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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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Geiverbeaufsicht und Gitspolizei

Verlangt man also, daß die Durchführung des Arbeiterschutzes wesentlich nur
durch die besondern Gewerbeaufsichtsbeamten gesichert werden soll, so kommt
man zunächst natürlich dazu, ein ganzes Heer von Gewerbeinspcktoren zu ver¬
langen. Daß in etwa zehn Jahren deren Zahl in Deutschland verzehnfacht
worden ist, und jetzt mehr als zweihundert solche Beamten, und damit mehr
als in irgend einem europäischen Kulturstaat eingestellt worden sind, erscheint
dann freilich dem Bedürfnis gegenüber immer noch wie ein Tropfen auf eiuen
heißen Stein. Selbst wenn die Zahl nochmals vervielfacht wurde, fo würde
zwar viel Nutzen geschafft werden können, aber auf keinen Fall die Befolgung
der Schutzbestimmungen, wie sie heute sind, hinreichend gesichert werden. Es
würde immer noch nur ein kleiner Teil der gewerblichen Betriebe uur einmal
im Jahre von einem besondern Aufsichtsbeamten besucht werden können, von
den wenigen, die der so notwendigen fortgesetzten Beaufsichtigung unterworfen
werden könnten, gar nicht zu reden. Man ist sich wohl auch ziemlich all¬
gemein darüber klar, daß auf diesem Wege nicht wirklich gebessert werden kann,
namentlich daß eine wirksame Kontrolle des Kleingewerbes, die doch schon
jetzt den Gewerbeinspektoren in sehr wichtigen Punkten obliegt, so nicht zu er¬
reichen ist.

Gewisse Leute glauben uun auch hier in ver sogenannten Organisation
der Arbeiter das Universalheilmittel gefunden zu haben. Wir glauben das
nicht, ja wir möchten dringend davor warnen, daß die Gewerbeaufsichts-
beamten grundsätzlich in dieser Richtung die Hilfe suchen, die sie brauchen.
Unter Umstünden, die selten genug sind, kann ja die einseitige Organisation der
Arbeiterschaft in dem Kampfe mit einseitigen Mißbräuchen der Unternehmer
sehr segensreich wirken, auch als Bollwerk gegen Nichtachtung der Arbeiter¬
schutzgesetze. Aber unter keinen Umständen dürfen die staatlichen Aufsichts¬
organe zu Anwälten der einen Partei in diesem Kampf, auch uicht der Arbeiter
gestempelt werden- Der Gedanke, daß nicht der einzelne Unternehmer mit
seinen Arbeitern zu thun habe, sondern die Unternehmerschaft als Ganzes mit
der Arbeiterschaft als Ganzem, ist, solange wir an der bestehenden Rechts¬
ordnung festhalten, verkehrt. Der Unternehmer hat das Recht, in seinem Be¬
triebe als Herr anerkannt zu werden, solange der Staat das kapitalistische
Unternehmertum anerkennt, und mit Recht lehnt er es ab, daß in seinem
Betriebe eine fremde Macht, die der Arbeiterparteiführer, regiert, kontrollirt,
die Aufsicht führt. Nur der Staat als solcher, der über deu Parteien steht,
ist hierzu befugt, soweit es die Gesetze vorschreiben. Praktisch kann der Ge-
werbeaufsichtsbeamte gar nichts ungeschickteres thun. als sich in der Stellung
des Arbeiterparteinuwalts zu gefallen. Zur gedeihlichen Durchführung des
Arbeiterschutzes ist das Verständnis, der gute Wille der Unternehmer und ihre
Erziehung hierzu von durchschlagender Bedeutung. Der Gewerbenufsichts-
beamte ist als Parteianwalt der organisirten Arbeiter für diese Aufgabe ganz


Geiverbeaufsicht und Gitspolizei

Verlangt man also, daß die Durchführung des Arbeiterschutzes wesentlich nur
durch die besondern Gewerbeaufsichtsbeamten gesichert werden soll, so kommt
man zunächst natürlich dazu, ein ganzes Heer von Gewerbeinspcktoren zu ver¬
langen. Daß in etwa zehn Jahren deren Zahl in Deutschland verzehnfacht
worden ist, und jetzt mehr als zweihundert solche Beamten, und damit mehr
als in irgend einem europäischen Kulturstaat eingestellt worden sind, erscheint
dann freilich dem Bedürfnis gegenüber immer noch wie ein Tropfen auf eiuen
heißen Stein. Selbst wenn die Zahl nochmals vervielfacht wurde, fo würde
zwar viel Nutzen geschafft werden können, aber auf keinen Fall die Befolgung
der Schutzbestimmungen, wie sie heute sind, hinreichend gesichert werden. Es
würde immer noch nur ein kleiner Teil der gewerblichen Betriebe uur einmal
im Jahre von einem besondern Aufsichtsbeamten besucht werden können, von
den wenigen, die der so notwendigen fortgesetzten Beaufsichtigung unterworfen
werden könnten, gar nicht zu reden. Man ist sich wohl auch ziemlich all¬
gemein darüber klar, daß auf diesem Wege nicht wirklich gebessert werden kann,
namentlich daß eine wirksame Kontrolle des Kleingewerbes, die doch schon
jetzt den Gewerbeinspektoren in sehr wichtigen Punkten obliegt, so nicht zu er¬
reichen ist.

Gewisse Leute glauben uun auch hier in ver sogenannten Organisation
der Arbeiter das Universalheilmittel gefunden zu haben. Wir glauben das
nicht, ja wir möchten dringend davor warnen, daß die Gewerbeaufsichts-
beamten grundsätzlich in dieser Richtung die Hilfe suchen, die sie brauchen.
Unter Umstünden, die selten genug sind, kann ja die einseitige Organisation der
Arbeiterschaft in dem Kampfe mit einseitigen Mißbräuchen der Unternehmer
sehr segensreich wirken, auch als Bollwerk gegen Nichtachtung der Arbeiter¬
schutzgesetze. Aber unter keinen Umständen dürfen die staatlichen Aufsichts¬
organe zu Anwälten der einen Partei in diesem Kampf, auch uicht der Arbeiter
gestempelt werden- Der Gedanke, daß nicht der einzelne Unternehmer mit
seinen Arbeitern zu thun habe, sondern die Unternehmerschaft als Ganzes mit
der Arbeiterschaft als Ganzem, ist, solange wir an der bestehenden Rechts¬
ordnung festhalten, verkehrt. Der Unternehmer hat das Recht, in seinem Be¬
triebe als Herr anerkannt zu werden, solange der Staat das kapitalistische
Unternehmertum anerkennt, und mit Recht lehnt er es ab, daß in seinem
Betriebe eine fremde Macht, die der Arbeiterparteiführer, regiert, kontrollirt,
die Aufsicht führt. Nur der Staat als solcher, der über deu Parteien steht,
ist hierzu befugt, soweit es die Gesetze vorschreiben. Praktisch kann der Ge-
werbeaufsichtsbeamte gar nichts ungeschickteres thun. als sich in der Stellung
des Arbeiterparteinuwalts zu gefallen. Zur gedeihlichen Durchführung des
Arbeiterschutzes ist das Verständnis, der gute Wille der Unternehmer und ihre
Erziehung hierzu von durchschlagender Bedeutung. Der Gewerbenufsichts-
beamte ist als Parteianwalt der organisirten Arbeiter für diese Aufgabe ganz


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/19>, abgerufen am 23.07.2024.