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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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Die Rompetenzerweiterung der Amtsgerichte

Landgerichtsanwalt zu reisen brauchen; so würde der erwünschte Zuzug von
Anwälten aufs Land erleichtert werden, und endlich würden die Landgerichte
entlastet werden. Bagatellsachen aber seien nach dem jetzigen Stande des Geld¬
werth die Sachen von 300 bis 500 Mark so gut wie die bis zu 300 Mark.
Die Anwälte würden allerdings geschädigt werden, aber nur wegen des bei
den Amtsgerichten bestehenden Unwesens der Winkelkonsulenten.

Gegenüber diesen Anschauungen möge es einem Anwalt erlaubt sein, um
Gehör für die im Publikum fast unbekannten Gründe zu bitten, die in dieser
praktisch höchst wichtigen Frage für die Anwälte wie sür alle Gegner des
Vorschlags maßgebend sind. Daß das finanzielle Interesse der Anwälte bei der
ganzen Sache keine große Rolle spielt, ergiebt sich schon daraus, daß -- trotz
der Winkelkonsulenten -- auch die Sachen von 200 bis 300 Mark bei den
Amtsgerichten schou zu drei Vierteln von Anwälten vertreten werden.

Zunächst machen die praktischen Vorteile, die sich der Verfasser des er¬
wähnten Artikels von der Komvetenzerweiteruug verspricht, eine solche Änderung
gar nicht notwendig. Allerdings werden bei den Landgerichten, namentlich bei
denen mit ungenügender Nichterzahl, die nichtstreitigen Sachen oft langsamer
erledigt als beim Amtsgericht (bei streitigen Sachen gleicht sich das vielfach
durch die größere Konzentration der landgerichtlichen Verhandlungen aus).
Hier könnte aber ganz ohne Eingreifen der Gesetzgebung Abhilfe geschafft
werden, wenn man sich nnr im übrigen Deutschland entschließen wollte, die
in Hamburg übliche Art der Termincmsetzung einzuführen. Hier wird in land¬
gerichtlichen Sachen auf Antrag des Klägers der erste Termin allgemein unter
Abkürzung der Einlassungsfrist auf ein bis zwei Wochen nach der Einreichung
der Klage angesetzt. Stellt sich dann heraus, daß die Sache streittg wird, so
wird sie vertagt, sodaß dem Beklagten die ordentliche Frist zu Gebote steht;
eine Erledigung durch Vcrsüumnisurteil, Anerkenntnis, Vergleich kann sofort
geschehen. Damit ist so ziemlich das erreicht, wofür Wach die gesetzliche Ein¬
führung eines Vvrtcrmins verlangt, und was ähnlich auch der neue österreichische
Prozeß ermöglicht.

Ebenso ist es mit den ersparten Reisen zum Anwalt. Hier wäre alles,
was der Verfasser wünscht, zu erreichen, wenn allgemein geschähe, was die
Württemberger Anwaltskammer schon erreicht hat: Zulassung der Amtsgerichts¬
anwälte anch bei dem übergeordneten auswärtigen Landgericht. Die preußische
Justizverwaltung sträubt sich allerdings trotz dringender Bestrebungen z. B. der
Frankfurter Anwaltskammer gegen diese Einrichtung, obwohl sie zweifellos auch
die Niederlassung von Anwälten an den Amtsgerichtssitzen erleichtern würde.

Daß es sich bei Prozessen über 300 bis zu 500 Mark noch um "Bagatellen"
handle, ist durchaus unrichtig, soweit wenigstens nicht Millionäre in Betracht
kommen, sondern die Mehrheit des rechtsuchenden Publikums. Hier handelt
es sich schon nicht mehr um die einfachen Geschäfte des täglichen Lebens,


Grenzboten II 18"? 18
Die Rompetenzerweiterung der Amtsgerichte

Landgerichtsanwalt zu reisen brauchen; so würde der erwünschte Zuzug von
Anwälten aufs Land erleichtert werden, und endlich würden die Landgerichte
entlastet werden. Bagatellsachen aber seien nach dem jetzigen Stande des Geld¬
werth die Sachen von 300 bis 500 Mark so gut wie die bis zu 300 Mark.
Die Anwälte würden allerdings geschädigt werden, aber nur wegen des bei
den Amtsgerichten bestehenden Unwesens der Winkelkonsulenten.

Gegenüber diesen Anschauungen möge es einem Anwalt erlaubt sein, um
Gehör für die im Publikum fast unbekannten Gründe zu bitten, die in dieser
praktisch höchst wichtigen Frage für die Anwälte wie sür alle Gegner des
Vorschlags maßgebend sind. Daß das finanzielle Interesse der Anwälte bei der
ganzen Sache keine große Rolle spielt, ergiebt sich schon daraus, daß — trotz
der Winkelkonsulenten — auch die Sachen von 200 bis 300 Mark bei den
Amtsgerichten schou zu drei Vierteln von Anwälten vertreten werden.

Zunächst machen die praktischen Vorteile, die sich der Verfasser des er¬
wähnten Artikels von der Komvetenzerweiteruug verspricht, eine solche Änderung
gar nicht notwendig. Allerdings werden bei den Landgerichten, namentlich bei
denen mit ungenügender Nichterzahl, die nichtstreitigen Sachen oft langsamer
erledigt als beim Amtsgericht (bei streitigen Sachen gleicht sich das vielfach
durch die größere Konzentration der landgerichtlichen Verhandlungen aus).
Hier könnte aber ganz ohne Eingreifen der Gesetzgebung Abhilfe geschafft
werden, wenn man sich nnr im übrigen Deutschland entschließen wollte, die
in Hamburg übliche Art der Termincmsetzung einzuführen. Hier wird in land¬
gerichtlichen Sachen auf Antrag des Klägers der erste Termin allgemein unter
Abkürzung der Einlassungsfrist auf ein bis zwei Wochen nach der Einreichung
der Klage angesetzt. Stellt sich dann heraus, daß die Sache streittg wird, so
wird sie vertagt, sodaß dem Beklagten die ordentliche Frist zu Gebote steht;
eine Erledigung durch Vcrsüumnisurteil, Anerkenntnis, Vergleich kann sofort
geschehen. Damit ist so ziemlich das erreicht, wofür Wach die gesetzliche Ein¬
führung eines Vvrtcrmins verlangt, und was ähnlich auch der neue österreichische
Prozeß ermöglicht.

Ebenso ist es mit den ersparten Reisen zum Anwalt. Hier wäre alles,
was der Verfasser wünscht, zu erreichen, wenn allgemein geschähe, was die
Württemberger Anwaltskammer schon erreicht hat: Zulassung der Amtsgerichts¬
anwälte anch bei dem übergeordneten auswärtigen Landgericht. Die preußische
Justizverwaltung sträubt sich allerdings trotz dringender Bestrebungen z. B. der
Frankfurter Anwaltskammer gegen diese Einrichtung, obwohl sie zweifellos auch
die Niederlassung von Anwälten an den Amtsgerichtssitzen erleichtern würde.

Daß es sich bei Prozessen über 300 bis zu 500 Mark noch um „Bagatellen"
handle, ist durchaus unrichtig, soweit wenigstens nicht Millionäre in Betracht
kommen, sondern die Mehrheit des rechtsuchenden Publikums. Hier handelt
es sich schon nicht mehr um die einfachen Geschäfte des täglichen Lebens,


Grenzboten II 18»? 18
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[0145] Die Rompetenzerweiterung der Amtsgerichte Landgerichtsanwalt zu reisen brauchen; so würde der erwünschte Zuzug von Anwälten aufs Land erleichtert werden, und endlich würden die Landgerichte entlastet werden. Bagatellsachen aber seien nach dem jetzigen Stande des Geld¬ werth die Sachen von 300 bis 500 Mark so gut wie die bis zu 300 Mark. Die Anwälte würden allerdings geschädigt werden, aber nur wegen des bei den Amtsgerichten bestehenden Unwesens der Winkelkonsulenten. Gegenüber diesen Anschauungen möge es einem Anwalt erlaubt sein, um Gehör für die im Publikum fast unbekannten Gründe zu bitten, die in dieser praktisch höchst wichtigen Frage für die Anwälte wie sür alle Gegner des Vorschlags maßgebend sind. Daß das finanzielle Interesse der Anwälte bei der ganzen Sache keine große Rolle spielt, ergiebt sich schon daraus, daß — trotz der Winkelkonsulenten — auch die Sachen von 200 bis 300 Mark bei den Amtsgerichten schou zu drei Vierteln von Anwälten vertreten werden. Zunächst machen die praktischen Vorteile, die sich der Verfasser des er¬ wähnten Artikels von der Komvetenzerweiteruug verspricht, eine solche Änderung gar nicht notwendig. Allerdings werden bei den Landgerichten, namentlich bei denen mit ungenügender Nichterzahl, die nichtstreitigen Sachen oft langsamer erledigt als beim Amtsgericht (bei streitigen Sachen gleicht sich das vielfach durch die größere Konzentration der landgerichtlichen Verhandlungen aus). Hier könnte aber ganz ohne Eingreifen der Gesetzgebung Abhilfe geschafft werden, wenn man sich nnr im übrigen Deutschland entschließen wollte, die in Hamburg übliche Art der Termincmsetzung einzuführen. Hier wird in land¬ gerichtlichen Sachen auf Antrag des Klägers der erste Termin allgemein unter Abkürzung der Einlassungsfrist auf ein bis zwei Wochen nach der Einreichung der Klage angesetzt. Stellt sich dann heraus, daß die Sache streittg wird, so wird sie vertagt, sodaß dem Beklagten die ordentliche Frist zu Gebote steht; eine Erledigung durch Vcrsüumnisurteil, Anerkenntnis, Vergleich kann sofort geschehen. Damit ist so ziemlich das erreicht, wofür Wach die gesetzliche Ein¬ führung eines Vvrtcrmins verlangt, und was ähnlich auch der neue österreichische Prozeß ermöglicht. Ebenso ist es mit den ersparten Reisen zum Anwalt. Hier wäre alles, was der Verfasser wünscht, zu erreichen, wenn allgemein geschähe, was die Württemberger Anwaltskammer schon erreicht hat: Zulassung der Amtsgerichts¬ anwälte anch bei dem übergeordneten auswärtigen Landgericht. Die preußische Justizverwaltung sträubt sich allerdings trotz dringender Bestrebungen z. B. der Frankfurter Anwaltskammer gegen diese Einrichtung, obwohl sie zweifellos auch die Niederlassung von Anwälten an den Amtsgerichtssitzen erleichtern würde. Daß es sich bei Prozessen über 300 bis zu 500 Mark noch um „Bagatellen" handle, ist durchaus unrichtig, soweit wenigstens nicht Millionäre in Betracht kommen, sondern die Mehrheit des rechtsuchenden Publikums. Hier handelt es sich schon nicht mehr um die einfachen Geschäfte des täglichen Lebens, Grenzboten II 18»? 18

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/145>, abgerufen am 23.07.2024.