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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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Dunkler Drang nach einem guten Rechtsweg

geleugnet, sondern grundsätzlich behauptet wird, und daß die irdische Gerechtig¬
keit, obwohl sie von den Mängeln alles Irdischen behaftet ist, sich nicht als
ein von den Durchschnittsmenschen an den Verbrechern verübtes Unrecht
darstellt.

Die Anhänger des Darwinismus, die vor dessen strengsten Folgerungen
nicht zurückschrecken, und dann noch wenige Leute, die sich sonst philosophische
Kenntnisse angeeignet haben, gehören zu dem kleinen Kreise der Ausnahmen.
Dieser kleine Kreis ist von der Unfreiheit des Willens so fest überzeugt, daß
er von ihr als einer mathematisch erwiesenen Thatsache spricht und es für eine
Unbildung und einen Mangel an logischer Urteilskraft hält, von Willensfreiheit
zu reden. Schon vor den Philosophen haben die größten Theologen das
Unvereinbare einer vertieften Gottesidee mit der menschlichen Willensfreiheit
nachzuweisen gesucht. Bei der Wahlfreiheit des Willens wird der Mensch
gleichsam selbstschöpferisch der Thäter seiner Thaten. Solche selbstschöpferische
Kraft kann logisch neben der Allmacht Gottes und der göttlichen Vorsehung
nicht bestehen. Der heilige Augustin und Luther haben unerschütterlich an der
strengen Prädestinationslehre, der Gnadenwahl mit göttlicher Vorherbestimmung
festgehalten, und von der folgerichtigen Strenge dieser Lehre ist man niemals
aus logischen Gründen, sondern nur aus praktischen Rücksichten aus die Wahl¬
freiheit und die menschliche Verantwortlichkeit abgewichen. Spinoza sucht die
Erklärung für den Irrtum, der uns glauben lasse, eine Wahlfreiheit des
Willens zu haben, darin, daß wir uns zwar unsrer Handlungen bewußt sind,
aber nicht der Ursachen, von denen sie bestimmt werden. Die verschiednen philo¬
sophischen Systeme, nach welchen Kunstausdrücken man sie auch einteilen mag,
ob man sie Idealismus, Realismus, Materialismus oder sonstwie benennt,
haben alle mehr oder weniger scharf die menschliche Willensfreiheit geleugnet
und leugnen müssen.

Jede Philosophie, die sich auf logischem Denken aufbaut, braucht für jede
Wirkung eine zureichende Ursache, für jede Folge einen zureichenden Grund.
Aber die Ursache ist selbst nichts andres, als die Wirkung einer zureichenden
Ursache, und der Grund nichts andres, als die Folge eines zureichenden Grundes.
So geht es sort in unendlicher Abhängigkeit, und jedes innere n"d äußere
Geschehen vollzieht sich nach ewigem, ehernem, unabänderlichem Gesetz. Die
Logik selbst ist nichts andres als gesetzmäßiges Denken mit notwendigen Folge¬
rungen, von denen es keine Ausnahme geben darf. Wer logisch denken will
und kann, dringt deshalb auch stets bis zu dem Gesetzmäßigen und notwendigen
jedes Geschehens durch. Für eine Freiheit bleibt kein Raum übrig, sie müßte
denn bis in den über unsre Vorstellungskraft hinausgehenden Uranfang aller
Dinge zurückgelegt werdeu. Mit welcher Verachtung ein Philosoph wie
Schopenhauer auf seine Mitmenschen herabsieht, die sich des Wahns der
Willensfreiheit nicht zu entledigen vermögen, werden seine eignen Worte be-


Dunkler Drang nach einem guten Rechtsweg

geleugnet, sondern grundsätzlich behauptet wird, und daß die irdische Gerechtig¬
keit, obwohl sie von den Mängeln alles Irdischen behaftet ist, sich nicht als
ein von den Durchschnittsmenschen an den Verbrechern verübtes Unrecht
darstellt.

Die Anhänger des Darwinismus, die vor dessen strengsten Folgerungen
nicht zurückschrecken, und dann noch wenige Leute, die sich sonst philosophische
Kenntnisse angeeignet haben, gehören zu dem kleinen Kreise der Ausnahmen.
Dieser kleine Kreis ist von der Unfreiheit des Willens so fest überzeugt, daß
er von ihr als einer mathematisch erwiesenen Thatsache spricht und es für eine
Unbildung und einen Mangel an logischer Urteilskraft hält, von Willensfreiheit
zu reden. Schon vor den Philosophen haben die größten Theologen das
Unvereinbare einer vertieften Gottesidee mit der menschlichen Willensfreiheit
nachzuweisen gesucht. Bei der Wahlfreiheit des Willens wird der Mensch
gleichsam selbstschöpferisch der Thäter seiner Thaten. Solche selbstschöpferische
Kraft kann logisch neben der Allmacht Gottes und der göttlichen Vorsehung
nicht bestehen. Der heilige Augustin und Luther haben unerschütterlich an der
strengen Prädestinationslehre, der Gnadenwahl mit göttlicher Vorherbestimmung
festgehalten, und von der folgerichtigen Strenge dieser Lehre ist man niemals
aus logischen Gründen, sondern nur aus praktischen Rücksichten aus die Wahl¬
freiheit und die menschliche Verantwortlichkeit abgewichen. Spinoza sucht die
Erklärung für den Irrtum, der uns glauben lasse, eine Wahlfreiheit des
Willens zu haben, darin, daß wir uns zwar unsrer Handlungen bewußt sind,
aber nicht der Ursachen, von denen sie bestimmt werden. Die verschiednen philo¬
sophischen Systeme, nach welchen Kunstausdrücken man sie auch einteilen mag,
ob man sie Idealismus, Realismus, Materialismus oder sonstwie benennt,
haben alle mehr oder weniger scharf die menschliche Willensfreiheit geleugnet
und leugnen müssen.

Jede Philosophie, die sich auf logischem Denken aufbaut, braucht für jede
Wirkung eine zureichende Ursache, für jede Folge einen zureichenden Grund.
Aber die Ursache ist selbst nichts andres, als die Wirkung einer zureichenden
Ursache, und der Grund nichts andres, als die Folge eines zureichenden Grundes.
So geht es sort in unendlicher Abhängigkeit, und jedes innere n»d äußere
Geschehen vollzieht sich nach ewigem, ehernem, unabänderlichem Gesetz. Die
Logik selbst ist nichts andres als gesetzmäßiges Denken mit notwendigen Folge¬
rungen, von denen es keine Ausnahme geben darf. Wer logisch denken will
und kann, dringt deshalb auch stets bis zu dem Gesetzmäßigen und notwendigen
jedes Geschehens durch. Für eine Freiheit bleibt kein Raum übrig, sie müßte
denn bis in den über unsre Vorstellungskraft hinausgehenden Uranfang aller
Dinge zurückgelegt werdeu. Mit welcher Verachtung ein Philosoph wie
Schopenhauer auf seine Mitmenschen herabsieht, die sich des Wahns der
Willensfreiheit nicht zu entledigen vermögen, werden seine eignen Worte be-


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[0187] Dunkler Drang nach einem guten Rechtsweg geleugnet, sondern grundsätzlich behauptet wird, und daß die irdische Gerechtig¬ keit, obwohl sie von den Mängeln alles Irdischen behaftet ist, sich nicht als ein von den Durchschnittsmenschen an den Verbrechern verübtes Unrecht darstellt. Die Anhänger des Darwinismus, die vor dessen strengsten Folgerungen nicht zurückschrecken, und dann noch wenige Leute, die sich sonst philosophische Kenntnisse angeeignet haben, gehören zu dem kleinen Kreise der Ausnahmen. Dieser kleine Kreis ist von der Unfreiheit des Willens so fest überzeugt, daß er von ihr als einer mathematisch erwiesenen Thatsache spricht und es für eine Unbildung und einen Mangel an logischer Urteilskraft hält, von Willensfreiheit zu reden. Schon vor den Philosophen haben die größten Theologen das Unvereinbare einer vertieften Gottesidee mit der menschlichen Willensfreiheit nachzuweisen gesucht. Bei der Wahlfreiheit des Willens wird der Mensch gleichsam selbstschöpferisch der Thäter seiner Thaten. Solche selbstschöpferische Kraft kann logisch neben der Allmacht Gottes und der göttlichen Vorsehung nicht bestehen. Der heilige Augustin und Luther haben unerschütterlich an der strengen Prädestinationslehre, der Gnadenwahl mit göttlicher Vorherbestimmung festgehalten, und von der folgerichtigen Strenge dieser Lehre ist man niemals aus logischen Gründen, sondern nur aus praktischen Rücksichten aus die Wahl¬ freiheit und die menschliche Verantwortlichkeit abgewichen. Spinoza sucht die Erklärung für den Irrtum, der uns glauben lasse, eine Wahlfreiheit des Willens zu haben, darin, daß wir uns zwar unsrer Handlungen bewußt sind, aber nicht der Ursachen, von denen sie bestimmt werden. Die verschiednen philo¬ sophischen Systeme, nach welchen Kunstausdrücken man sie auch einteilen mag, ob man sie Idealismus, Realismus, Materialismus oder sonstwie benennt, haben alle mehr oder weniger scharf die menschliche Willensfreiheit geleugnet und leugnen müssen. Jede Philosophie, die sich auf logischem Denken aufbaut, braucht für jede Wirkung eine zureichende Ursache, für jede Folge einen zureichenden Grund. Aber die Ursache ist selbst nichts andres, als die Wirkung einer zureichenden Ursache, und der Grund nichts andres, als die Folge eines zureichenden Grundes. So geht es sort in unendlicher Abhängigkeit, und jedes innere n»d äußere Geschehen vollzieht sich nach ewigem, ehernem, unabänderlichem Gesetz. Die Logik selbst ist nichts andres als gesetzmäßiges Denken mit notwendigen Folge¬ rungen, von denen es keine Ausnahme geben darf. Wer logisch denken will und kann, dringt deshalb auch stets bis zu dem Gesetzmäßigen und notwendigen jedes Geschehens durch. Für eine Freiheit bleibt kein Raum übrig, sie müßte denn bis in den über unsre Vorstellungskraft hinausgehenden Uranfang aller Dinge zurückgelegt werdeu. Mit welcher Verachtung ein Philosoph wie Schopenhauer auf seine Mitmenschen herabsieht, die sich des Wahns der Willensfreiheit nicht zu entledigen vermögen, werden seine eignen Worte be-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/187>, abgerufen am 23.07.2024.