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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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Die Memoiren von Paul Barras

wo sie am schwächsten sei, nimmt Barras für sich in Anspruch. Beide sind
gleich ungehalten über Bonapartes Aufführung in Italien, seine zwecklosen
Grausamkeiten und seine und seiner Untergebnen Erpressungen. Camoes Plan
ist, das Land soviel wie möglich auszusaugen und alles nur erreichbare nach
Frankreich hereinzubringen, um es in diesem Zustande später als Gegenstand
des Friedensschlusses an Österreich zurückzugeben. Aber nun nehmen die Sol¬
daten auch sür sich, sie gewöhnen sich an das Wohlleben, bei der italienischen
Armee kommt zuerst der Luxus der goldgestickten Uniformen auf, die Offiziere
wollen nicht mehr Bürger heißen, sondern nennen sich Herren, und das Plün¬
dern nimmt einen großartigen Umfang an. Während sich die Heere der
Republik an der Ostgrenze nur mit Mühe ernähren, schwimmen die Soldaten
in Italien im Überfluß. Besondres Talent zum Erwerb zeigt außer Bona¬
parte Masfmici. Der Staat bekommt bedeutende Einnahmen, die einzelnen ita¬
lienischen Souveräne, darunter der Papst, müssen ihm Millionen zum Teil in
Diamanten und Schmuck erlegen; auch für Kunstwerke, Bilder, Ausgrabungs¬
gegenstände ist die Regierung der Republik sehr eingenommen. Man sieht,
wie die Einfachheit, die ja wirklich ein imponirender Zug an den Soldaten
und Beamten der ersten Jahre der Freiheit ist, allmählich verloren geht, und
fo schmiedet im stillen der künftige erste Konsul seine glänzenden Fesseln für
seine Helfer.

In welcher Form sich diese Gefahr dem Direktorium nähert, ist lange
Zeit den Mitgliedern unklar. Sie denken an Bonaparte und werden durch
immer neue Ansprüche von ihm darauf geführt, vor ihm auf der Hut zu sein.
Aber in der Hauptsache ist es doch die Furcht vor den Royalisten, die ihnen
vorschwebt. Barras spricht unaufhörlich davon, und meistens scheint es ihm
Ernst zu sein. Carnot glaubt nicht an solche Feinde, fürchtet aber immer den
Terrorismus des Pöbels sich erneuern zu sehe" und quält sich mit diesem und
anderm Argwohn. Man weiß, daß er über Barras sehr schlecht gedacht hat,
dieser dagegen kann seinem Kollegen keinen andern Vorwurf machen, als daß
er entsetzlich mißtrauisch und hartnäckig sei. Es kommt oft zum Zank unter
den Direktoren, aber nach außen scheint davon nicht viel gedrungen zu sein,
weil nach der gleich anfangs entworfnen Geschäftsordnung eine Mehrheit von
dreien das letzte Wort behält. Nach Barras Protokollen ist es aber doch
kaum verständlich, wie eine solche Regierungsbehörde soviel Jahre zusammen¬
gehalten hat. Eine Hauptfrage war immer, welcher General das Kommando über
die Pariser Division habe oder haben solle; das hat man später bei dem Staats¬
streich des ersten Konsuls erfahren. Jeder der Direktoren hat unter den Gene¬
ralen seine Wahl getroffen. Carnot ist argwöhnisch auf Bonaparte, protegirt
früher Kellermann, später Moreau. Barras denkt am höchsten von Hoche,
weniger sicher sind ihm Jourdan und Pichegru, Bernadotte stellt er mit Recht
seinen militärischen Fähigkeiten nach sehr hoch, und auf ihn hat er nach Hoches


Grenzboten 11 1897 17
Die Memoiren von Paul Barras

wo sie am schwächsten sei, nimmt Barras für sich in Anspruch. Beide sind
gleich ungehalten über Bonapartes Aufführung in Italien, seine zwecklosen
Grausamkeiten und seine und seiner Untergebnen Erpressungen. Camoes Plan
ist, das Land soviel wie möglich auszusaugen und alles nur erreichbare nach
Frankreich hereinzubringen, um es in diesem Zustande später als Gegenstand
des Friedensschlusses an Österreich zurückzugeben. Aber nun nehmen die Sol¬
daten auch sür sich, sie gewöhnen sich an das Wohlleben, bei der italienischen
Armee kommt zuerst der Luxus der goldgestickten Uniformen auf, die Offiziere
wollen nicht mehr Bürger heißen, sondern nennen sich Herren, und das Plün¬
dern nimmt einen großartigen Umfang an. Während sich die Heere der
Republik an der Ostgrenze nur mit Mühe ernähren, schwimmen die Soldaten
in Italien im Überfluß. Besondres Talent zum Erwerb zeigt außer Bona¬
parte Masfmici. Der Staat bekommt bedeutende Einnahmen, die einzelnen ita¬
lienischen Souveräne, darunter der Papst, müssen ihm Millionen zum Teil in
Diamanten und Schmuck erlegen; auch für Kunstwerke, Bilder, Ausgrabungs¬
gegenstände ist die Regierung der Republik sehr eingenommen. Man sieht,
wie die Einfachheit, die ja wirklich ein imponirender Zug an den Soldaten
und Beamten der ersten Jahre der Freiheit ist, allmählich verloren geht, und
fo schmiedet im stillen der künftige erste Konsul seine glänzenden Fesseln für
seine Helfer.

In welcher Form sich diese Gefahr dem Direktorium nähert, ist lange
Zeit den Mitgliedern unklar. Sie denken an Bonaparte und werden durch
immer neue Ansprüche von ihm darauf geführt, vor ihm auf der Hut zu sein.
Aber in der Hauptsache ist es doch die Furcht vor den Royalisten, die ihnen
vorschwebt. Barras spricht unaufhörlich davon, und meistens scheint es ihm
Ernst zu sein. Carnot glaubt nicht an solche Feinde, fürchtet aber immer den
Terrorismus des Pöbels sich erneuern zu sehe« und quält sich mit diesem und
anderm Argwohn. Man weiß, daß er über Barras sehr schlecht gedacht hat,
dieser dagegen kann seinem Kollegen keinen andern Vorwurf machen, als daß
er entsetzlich mißtrauisch und hartnäckig sei. Es kommt oft zum Zank unter
den Direktoren, aber nach außen scheint davon nicht viel gedrungen zu sein,
weil nach der gleich anfangs entworfnen Geschäftsordnung eine Mehrheit von
dreien das letzte Wort behält. Nach Barras Protokollen ist es aber doch
kaum verständlich, wie eine solche Regierungsbehörde soviel Jahre zusammen¬
gehalten hat. Eine Hauptfrage war immer, welcher General das Kommando über
die Pariser Division habe oder haben solle; das hat man später bei dem Staats¬
streich des ersten Konsuls erfahren. Jeder der Direktoren hat unter den Gene¬
ralen seine Wahl getroffen. Carnot ist argwöhnisch auf Bonaparte, protegirt
früher Kellermann, später Moreau. Barras denkt am höchsten von Hoche,
weniger sicher sind ihm Jourdan und Pichegru, Bernadotte stellt er mit Recht
seinen militärischen Fähigkeiten nach sehr hoch, und auf ihn hat er nach Hoches


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/137>, abgerufen am 23.07.2024.