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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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Die Memoiren von Paul Barras

frühem Tode am längsten seine Hoffnung gesetzt. Aber Berncidotte war un¬
entschlossen. Gegen Bonaparte wird der Grimm von Barras immer größer,
und doch scheint er die Gefahr, die ihm von dessen Seite droht, lange nicht
so klar erkannt zu haben, wie er sie bisweilen bezeichnet. Sonst hätte er nicht
Dinge gethan oder geschehen lassen, die diese Gefahr herbeiführen halfen. So
bleibt es z. B. unverständlich, daß er Talleyrand, den einstigen Bischof von
Autun, der gerade aus Amerika zurückgekehrt war, in das Ministerium kommen
ließ, mit einer Mehrheit von nur drei Stimmen; er konnte sich ans die Gegen¬
seite schlagen und that es nicht. Später hatte er es zu bereuen. Carnot, der
Nevolutionsmann, wird allmählich in den Angen von Barras zu einem Roya-
listen neben Barthölemh, der an die Stelle des aufgelösten Letourneur ge¬
treten ist, ihnen gegenüber steht der ehemalige Jakobiner Barras mit Newbell
und Larevellivre. Carnot fürchtete die Wiederkehr früherer Zustände und
meinte zwischen den Ultras und den Nohalisten die Mitte finden zu können.
Im Frühling 1797 war der Einfluß der Nohalisten in den beiden Nöten durch
die neuen Wahlen bedeutend gewachsen; Pichegru war Präsident des Rates
der Fünfhundert. Diese Partei suchte, da sie nicht ohne weiteres das Direk¬
torium stürzen oder auch nur erneuern konnte, andre Minister ihm zur Seite
zu setzen, und bei diesem Ersatz kam auch Tnllehrand an das Portefeuille des
Auswärtigen. Barras muß als sein Schöpfer angesehen werden. Er erzählt
den Hergang ganz ausführlich. Frau von Staöl begünstigte deu hinkenden
Exbischof, führte ihn bei Barras ein und erreichte schließlich, was sie wünschte.
Auch Benjamin Constant unterstützt seine Freundin in ihren Bemühungen, weil
er nach Barras Auslegung später durch Tallehrcmd weiter zu kommen hofft.
Barras macht seine Scherze über alle drei, war aber zu der Zeit, wo die
Sache spielte, jedenfalls anders gestimmt. Talleyrand hat alle Erwartungen
getäuscht. Aus dem untertänigen Schmeichler des mächtigen Direktors wurde
ein Gegner, und beide machen einander in ihren Memoiren gleich schlecht.
Man kaun bei Barras nachlesen, wie er eine auffallende körperliche Ähnlichkeit
mit Robespierre hatte, wie er jedes Talents ermangelte und auch kein
Diplomat gewesen wäre, wenn nicht Napoleons Degen hinter ihm gestanden
hätte, wie er endlich als Privatmann sast jedes Laster gehabt und als Staats¬
mann sofort angefangen hat, sich ein ungeheures Vermögen zu machen. Darin
allein hat er Wort gehalten, soll Frau von Staöl später gesagt haben.

Es kommt nun zur Entscheidung zwischen den Nohalisten und den Republi¬
kanern. Die Generale der italienischen Armee stehen auf Seiten der Republik.
Berncidotte ist gerade nach Paris gekommen, um dem Direktorium eroberte
Fahnen zu bringen. Unsicher, wie immer in politischen Dingen, hält er es
in der unentschiedneu Lage für das beste, sich als Republikaner zu geben. Auch
Bonaparte äußert sich so. Sein Untergeneral, der hünenhafte Augereau, ist
in Paris und steht Barras zur Verfügung. Außerdem aber hat Bonaparte


Die Memoiren von Paul Barras

frühem Tode am längsten seine Hoffnung gesetzt. Aber Berncidotte war un¬
entschlossen. Gegen Bonaparte wird der Grimm von Barras immer größer,
und doch scheint er die Gefahr, die ihm von dessen Seite droht, lange nicht
so klar erkannt zu haben, wie er sie bisweilen bezeichnet. Sonst hätte er nicht
Dinge gethan oder geschehen lassen, die diese Gefahr herbeiführen halfen. So
bleibt es z. B. unverständlich, daß er Talleyrand, den einstigen Bischof von
Autun, der gerade aus Amerika zurückgekehrt war, in das Ministerium kommen
ließ, mit einer Mehrheit von nur drei Stimmen; er konnte sich ans die Gegen¬
seite schlagen und that es nicht. Später hatte er es zu bereuen. Carnot, der
Nevolutionsmann, wird allmählich in den Angen von Barras zu einem Roya-
listen neben Barthölemh, der an die Stelle des aufgelösten Letourneur ge¬
treten ist, ihnen gegenüber steht der ehemalige Jakobiner Barras mit Newbell
und Larevellivre. Carnot fürchtete die Wiederkehr früherer Zustände und
meinte zwischen den Ultras und den Nohalisten die Mitte finden zu können.
Im Frühling 1797 war der Einfluß der Nohalisten in den beiden Nöten durch
die neuen Wahlen bedeutend gewachsen; Pichegru war Präsident des Rates
der Fünfhundert. Diese Partei suchte, da sie nicht ohne weiteres das Direk¬
torium stürzen oder auch nur erneuern konnte, andre Minister ihm zur Seite
zu setzen, und bei diesem Ersatz kam auch Tnllehrand an das Portefeuille des
Auswärtigen. Barras muß als sein Schöpfer angesehen werden. Er erzählt
den Hergang ganz ausführlich. Frau von Staöl begünstigte deu hinkenden
Exbischof, führte ihn bei Barras ein und erreichte schließlich, was sie wünschte.
Auch Benjamin Constant unterstützt seine Freundin in ihren Bemühungen, weil
er nach Barras Auslegung später durch Tallehrcmd weiter zu kommen hofft.
Barras macht seine Scherze über alle drei, war aber zu der Zeit, wo die
Sache spielte, jedenfalls anders gestimmt. Talleyrand hat alle Erwartungen
getäuscht. Aus dem untertänigen Schmeichler des mächtigen Direktors wurde
ein Gegner, und beide machen einander in ihren Memoiren gleich schlecht.
Man kaun bei Barras nachlesen, wie er eine auffallende körperliche Ähnlichkeit
mit Robespierre hatte, wie er jedes Talents ermangelte und auch kein
Diplomat gewesen wäre, wenn nicht Napoleons Degen hinter ihm gestanden
hätte, wie er endlich als Privatmann sast jedes Laster gehabt und als Staats¬
mann sofort angefangen hat, sich ein ungeheures Vermögen zu machen. Darin
allein hat er Wort gehalten, soll Frau von Staöl später gesagt haben.

Es kommt nun zur Entscheidung zwischen den Nohalisten und den Republi¬
kanern. Die Generale der italienischen Armee stehen auf Seiten der Republik.
Berncidotte ist gerade nach Paris gekommen, um dem Direktorium eroberte
Fahnen zu bringen. Unsicher, wie immer in politischen Dingen, hält er es
in der unentschiedneu Lage für das beste, sich als Republikaner zu geben. Auch
Bonaparte äußert sich so. Sein Untergeneral, der hünenhafte Augereau, ist
in Paris und steht Barras zur Verfügung. Außerdem aber hat Bonaparte


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[0138] Die Memoiren von Paul Barras frühem Tode am längsten seine Hoffnung gesetzt. Aber Berncidotte war un¬ entschlossen. Gegen Bonaparte wird der Grimm von Barras immer größer, und doch scheint er die Gefahr, die ihm von dessen Seite droht, lange nicht so klar erkannt zu haben, wie er sie bisweilen bezeichnet. Sonst hätte er nicht Dinge gethan oder geschehen lassen, die diese Gefahr herbeiführen halfen. So bleibt es z. B. unverständlich, daß er Talleyrand, den einstigen Bischof von Autun, der gerade aus Amerika zurückgekehrt war, in das Ministerium kommen ließ, mit einer Mehrheit von nur drei Stimmen; er konnte sich ans die Gegen¬ seite schlagen und that es nicht. Später hatte er es zu bereuen. Carnot, der Nevolutionsmann, wird allmählich in den Angen von Barras zu einem Roya- listen neben Barthölemh, der an die Stelle des aufgelösten Letourneur ge¬ treten ist, ihnen gegenüber steht der ehemalige Jakobiner Barras mit Newbell und Larevellivre. Carnot fürchtete die Wiederkehr früherer Zustände und meinte zwischen den Ultras und den Nohalisten die Mitte finden zu können. Im Frühling 1797 war der Einfluß der Nohalisten in den beiden Nöten durch die neuen Wahlen bedeutend gewachsen; Pichegru war Präsident des Rates der Fünfhundert. Diese Partei suchte, da sie nicht ohne weiteres das Direk¬ torium stürzen oder auch nur erneuern konnte, andre Minister ihm zur Seite zu setzen, und bei diesem Ersatz kam auch Tnllehrand an das Portefeuille des Auswärtigen. Barras muß als sein Schöpfer angesehen werden. Er erzählt den Hergang ganz ausführlich. Frau von Staöl begünstigte deu hinkenden Exbischof, führte ihn bei Barras ein und erreichte schließlich, was sie wünschte. Auch Benjamin Constant unterstützt seine Freundin in ihren Bemühungen, weil er nach Barras Auslegung später durch Tallehrcmd weiter zu kommen hofft. Barras macht seine Scherze über alle drei, war aber zu der Zeit, wo die Sache spielte, jedenfalls anders gestimmt. Talleyrand hat alle Erwartungen getäuscht. Aus dem untertänigen Schmeichler des mächtigen Direktors wurde ein Gegner, und beide machen einander in ihren Memoiren gleich schlecht. Man kaun bei Barras nachlesen, wie er eine auffallende körperliche Ähnlichkeit mit Robespierre hatte, wie er jedes Talents ermangelte und auch kein Diplomat gewesen wäre, wenn nicht Napoleons Degen hinter ihm gestanden hätte, wie er endlich als Privatmann sast jedes Laster gehabt und als Staats¬ mann sofort angefangen hat, sich ein ungeheures Vermögen zu machen. Darin allein hat er Wort gehalten, soll Frau von Staöl später gesagt haben. Es kommt nun zur Entscheidung zwischen den Nohalisten und den Republi¬ kanern. Die Generale der italienischen Armee stehen auf Seiten der Republik. Berncidotte ist gerade nach Paris gekommen, um dem Direktorium eroberte Fahnen zu bringen. Unsicher, wie immer in politischen Dingen, hält er es in der unentschiedneu Lage für das beste, sich als Republikaner zu geben. Auch Bonaparte äußert sich so. Sein Untergeneral, der hünenhafte Augereau, ist in Paris und steht Barras zur Verfügung. Außerdem aber hat Bonaparte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/138>, abgerufen am 23.07.2024.