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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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Abdul Hamid II. und die Reformen in der Türkei

Großvezier hat ein Einkommen von 500000 Franken, die Minister und
Marschülle bis zu 200000 Franken und darüber. In dem Steuerdruck ist
auch namentlich die Ursache der sich alljährlich wiederholenden Unruhen zu
suchen.

Je schwieriger aber die innere Lage wird, um so eher wird die jetzt noch
ziemlich unbefangne Bevölkerung dahinterkommen, wie es um ihre Regierung
steht, und dann wird die mühsam behauptete Kalifenherrlichkeit des Sultans
an den Folgen seines eignen Systems zu Grunde gehen. Aber augenblicklich
ist das Ansehen des Sultans bei seinen muhammedanischen Unterthanen noch
im Wachsen begriffen, und das ist auch erklärlich. Von all den Drohungen,
die Europa gegen den Sultan geschleudert hat, ist keine zur That geworden.
Es wird fortgemetzelt. Das Volk glaubt an die Machtstellung der Türkei,
die sein Herrscher in dem Buche, das er über sich hat schreiben lassen: Oom-
mont ein 83.NV6 um kilixirL, folgendermaßen auseinandersetzt: "Europa ist in
zwei große Lager geteilt. Der Dreibund steht Nußland und Frankreich voll¬
kommen gleichwertig gegenüber. Der Sultan aber verfügt über eine Million
vortrefflicher Streiter, und der, auf dessen Seite er sich mit seiner Armee stellt,
wird den endlichen Sieg davontragen. Beide Parteien versuchen mithin, ihn
zu sich hinüberzuziehen, und um diesen Zweck zu erreichen, ordnen sie sich
jedem seiner Wünsche unter. Mithin ist der Sultan der mächtigste Herrscher
der Welt, die Türkei nach wie vor der einflußreichste Staat!"

In der That hat es ja der Sultan durch seine schlaue Politik erreicht,
daß sich kein Staat in Europa an ihn heranwagt, nicht aus Furcht vor einer
Niederlage, sondern aus Furcht vor dem Siege. Die Schwäche der Türkei,
die Angst vor der Erbschaftsteilnng ist allein die Kraft, die den Tod des
Kalifenstaats künstlich hinausschiebt. Und der Sultan weiß das gut auszu¬
nutzen, durch geschicktes Lavircn verdirbt er es mit keinem; seine auswärtige
Politik läßt er von den Mächten machen, im Innern schaltet er mit unum¬
schränkter Gewalt, und daran kann ihn niemand hindern, weil dazu ein thätiges
Vorgehen eiuer Macht nötig wäre, und das wagt keine. Den Mächten gegen¬
über ein geschickter Intrigant, im Privatleben ein Blender, nimmt Abdul
Hamid II. einen hervorragenden Platz in der Weltgeschichte ein, freilich leider
im übelsten Sinne.

Der Sultan ist von mittelgroßer, schmächtiger Figur. Seine Haltung ist
gebückt, sein Gang, sein ganzes Aussehen schlaff und nachlässig. Aber die
dunkeln, funkelnden Augen zeugen von innerer Glut, und die große Hakennase
verleiht dem gelben, dürren, von einem graumelirten Backenbarte umrahmten
Gesicht einen energischen Ausdruck.

Der Sultan ist übrigens den Orienttouristen keine unbekannte Erscheinung.
Sie kennen ihn vom Selamlik, jener von echt orientalischem Pomp begleiteten
Freitcigsparnde her und haben bei dieser Gelegenheit den Herrscher der Os-


Abdul Hamid II. und die Reformen in der Türkei

Großvezier hat ein Einkommen von 500000 Franken, die Minister und
Marschülle bis zu 200000 Franken und darüber. In dem Steuerdruck ist
auch namentlich die Ursache der sich alljährlich wiederholenden Unruhen zu
suchen.

Je schwieriger aber die innere Lage wird, um so eher wird die jetzt noch
ziemlich unbefangne Bevölkerung dahinterkommen, wie es um ihre Regierung
steht, und dann wird die mühsam behauptete Kalifenherrlichkeit des Sultans
an den Folgen seines eignen Systems zu Grunde gehen. Aber augenblicklich
ist das Ansehen des Sultans bei seinen muhammedanischen Unterthanen noch
im Wachsen begriffen, und das ist auch erklärlich. Von all den Drohungen,
die Europa gegen den Sultan geschleudert hat, ist keine zur That geworden.
Es wird fortgemetzelt. Das Volk glaubt an die Machtstellung der Türkei,
die sein Herrscher in dem Buche, das er über sich hat schreiben lassen: Oom-
mont ein 83.NV6 um kilixirL, folgendermaßen auseinandersetzt: „Europa ist in
zwei große Lager geteilt. Der Dreibund steht Nußland und Frankreich voll¬
kommen gleichwertig gegenüber. Der Sultan aber verfügt über eine Million
vortrefflicher Streiter, und der, auf dessen Seite er sich mit seiner Armee stellt,
wird den endlichen Sieg davontragen. Beide Parteien versuchen mithin, ihn
zu sich hinüberzuziehen, und um diesen Zweck zu erreichen, ordnen sie sich
jedem seiner Wünsche unter. Mithin ist der Sultan der mächtigste Herrscher
der Welt, die Türkei nach wie vor der einflußreichste Staat!"

In der That hat es ja der Sultan durch seine schlaue Politik erreicht,
daß sich kein Staat in Europa an ihn heranwagt, nicht aus Furcht vor einer
Niederlage, sondern aus Furcht vor dem Siege. Die Schwäche der Türkei,
die Angst vor der Erbschaftsteilnng ist allein die Kraft, die den Tod des
Kalifenstaats künstlich hinausschiebt. Und der Sultan weiß das gut auszu¬
nutzen, durch geschicktes Lavircn verdirbt er es mit keinem; seine auswärtige
Politik läßt er von den Mächten machen, im Innern schaltet er mit unum¬
schränkter Gewalt, und daran kann ihn niemand hindern, weil dazu ein thätiges
Vorgehen eiuer Macht nötig wäre, und das wagt keine. Den Mächten gegen¬
über ein geschickter Intrigant, im Privatleben ein Blender, nimmt Abdul
Hamid II. einen hervorragenden Platz in der Weltgeschichte ein, freilich leider
im übelsten Sinne.

Der Sultan ist von mittelgroßer, schmächtiger Figur. Seine Haltung ist
gebückt, sein Gang, sein ganzes Aussehen schlaff und nachlässig. Aber die
dunkeln, funkelnden Augen zeugen von innerer Glut, und die große Hakennase
verleiht dem gelben, dürren, von einem graumelirten Backenbarte umrahmten
Gesicht einen energischen Ausdruck.

Der Sultan ist übrigens den Orienttouristen keine unbekannte Erscheinung.
Sie kennen ihn vom Selamlik, jener von echt orientalischem Pomp begleiteten
Freitcigsparnde her und haben bei dieser Gelegenheit den Herrscher der Os-


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[0134] Abdul Hamid II. und die Reformen in der Türkei Großvezier hat ein Einkommen von 500000 Franken, die Minister und Marschülle bis zu 200000 Franken und darüber. In dem Steuerdruck ist auch namentlich die Ursache der sich alljährlich wiederholenden Unruhen zu suchen. Je schwieriger aber die innere Lage wird, um so eher wird die jetzt noch ziemlich unbefangne Bevölkerung dahinterkommen, wie es um ihre Regierung steht, und dann wird die mühsam behauptete Kalifenherrlichkeit des Sultans an den Folgen seines eignen Systems zu Grunde gehen. Aber augenblicklich ist das Ansehen des Sultans bei seinen muhammedanischen Unterthanen noch im Wachsen begriffen, und das ist auch erklärlich. Von all den Drohungen, die Europa gegen den Sultan geschleudert hat, ist keine zur That geworden. Es wird fortgemetzelt. Das Volk glaubt an die Machtstellung der Türkei, die sein Herrscher in dem Buche, das er über sich hat schreiben lassen: Oom- mont ein 83.NV6 um kilixirL, folgendermaßen auseinandersetzt: „Europa ist in zwei große Lager geteilt. Der Dreibund steht Nußland und Frankreich voll¬ kommen gleichwertig gegenüber. Der Sultan aber verfügt über eine Million vortrefflicher Streiter, und der, auf dessen Seite er sich mit seiner Armee stellt, wird den endlichen Sieg davontragen. Beide Parteien versuchen mithin, ihn zu sich hinüberzuziehen, und um diesen Zweck zu erreichen, ordnen sie sich jedem seiner Wünsche unter. Mithin ist der Sultan der mächtigste Herrscher der Welt, die Türkei nach wie vor der einflußreichste Staat!" In der That hat es ja der Sultan durch seine schlaue Politik erreicht, daß sich kein Staat in Europa an ihn heranwagt, nicht aus Furcht vor einer Niederlage, sondern aus Furcht vor dem Siege. Die Schwäche der Türkei, die Angst vor der Erbschaftsteilnng ist allein die Kraft, die den Tod des Kalifenstaats künstlich hinausschiebt. Und der Sultan weiß das gut auszu¬ nutzen, durch geschicktes Lavircn verdirbt er es mit keinem; seine auswärtige Politik läßt er von den Mächten machen, im Innern schaltet er mit unum¬ schränkter Gewalt, und daran kann ihn niemand hindern, weil dazu ein thätiges Vorgehen eiuer Macht nötig wäre, und das wagt keine. Den Mächten gegen¬ über ein geschickter Intrigant, im Privatleben ein Blender, nimmt Abdul Hamid II. einen hervorragenden Platz in der Weltgeschichte ein, freilich leider im übelsten Sinne. Der Sultan ist von mittelgroßer, schmächtiger Figur. Seine Haltung ist gebückt, sein Gang, sein ganzes Aussehen schlaff und nachlässig. Aber die dunkeln, funkelnden Augen zeugen von innerer Glut, und die große Hakennase verleiht dem gelben, dürren, von einem graumelirten Backenbarte umrahmten Gesicht einen energischen Ausdruck. Der Sultan ist übrigens den Orienttouristen keine unbekannte Erscheinung. Sie kennen ihn vom Selamlik, jener von echt orientalischem Pomp begleiteten Freitcigsparnde her und haben bei dieser Gelegenheit den Herrscher der Os-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/134>, abgerufen am 23.07.2024.