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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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Die Memoiren von Paul Barras

und Frau von Staöl, seine Schöpferin und zugleich die von ihm Verfolgte;
Fouchs, der einstige Schweinehündler, der sich in seinen Erzählungen ans der
Revolutionszeit immer als "Herr Herzog von Otranto" im Munde der da¬
maligen Leute einführt, so sehr hat er seine Vergangenheit vergessen, und viele
andre. Auch über Napoleon und seinen Hof finden wir sehr viele höchst unter¬
haltende Erzählungen. Barras hat Sinn für dergleichen, Duruy nennt ihn
ja klatschsüchtig, aber es gehört doch entschieden mit zum Stempel der Zeit.
So wenn der Emporkömmlung Cambacsrös zu seinen Freunden sagt: "Ihr
braucht mich, wenn wir unter uns sind, nur Monseigneur zu nennen." Dahin
gehören auch die vielen Geschichten, die sich auf den hochgesteigerten Luxus
der Zeit beziehen, dem gegenüber z. V. die fremden Monarchen bei ihrem Ein¬
zug 1815 durch ihre Einfachheit auffallen. Barras kommt sich mit seinen Er¬
zählungen wie Plutarch vor, der auch dasür sorge, daß seine Helden allerlei
kleine Flecken bekämen. Er ist jedenfalls nicht weniger unterhaltend, und
manche seiner Erzählungen haben den Vorzug, daß sie viele Helden zu gleicher
Zeit besprenkeln. Dafür nur ein Beispiel. Moreau hat sich nach seinem Siege
bei Hohenlinden für seine Wohnung eine wundervolle Mobiliareinrichtung
machen lassen, die allgemein besprochen wird. Nachdem er verbannt worden
ist, schenkt Napoleon als Kaiser das Haus Bernadotte, der darum hat bitten
lassen. Als er es aber in Besitz nimmt, findet er "seine" Möbel nicht darin;
Josephine, die auch Sinn für dergleichen hat, hat sie inzwischen nach Malmaison
und Fontainebleau bringen lassen. Bernadotte klagt durch Joseph beim Kaiser,
und dieser beauftragt Fouchv, ihn zufriedenzustellen: "Bernadotte spricht immer
von seiner Anhänglichkeit an meine Person, vielleicht macht ihn das noch an¬
hänglicher." Was war zu thun? Die Sache mußte in Gelde abgemacht
werden, und zuletzt sagt Fouah6: "Wenn Bernadotte nicht endlich aufgehört
hätte von seinen Möbeln zu sprechen, Hütte ich ihn hinauswerfen müssen."

Als Barras unmittelbar vor seinem Tode seinen Angehörigen die Papiere
bezeichnete, die sie demnächst vor den Nachsuchungen der Behörde in Sicherheit
zu bringen hätten, sahen sie unter anderm eine Anzahl schön eingebundner und
recht offenkundig aufgestellter Mappen und meinten, die enthielten das von
der Negierung Gesuchte. Aber die waren im Gegenteil bestimmt, den Beamten
in die Hände zu fallen, sie enthielten Waschrechnungen, seit Jahrzehnten ge¬
sammelt, und ähnliches, und über diesen herrlichen Einfall und die Enttäuschung
der demnächstigen Besitzer der Mappen geriet Barras dann so ins Lachen, das
er buchstäblich an einem Lachkrampf erstickte. Es wird viel gelacht und
viel gespottet in diesen Bänden. Aber zu einer ernstem Betrachtung kann uns
Deutsche noch ihr Inhalt veranlassen. Wenn wir uns in die Handlungsweise
der vielen ganz verschiednen Personen hineindenken, so wird es uns manchmal
merkwürdig, daß sie bei allen Gegensätzen und bei aller persönlichen Feind¬
schaft in einem einig sind, in der Liebe zum Vaterlande. In allen den Bänden


Die Memoiren von Paul Barras

und Frau von Staöl, seine Schöpferin und zugleich die von ihm Verfolgte;
Fouchs, der einstige Schweinehündler, der sich in seinen Erzählungen ans der
Revolutionszeit immer als „Herr Herzog von Otranto" im Munde der da¬
maligen Leute einführt, so sehr hat er seine Vergangenheit vergessen, und viele
andre. Auch über Napoleon und seinen Hof finden wir sehr viele höchst unter¬
haltende Erzählungen. Barras hat Sinn für dergleichen, Duruy nennt ihn
ja klatschsüchtig, aber es gehört doch entschieden mit zum Stempel der Zeit.
So wenn der Emporkömmlung Cambacsrös zu seinen Freunden sagt: „Ihr
braucht mich, wenn wir unter uns sind, nur Monseigneur zu nennen." Dahin
gehören auch die vielen Geschichten, die sich auf den hochgesteigerten Luxus
der Zeit beziehen, dem gegenüber z. V. die fremden Monarchen bei ihrem Ein¬
zug 1815 durch ihre Einfachheit auffallen. Barras kommt sich mit seinen Er¬
zählungen wie Plutarch vor, der auch dasür sorge, daß seine Helden allerlei
kleine Flecken bekämen. Er ist jedenfalls nicht weniger unterhaltend, und
manche seiner Erzählungen haben den Vorzug, daß sie viele Helden zu gleicher
Zeit besprenkeln. Dafür nur ein Beispiel. Moreau hat sich nach seinem Siege
bei Hohenlinden für seine Wohnung eine wundervolle Mobiliareinrichtung
machen lassen, die allgemein besprochen wird. Nachdem er verbannt worden
ist, schenkt Napoleon als Kaiser das Haus Bernadotte, der darum hat bitten
lassen. Als er es aber in Besitz nimmt, findet er „seine" Möbel nicht darin;
Josephine, die auch Sinn für dergleichen hat, hat sie inzwischen nach Malmaison
und Fontainebleau bringen lassen. Bernadotte klagt durch Joseph beim Kaiser,
und dieser beauftragt Fouchv, ihn zufriedenzustellen: „Bernadotte spricht immer
von seiner Anhänglichkeit an meine Person, vielleicht macht ihn das noch an¬
hänglicher." Was war zu thun? Die Sache mußte in Gelde abgemacht
werden, und zuletzt sagt Fouah6: „Wenn Bernadotte nicht endlich aufgehört
hätte von seinen Möbeln zu sprechen, Hütte ich ihn hinauswerfen müssen."

Als Barras unmittelbar vor seinem Tode seinen Angehörigen die Papiere
bezeichnete, die sie demnächst vor den Nachsuchungen der Behörde in Sicherheit
zu bringen hätten, sahen sie unter anderm eine Anzahl schön eingebundner und
recht offenkundig aufgestellter Mappen und meinten, die enthielten das von
der Negierung Gesuchte. Aber die waren im Gegenteil bestimmt, den Beamten
in die Hände zu fallen, sie enthielten Waschrechnungen, seit Jahrzehnten ge¬
sammelt, und ähnliches, und über diesen herrlichen Einfall und die Enttäuschung
der demnächstigen Besitzer der Mappen geriet Barras dann so ins Lachen, das
er buchstäblich an einem Lachkrampf erstickte. Es wird viel gelacht und
viel gespottet in diesen Bänden. Aber zu einer ernstem Betrachtung kann uns
Deutsche noch ihr Inhalt veranlassen. Wenn wir uns in die Handlungsweise
der vielen ganz verschiednen Personen hineindenken, so wird es uns manchmal
merkwürdig, daß sie bei allen Gegensätzen und bei aller persönlichen Feind¬
schaft in einem einig sind, in der Liebe zum Vaterlande. In allen den Bänden


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/195>, abgerufen am 23.07.2024.