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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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Die Memoiren von Paul Barras

Bonaparte ist der größte Mann des Weltalls." Das hat man in Paris er¬
fahren. Und was für andre Nachrichten gehen ihm voraus? Gelderpressnngen
in Italien kommen nicht mehr in Betracht, aber Grausamkeiten und wirkliche
Schurkenstreiche. Um Pichegru zu verderben, hat er einen Grafen, der angeblich
Papiere besaß, die ihn als Verschwörer bloßstellten, einkerkern lassen. Da
der Graf nicht gegen Pichegru aussagen will, soll er erschossen und mundtot
gemacht werden, und als beglaubigte Abschriften sollen dann gefälschte Papiere
jenen Zweck erfüllen. Bonaparte, Berthier und andre wissen um diesen Streich.
Die Gattin des Gefangnen entkommt aber aus Mantua und erreicht im Direktorium
seine Befreiung. Das ist nur eine von vielen Handlungen Bonapartes. Den
Direktoren sehlt natürlich der Mut. Die Komödie beginnt. Die Rede soll
nicht der Kriegsminister halten, sondern, um ihr einen friedlichem und bürger¬
lichen Charakter zu geben, der Minister des Auswärtigen. Talleyrand, der
Schlaue, entledigt sich seines Auftrags gewandt und, zum Verdruß der Direktoren,
mit eignen Zusätzen. Er feiert Bonapartes antike Vorliebe für das Einfache,
seine Neigung zu den abstrakten Wissenschaften und zu seinem Lieblingsdichter
Ossian. Man werde ihn vielleicht eines Tags auffordern müssen, sich aus
seiner wissenschaftlichen Zurückgezogenheit herauszubegeben. Bonaparte erwidert
mit allerlei Redewendungen. "Es liegt etwas von der Zukunft darin," soll
Talleyrand davon gesagt haben. Barras aber spricht darauf mit einem
Phrasenschwall, der sich zu dem kaiserlichen Bülletinstil schon ebenso verhält,
wie die Moden des virsetoii-ö den Übergang machen zum Empirestil. Bona¬
parte zieht sich zurück, wie er seinen Freunden sagt, gelangweilt von den
Schmeicheleien. Aber für das, was er wirklich denkt, ist es von Nutzen, etwas
von dem "Klatsch" zu erfahren (wie Duruy alles nennt, was seinen großen
Mann klein erscheinen läßt), der uns nun reichlich mitgeteilt wird. Der
General ißt in Gesellschaften nur von Schüsseln, aus denen er andre hat
nehmen sehen, er hält sich für wichtig genug, eiuen Mordanschlag voraussetzen
zu müssen. Er läßt sich in die Akademie aufnehmen (an Camoes Stelle), und
als bei der ersten Sitzung der Direktor Larevellivre, der ebenfalls Akademiker
ist, seinen Fauteuil vor ihm angewiesen bekommt, nennt er das laut eine Un¬
verschämtheit. Er erwartet, daß die Direktoren und ihre Frauen Joscphinen
die ersten Besuche machen. Er kommt ins Direktorium, giebt allerlei Rat¬
schläge und Vorschriften, setzt sich an den Direktoriumstisch, bis sich Rewbcll
ein Herz faßt und ihm sagt, daß er da nicht hingehöre. Darauf fordert er
seinen Abschied; Newbell reicht ihm die Feder zur Unterschrift der Empfangs¬
bescheinigung. Barras legt die Sache mit Mühe bei. Bernadotte will eben¬
falls seinen Abschied, er will nicht wieder als Divisionär unter Bonaparte
dienen, da er ihn hochnäsig behandle; oder man solle ihm das Kommando
in Italien geben, während Bonaparte soeben eines zu einer Expedition gegen
England bekommen hat. Das Direktorium will Bernadotte befriedigen, aber


Die Memoiren von Paul Barras

Bonaparte ist der größte Mann des Weltalls." Das hat man in Paris er¬
fahren. Und was für andre Nachrichten gehen ihm voraus? Gelderpressnngen
in Italien kommen nicht mehr in Betracht, aber Grausamkeiten und wirkliche
Schurkenstreiche. Um Pichegru zu verderben, hat er einen Grafen, der angeblich
Papiere besaß, die ihn als Verschwörer bloßstellten, einkerkern lassen. Da
der Graf nicht gegen Pichegru aussagen will, soll er erschossen und mundtot
gemacht werden, und als beglaubigte Abschriften sollen dann gefälschte Papiere
jenen Zweck erfüllen. Bonaparte, Berthier und andre wissen um diesen Streich.
Die Gattin des Gefangnen entkommt aber aus Mantua und erreicht im Direktorium
seine Befreiung. Das ist nur eine von vielen Handlungen Bonapartes. Den
Direktoren sehlt natürlich der Mut. Die Komödie beginnt. Die Rede soll
nicht der Kriegsminister halten, sondern, um ihr einen friedlichem und bürger¬
lichen Charakter zu geben, der Minister des Auswärtigen. Talleyrand, der
Schlaue, entledigt sich seines Auftrags gewandt und, zum Verdruß der Direktoren,
mit eignen Zusätzen. Er feiert Bonapartes antike Vorliebe für das Einfache,
seine Neigung zu den abstrakten Wissenschaften und zu seinem Lieblingsdichter
Ossian. Man werde ihn vielleicht eines Tags auffordern müssen, sich aus
seiner wissenschaftlichen Zurückgezogenheit herauszubegeben. Bonaparte erwidert
mit allerlei Redewendungen. „Es liegt etwas von der Zukunft darin," soll
Talleyrand davon gesagt haben. Barras aber spricht darauf mit einem
Phrasenschwall, der sich zu dem kaiserlichen Bülletinstil schon ebenso verhält,
wie die Moden des virsetoii-ö den Übergang machen zum Empirestil. Bona¬
parte zieht sich zurück, wie er seinen Freunden sagt, gelangweilt von den
Schmeicheleien. Aber für das, was er wirklich denkt, ist es von Nutzen, etwas
von dem „Klatsch" zu erfahren (wie Duruy alles nennt, was seinen großen
Mann klein erscheinen läßt), der uns nun reichlich mitgeteilt wird. Der
General ißt in Gesellschaften nur von Schüsseln, aus denen er andre hat
nehmen sehen, er hält sich für wichtig genug, eiuen Mordanschlag voraussetzen
zu müssen. Er läßt sich in die Akademie aufnehmen (an Camoes Stelle), und
als bei der ersten Sitzung der Direktor Larevellivre, der ebenfalls Akademiker
ist, seinen Fauteuil vor ihm angewiesen bekommt, nennt er das laut eine Un¬
verschämtheit. Er erwartet, daß die Direktoren und ihre Frauen Joscphinen
die ersten Besuche machen. Er kommt ins Direktorium, giebt allerlei Rat¬
schläge und Vorschriften, setzt sich an den Direktoriumstisch, bis sich Rewbcll
ein Herz faßt und ihm sagt, daß er da nicht hingehöre. Darauf fordert er
seinen Abschied; Newbell reicht ihm die Feder zur Unterschrift der Empfangs¬
bescheinigung. Barras legt die Sache mit Mühe bei. Bernadotte will eben¬
falls seinen Abschied, er will nicht wieder als Divisionär unter Bonaparte
dienen, da er ihn hochnäsig behandle; oder man solle ihm das Kommando
in Italien geben, während Bonaparte soeben eines zu einer Expedition gegen
England bekommen hat. Das Direktorium will Bernadotte befriedigen, aber


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[0143] Die Memoiren von Paul Barras Bonaparte ist der größte Mann des Weltalls." Das hat man in Paris er¬ fahren. Und was für andre Nachrichten gehen ihm voraus? Gelderpressnngen in Italien kommen nicht mehr in Betracht, aber Grausamkeiten und wirkliche Schurkenstreiche. Um Pichegru zu verderben, hat er einen Grafen, der angeblich Papiere besaß, die ihn als Verschwörer bloßstellten, einkerkern lassen. Da der Graf nicht gegen Pichegru aussagen will, soll er erschossen und mundtot gemacht werden, und als beglaubigte Abschriften sollen dann gefälschte Papiere jenen Zweck erfüllen. Bonaparte, Berthier und andre wissen um diesen Streich. Die Gattin des Gefangnen entkommt aber aus Mantua und erreicht im Direktorium seine Befreiung. Das ist nur eine von vielen Handlungen Bonapartes. Den Direktoren sehlt natürlich der Mut. Die Komödie beginnt. Die Rede soll nicht der Kriegsminister halten, sondern, um ihr einen friedlichem und bürger¬ lichen Charakter zu geben, der Minister des Auswärtigen. Talleyrand, der Schlaue, entledigt sich seines Auftrags gewandt und, zum Verdruß der Direktoren, mit eignen Zusätzen. Er feiert Bonapartes antike Vorliebe für das Einfache, seine Neigung zu den abstrakten Wissenschaften und zu seinem Lieblingsdichter Ossian. Man werde ihn vielleicht eines Tags auffordern müssen, sich aus seiner wissenschaftlichen Zurückgezogenheit herauszubegeben. Bonaparte erwidert mit allerlei Redewendungen. „Es liegt etwas von der Zukunft darin," soll Talleyrand davon gesagt haben. Barras aber spricht darauf mit einem Phrasenschwall, der sich zu dem kaiserlichen Bülletinstil schon ebenso verhält, wie die Moden des virsetoii-ö den Übergang machen zum Empirestil. Bona¬ parte zieht sich zurück, wie er seinen Freunden sagt, gelangweilt von den Schmeicheleien. Aber für das, was er wirklich denkt, ist es von Nutzen, etwas von dem „Klatsch" zu erfahren (wie Duruy alles nennt, was seinen großen Mann klein erscheinen läßt), der uns nun reichlich mitgeteilt wird. Der General ißt in Gesellschaften nur von Schüsseln, aus denen er andre hat nehmen sehen, er hält sich für wichtig genug, eiuen Mordanschlag voraussetzen zu müssen. Er läßt sich in die Akademie aufnehmen (an Camoes Stelle), und als bei der ersten Sitzung der Direktor Larevellivre, der ebenfalls Akademiker ist, seinen Fauteuil vor ihm angewiesen bekommt, nennt er das laut eine Un¬ verschämtheit. Er erwartet, daß die Direktoren und ihre Frauen Joscphinen die ersten Besuche machen. Er kommt ins Direktorium, giebt allerlei Rat¬ schläge und Vorschriften, setzt sich an den Direktoriumstisch, bis sich Rewbcll ein Herz faßt und ihm sagt, daß er da nicht hingehöre. Darauf fordert er seinen Abschied; Newbell reicht ihm die Feder zur Unterschrift der Empfangs¬ bescheinigung. Barras legt die Sache mit Mühe bei. Bernadotte will eben¬ falls seinen Abschied, er will nicht wieder als Divisionär unter Bonaparte dienen, da er ihn hochnäsig behandle; oder man solle ihm das Kommando in Italien geben, während Bonaparte soeben eines zu einer Expedition gegen England bekommen hat. Das Direktorium will Bernadotte befriedigen, aber

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/143>, abgerufen am 23.07.2024.