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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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Die Memoiren von Paul Barras

Offenheit, und das damals Gesprochn? hat sich der Beobachter gemerkt und
verwendet es nachträglich zu seiner Chcirakterisirung, wobei man freilich immer
im Auge behalten wird, daß der Memoireuschreiber seine eigne Divincitionsgabe
mit Hilfe seiner Phantasie, wie es leicht zu geschehen Pflegt, zurückdatirr.

Zur Zeit, als seine Ehe mit Josephine vollzogen wurde, und er das ita¬
lienische Kommando bekommen sollte, kam er oft zu Barras. Als es sich ent¬
schieden hatte, war er wie toll vor Freude, und nach dem Essen bat er die
Thür schließen und etwas Komödie spielen zu dürfen. Man gab ihm eine
Idee, und darnach improvisirte er ein Stück, brachte es in szenische Formen
und übernahm selbst alle Rollen darin. Er bat um die Erlaubnis, seinen
Rock ausziehen zu dürfen, stellte aus Tischtüchern und Servietten verschiedne
Kostüme her, in die er sich hinter einem Sessel verkleidete, dann sprang er
plötzlich hervor und stellte mit verschiednen Stimmen dar. Bisweilen fing er
mit einer Geschichte aus Boccaccio oder einer Episode des Ariost an, ohne,
wie er gleich sagte, zu wissen, was folgen sollte, aber immer fand er in un¬
erschöpflicher Erfindung improvisirend ein Ende. Das komischste war, daß er
das, was er frei erfand, und über das er sich selbst am meisten lustig machte,
ganz ernsthaft abschloß mit den Worten: "Ihr müßt wissen, daß das voll¬
kommen wahr und eine wirkliche Geschichte ist." Ja er nahm es übel und
konnte grob werden, wenn man das scherzhaft aufnahm und ihm an seiner
Wahrhaftigkeit zu zweifeln schien. Barras erzählt dergleichen im Direktorium
und will es mit zur Beurteilung seiner Persönlichkeit und ihrer Handlungen
berücksichtigt wissen. "Das ist alles ganz gut nach Tische und zum Kaffee,
meint dazu Newbell, aber mau darf so eigentümliche Dinge nicht in die Politik
übertragen." Seit seiner Rückkehr aus Italien konnte er nirgends das Gefühl
verleugnen, daß er etwas ganz besondres sei, und bei Barras in dessen Woh¬
nung ging er ganz aus sich heraus. Eines Abends sprach er mit besondrer
Lebhaftigkeit von der Gelehrigkeit der Italiener und von der Macht, die er
über die Gemüter ausgeübt habe. Sie hätten ihn zum Herzog von Mailand
und zum König von Italien machen wollen. Barras staunt, Bonaparte, der
es bemerkt, fährt fort: "Aber ich denke an nichts desgleichen, in keinem Lande."
"Sie thun gut daran in Frankreich, erwidert Barras, denn wenn das Direk¬
torium Sie morgen in den Temple schickte, würden sich kaum vier Leute
finden, die auf Ihrer Seite stünden." Bei solchen Zurechtweisungen kämpft
er uur mit Mühe gegen Gemütsbewegungen an, worin er sich wie ein wildes
Tier zum Sprunge erhebt, dann aber plötzlich in seine eigentümliche Ruhe
zurückfällt. Frau von Staöl, der Barras eine derartige Geschichte erzählt,
kopirt Bonaparte, indem sie wie eine Katze spielt. Inzwischen entsteht in seinem
Kopfe der Plan des ägyptischen Feldzugs; er malt in Gesprächen die Kombi¬
nationen aufs wunderbarste aus, sodaß man an seinem gesunden Verstand
zweifeln möchte. Er hat später, als das Unternehmen mißlungen war, die


Die Memoiren von Paul Barras

Offenheit, und das damals Gesprochn? hat sich der Beobachter gemerkt und
verwendet es nachträglich zu seiner Chcirakterisirung, wobei man freilich immer
im Auge behalten wird, daß der Memoireuschreiber seine eigne Divincitionsgabe
mit Hilfe seiner Phantasie, wie es leicht zu geschehen Pflegt, zurückdatirr.

Zur Zeit, als seine Ehe mit Josephine vollzogen wurde, und er das ita¬
lienische Kommando bekommen sollte, kam er oft zu Barras. Als es sich ent¬
schieden hatte, war er wie toll vor Freude, und nach dem Essen bat er die
Thür schließen und etwas Komödie spielen zu dürfen. Man gab ihm eine
Idee, und darnach improvisirte er ein Stück, brachte es in szenische Formen
und übernahm selbst alle Rollen darin. Er bat um die Erlaubnis, seinen
Rock ausziehen zu dürfen, stellte aus Tischtüchern und Servietten verschiedne
Kostüme her, in die er sich hinter einem Sessel verkleidete, dann sprang er
plötzlich hervor und stellte mit verschiednen Stimmen dar. Bisweilen fing er
mit einer Geschichte aus Boccaccio oder einer Episode des Ariost an, ohne,
wie er gleich sagte, zu wissen, was folgen sollte, aber immer fand er in un¬
erschöpflicher Erfindung improvisirend ein Ende. Das komischste war, daß er
das, was er frei erfand, und über das er sich selbst am meisten lustig machte,
ganz ernsthaft abschloß mit den Worten: „Ihr müßt wissen, daß das voll¬
kommen wahr und eine wirkliche Geschichte ist." Ja er nahm es übel und
konnte grob werden, wenn man das scherzhaft aufnahm und ihm an seiner
Wahrhaftigkeit zu zweifeln schien. Barras erzählt dergleichen im Direktorium
und will es mit zur Beurteilung seiner Persönlichkeit und ihrer Handlungen
berücksichtigt wissen. „Das ist alles ganz gut nach Tische und zum Kaffee,
meint dazu Newbell, aber mau darf so eigentümliche Dinge nicht in die Politik
übertragen." Seit seiner Rückkehr aus Italien konnte er nirgends das Gefühl
verleugnen, daß er etwas ganz besondres sei, und bei Barras in dessen Woh¬
nung ging er ganz aus sich heraus. Eines Abends sprach er mit besondrer
Lebhaftigkeit von der Gelehrigkeit der Italiener und von der Macht, die er
über die Gemüter ausgeübt habe. Sie hätten ihn zum Herzog von Mailand
und zum König von Italien machen wollen. Barras staunt, Bonaparte, der
es bemerkt, fährt fort: „Aber ich denke an nichts desgleichen, in keinem Lande."
„Sie thun gut daran in Frankreich, erwidert Barras, denn wenn das Direk¬
torium Sie morgen in den Temple schickte, würden sich kaum vier Leute
finden, die auf Ihrer Seite stünden." Bei solchen Zurechtweisungen kämpft
er uur mit Mühe gegen Gemütsbewegungen an, worin er sich wie ein wildes
Tier zum Sprunge erhebt, dann aber plötzlich in seine eigentümliche Ruhe
zurückfällt. Frau von Staöl, der Barras eine derartige Geschichte erzählt,
kopirt Bonaparte, indem sie wie eine Katze spielt. Inzwischen entsteht in seinem
Kopfe der Plan des ägyptischen Feldzugs; er malt in Gesprächen die Kombi¬
nationen aufs wunderbarste aus, sodaß man an seinem gesunden Verstand
zweifeln möchte. Er hat später, als das Unternehmen mißlungen war, die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/190>, abgerufen am 23.07.2024.