her kommen die Arbeiter, und die Arbeiter haben die
Disziplin. Von oben her kommen die Juden, und die Juden haben die
Schlaue. Aber Refvie hat weder Disziplin noch Schlaue. Refvie ist dumm
und stumpf, es trinkt Toddy, spielt Preference, baut Zuckerrüben, besucht
Fortbildungsschulen. Und wenn der letzte alte Bauernhof auf die Gaut
gekommen ist, dann fällt der ganze germanische Gesellschaftsbau und die ganze


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[0197] Neue Erzählungen in seine sonstigen Eigenschaften so sehr verliebt hat, daß sie sogar auf die Ein¬ willigung ihrer stolzen Mutter verzichtet und sich von Doktors die Hochzeits¬ feier ausrichten läßt. Beide jungen Leute bleiben in dem etwas erweiterten Gärtnerhäuschen der Villa und sind sehr glücklich, bis auf die plötzlich sich wieder einstellenden Rückfälle des Mannes. Daraus entsteht aber allmählich eine Tragödie, die trotz dem kleinen Zuschnitt der Verhältnisse doch etwas sehr großes in sich hat. Die Frau überwindet schließlich das Laster des Mannes und gewinnt ihn aufs neue, und alles geht gut aus. Es kommen noch einige Bauern und Bäuerinnen dabei vor, und eine fast ganz blödsinnige Kostgängerin bei Jan de Ritters Eltern, ferner eine Schucipswirtin im Dorfe, bei der die jungen Leute ihre Groschen vertrinken, also gewiß keine anziehende Gesellschaft. Trotzdem ist das kleine Buch sehr anziehend. Wem das wunder¬ bar vorkommt, der muß es eben lesen. Und wir wünschen, daß das recht viele thun möchten. Der Titel eines zweiten Buches, das uns nach Schweden sührt und eine ebenfalls landschaftlich bestimmte Erzählung enthält, klingt viel vertrauen¬ erweckender: Der Schutzengel, Roman von Ola Hanssvn (Berlin, Grote), aber der Leser wird darin doch etwas andres finden, als was er sich vor¬ gestellt hat, wenigstens unter dem Schutzengel, denn für Schweden ist das Buch sehr charakteristisch: es ist darin sehr viel die Rede vom Frühstücken, von Hummern und Krebsscheren, Punsch und Toddy, und von den Verhältnissen der Zeitungsschreiber. Der „Schutzengel" ist ein reicher älterer Junggeselle, der früher so ziemlich in allen Fakultäten vergeblich studirt und sich dann als Berichterstatter am „Schonenschen Kurier" in Malmö niedergelassen hat, wo er sich schon seit langer Zeit damit beschäftigt, die Menschen zu beobachten und zu bespötteln und dabei ausgesucht gut zu essen und zu trinken. Als Unterhaltung, so dann und wann abends beim Glase Wein, wäre der Mann nicht übel, denn eine Menge treffende, witzige und beißende Redensarten sitzen ihm sehr lose, aber auf die Dauer? Und nun verkehrt er noch dazu mit zwei blutjungen Redakteuren, die ziemlich grün und persönlich ganz ohne Anziehung sind. Sie scheinen eigentlich nur dazu da zu sein, von ihm aufgezogen zu werden. Der eine redigirt eine Bauernzeitung, hält Vorträge fürs Landvolk und kommt öfter nach dem großen Vauerndorfe Nefvie, wo ihm auch eine Tochter des Dorfes wohlgefällt. Aber der „Schutzengel" entscheidet anders über seine Zukunft. Er meint unter anderen: Refvie ist zum Untergang be¬ stimmt. Von unten her kommen die Arbeiter, und die Arbeiter haben die Disziplin. Von oben her kommen die Juden, und die Juden haben die Schlaue. Aber Refvie hat weder Disziplin noch Schlaue. Refvie ist dumm und stumpf, es trinkt Toddy, spielt Preference, baut Zuckerrüben, besucht Fortbildungsschulen. Und wenn der letzte alte Bauernhof auf die Gaut gekommen ist, dann fällt der ganze germanische Gesellschaftsbau und die ganze

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/197>, abgerufen am 23.07.2024.