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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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Abdul Hainid it, und die Reformen in der Türkei

dritten die Armirung oder wichtige Teile an den Geschützen usw. Aus allen
Regierungshandlungen Abdul Hamids geht hervor, daß er jede arbeitsfreudige,
schaffende Thätigkeit, sobald sie sich regt, grundsätzlich zu hindern sucht.
Er thut nichts öffentlich dagegen, im Gegenteil, die Türkei ist seit seinem
Regierungsantritt mit einer Menge von Einrichtungen moderner Staatswesen
überschwemmt worden. Daher ist er in den Ruf gekommen, ein erleuchteter,
reformfrenndlicher Herrscher zu sein. Aber ein ganz andres Bild gewinnt man,
wenn man sieht, wie durch lähmende Maßregeln alles Gute, was geschaffen wird,
wieder vernichtet wird. "Die Eisenbahnen können nicht rentiren, schon weil
das Verbot des freien Reifens besteht. Auch die unsinnige Quarantäne, die im
Jahre sicherlich zehn Monate ein Vilajet gegen das andre abschließt, macht
einen einigermaßen regen Passagier- und Güterverkehr zur Unmöglichkeit. Handel
und Industrie liegen in Banden, denn es kaun sich niemand ohne kaiserliche
Erlaubnis auch nur einen Schafstall bauen, geschweige denn eine Fabrik eröffnen.
Den Instrukteuren, die sür Armee und Marine, für alle Zweige der Verwaltung
mit hohem Gehalt engagirt worden sind, wird es von vornherein zur Un¬
möglichkeit gemacht, sich wirklich nützlich zu erweisen. Es wird ihnen klar
gemacht, daß sie zwar pünktlich ihre Büreaustunden besuchen und alle Freitage
bei dem Selamlik dem Großherrn ihre Huldigungen darbringen, im übrigen
aber möglichst still und thatenlos ihre Gelder verzehren sollen. Das aber ist
bequem, und daher kann man sich nicht wundern, wenn solche Weisungen auch
auf fruchtbaren Boden fallen. Wenn ein Mitglied der deutschen Militär¬
mission, Goltz Pascha, wirklich etwas Großes und Ganzes zu leisten vermochte,
so hat ihn dafür der Sultan auch stets mit argwöhnischen Augen betrachtet
und ihm Hindernisse in den Weg gelegt, wo er nnr konnte. Die ungelenke
Verehrung, die der deutsche Offizier bei seinen türkischen Untergebenen, namentlich
den jüngeren Offizieren genoß, Hütte allein schon genügt, um den Großherrn
ihm feindlich zu stimmen. Auch im Heereswesen geschah nur das, was vom
Indiz Kiosk aus nicht verhindert werden konnte, oder was man dort für un¬
wichtig hielt, und jetzt, da Goltz Pascha in sein Vaterland zurückgekehrt ist.
wird vieles wieder einschlafen und rückgängig gemacht werden, was er mit un¬
gewöhnlicher Kraft und Klugheit durchzusetzen verstanden hat. Am Tage seines
Scheidens aus Konstantinopel wurde z. V. die Prügelstrafe an den Militär¬
schulen, von deren Abschaffung Goltz Paschn vor dreizehn Jahren den Antritt
seines Dienstes als Direktor abhängig gemacht hatte, wieder eingeführt. Auf
Betreiben des genannten Offiziers kaufte die Türkei schon vor Jahren 800000
Mauscrgewehre bester Konstruktion nebst Munition aus deutschen Fabriken an,
als Ersatz für das veraltete Martini-Modell, das bis dahin nebst dem
Snider- und Winchcstergewehr die Bewaffnung der Infanterie ausgemacht hatte.
Diese sind aber bis heute der Truppe noch nicht eingehändigt worden, sondern
rösten in den Arsenälen. Kommt es zum Kriege, dann werden sie vielleicht


Abdul Hainid it, und die Reformen in der Türkei

dritten die Armirung oder wichtige Teile an den Geschützen usw. Aus allen
Regierungshandlungen Abdul Hamids geht hervor, daß er jede arbeitsfreudige,
schaffende Thätigkeit, sobald sie sich regt, grundsätzlich zu hindern sucht.
Er thut nichts öffentlich dagegen, im Gegenteil, die Türkei ist seit seinem
Regierungsantritt mit einer Menge von Einrichtungen moderner Staatswesen
überschwemmt worden. Daher ist er in den Ruf gekommen, ein erleuchteter,
reformfrenndlicher Herrscher zu sein. Aber ein ganz andres Bild gewinnt man,
wenn man sieht, wie durch lähmende Maßregeln alles Gute, was geschaffen wird,
wieder vernichtet wird. „Die Eisenbahnen können nicht rentiren, schon weil
das Verbot des freien Reifens besteht. Auch die unsinnige Quarantäne, die im
Jahre sicherlich zehn Monate ein Vilajet gegen das andre abschließt, macht
einen einigermaßen regen Passagier- und Güterverkehr zur Unmöglichkeit. Handel
und Industrie liegen in Banden, denn es kaun sich niemand ohne kaiserliche
Erlaubnis auch nur einen Schafstall bauen, geschweige denn eine Fabrik eröffnen.
Den Instrukteuren, die sür Armee und Marine, für alle Zweige der Verwaltung
mit hohem Gehalt engagirt worden sind, wird es von vornherein zur Un¬
möglichkeit gemacht, sich wirklich nützlich zu erweisen. Es wird ihnen klar
gemacht, daß sie zwar pünktlich ihre Büreaustunden besuchen und alle Freitage
bei dem Selamlik dem Großherrn ihre Huldigungen darbringen, im übrigen
aber möglichst still und thatenlos ihre Gelder verzehren sollen. Das aber ist
bequem, und daher kann man sich nicht wundern, wenn solche Weisungen auch
auf fruchtbaren Boden fallen. Wenn ein Mitglied der deutschen Militär¬
mission, Goltz Pascha, wirklich etwas Großes und Ganzes zu leisten vermochte,
so hat ihn dafür der Sultan auch stets mit argwöhnischen Augen betrachtet
und ihm Hindernisse in den Weg gelegt, wo er nnr konnte. Die ungelenke
Verehrung, die der deutsche Offizier bei seinen türkischen Untergebenen, namentlich
den jüngeren Offizieren genoß, Hütte allein schon genügt, um den Großherrn
ihm feindlich zu stimmen. Auch im Heereswesen geschah nur das, was vom
Indiz Kiosk aus nicht verhindert werden konnte, oder was man dort für un¬
wichtig hielt, und jetzt, da Goltz Pascha in sein Vaterland zurückgekehrt ist.
wird vieles wieder einschlafen und rückgängig gemacht werden, was er mit un¬
gewöhnlicher Kraft und Klugheit durchzusetzen verstanden hat. Am Tage seines
Scheidens aus Konstantinopel wurde z. V. die Prügelstrafe an den Militär¬
schulen, von deren Abschaffung Goltz Paschn vor dreizehn Jahren den Antritt
seines Dienstes als Direktor abhängig gemacht hatte, wieder eingeführt. Auf
Betreiben des genannten Offiziers kaufte die Türkei schon vor Jahren 800000
Mauscrgewehre bester Konstruktion nebst Munition aus deutschen Fabriken an,
als Ersatz für das veraltete Martini-Modell, das bis dahin nebst dem
Snider- und Winchcstergewehr die Bewaffnung der Infanterie ausgemacht hatte.
Diese sind aber bis heute der Truppe noch nicht eingehändigt worden, sondern
rösten in den Arsenälen. Kommt es zum Kriege, dann werden sie vielleicht


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/131>, abgerufen am 23.07.2024.