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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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Agrarisches Zimftlertum

nehmungen und Schlußfolgerungen, durch die ein Man wie Brentano zu
diesem Urteil gekommen ist, kennen zu lernen. Auch in den Grenzboten ist ja
wiederholt der Wunsch geäußert worden, daß die akademischen Autoritäten
in der deutschen Volkswirtschaft, wenn sie auch in den gesetzgebenden Körper¬
schaften fast ganz auf eine Vertretung und Mitarbeit verzichten, doch wenigstens
mit eigner, persönlicher Verantwortung zu dem Kampf unsrer Zeit gegen das
Zünftlertum in der Landwirtschaft wie im Gewerbe Stellung nehmen möchten,
statt den Büchermarkt durch eine Flut verantwortungsloser Lehrlingsarbeiten
ihrer Schüler überschwemmen zu lassen. Daß Brentano diesem Wunsche ent¬
spricht, verdient unsern Dank.

Brentano glaubt vor allem die in den Köpfen der Agrarier spukende Vor¬
stellung berichtigen zu müssen, die zwar der Nodbertusschen Ansicht entspricht,
aber sie nicht folgerichtig austeilte, daß jeder Bruchteil des Verkaufswerts eines
landwirtschaftlichen Grundstücks oder Gutes, der jenseits der Grenze des Er¬
tragswerts liege, als "fiktiver Wert," als etwas "illegitimes," als "Ursache un-
fehlbaren Ruins" zu brandmarken sei. Nach Brentanos Auffassung wäre von
einem "fiktiven" Werte nur dann zu reden, wenn die Eigenschaften, um deret-
willen man dem Gute eine Bedeutung für die Bedürfnisbefriedigung beilegt,
nicht wirklich vorhanden wären. So liege ein "fiktiver" Wert vor, wenn jemand
in Erwartung eines weitern Steigens der Preise einen Preis für den Boden
bezahle, der seinem gegenwärtigen Ertrage nicht entspreche, und wenn dann
die erwartete Preissteigerung ausbleibe. Dagegen verhalte es sich anders in
dem Falle, daß jemand ein Gut über seineu Ertragswert bezahle, wenn mit
dem Besitz politische Vorzüge, Ehrenrechte oder ein größeres gesellschaftliches
Ansehen verknüpft wären, und in dem weitern Falle, daß kleine Leute Grund¬
stücke über ihren Ertragswert bezahlten, weil sie von ihrem Besitz die Siche¬
rung einer stetigen und unabhängigen Arbeitsgelegenheit erwarteten.

Aber auch wenn man von dieser Übertreibung des Verlangens, den über
den reinen Ertragswert hinausgehenden Verkaufswert zu beseitigen, absehe,
seien die von den Agrariern zur Erreichung dieses Ziels vorgeschlagnen Mittel
durchaus ungeeignet, da sie den Monvpolcharakter des Bodens, statt ihn zu
schwächen, worauf es doch ankomme, im Gegenteil steigerten. Fideikommisse
beseitigten allerdings für den Fideikommißerben selbst die "Preissteigernde
Wirkung des Mouopolcharakters des Vodeus," denn er erhalte den Grund¬
besitz umsonst. Desgleichen beseitige das Anerbenrecht diese Wirkung für den
übernehmenden Erben, denn dieser erhalte das Gut höchstens zum Ertragswert,
meist noch niedriger, angerechnet. Aber andrerseits bestehe kein Zweifel, daß
da, wo die meisten oder doch viele Güter fideikommissarisch gebunden seien,
und für die übrigen das Anerbenrecht gelte, die Menge der auf dem Markt
zum Verkauf gebotnen Güter bedeutend vermindert werde. Es könne vor¬
kommen, daß in einer Gegend dann kaum ein Landgut verkäuflich sei, und


Agrarisches Zimftlertum

nehmungen und Schlußfolgerungen, durch die ein Man wie Brentano zu
diesem Urteil gekommen ist, kennen zu lernen. Auch in den Grenzboten ist ja
wiederholt der Wunsch geäußert worden, daß die akademischen Autoritäten
in der deutschen Volkswirtschaft, wenn sie auch in den gesetzgebenden Körper¬
schaften fast ganz auf eine Vertretung und Mitarbeit verzichten, doch wenigstens
mit eigner, persönlicher Verantwortung zu dem Kampf unsrer Zeit gegen das
Zünftlertum in der Landwirtschaft wie im Gewerbe Stellung nehmen möchten,
statt den Büchermarkt durch eine Flut verantwortungsloser Lehrlingsarbeiten
ihrer Schüler überschwemmen zu lassen. Daß Brentano diesem Wunsche ent¬
spricht, verdient unsern Dank.

Brentano glaubt vor allem die in den Köpfen der Agrarier spukende Vor¬
stellung berichtigen zu müssen, die zwar der Nodbertusschen Ansicht entspricht,
aber sie nicht folgerichtig austeilte, daß jeder Bruchteil des Verkaufswerts eines
landwirtschaftlichen Grundstücks oder Gutes, der jenseits der Grenze des Er¬
tragswerts liege, als „fiktiver Wert," als etwas „illegitimes," als „Ursache un-
fehlbaren Ruins" zu brandmarken sei. Nach Brentanos Auffassung wäre von
einem „fiktiven" Werte nur dann zu reden, wenn die Eigenschaften, um deret-
willen man dem Gute eine Bedeutung für die Bedürfnisbefriedigung beilegt,
nicht wirklich vorhanden wären. So liege ein „fiktiver" Wert vor, wenn jemand
in Erwartung eines weitern Steigens der Preise einen Preis für den Boden
bezahle, der seinem gegenwärtigen Ertrage nicht entspreche, und wenn dann
die erwartete Preissteigerung ausbleibe. Dagegen verhalte es sich anders in
dem Falle, daß jemand ein Gut über seineu Ertragswert bezahle, wenn mit
dem Besitz politische Vorzüge, Ehrenrechte oder ein größeres gesellschaftliches
Ansehen verknüpft wären, und in dem weitern Falle, daß kleine Leute Grund¬
stücke über ihren Ertragswert bezahlten, weil sie von ihrem Besitz die Siche¬
rung einer stetigen und unabhängigen Arbeitsgelegenheit erwarteten.

Aber auch wenn man von dieser Übertreibung des Verlangens, den über
den reinen Ertragswert hinausgehenden Verkaufswert zu beseitigen, absehe,
seien die von den Agrariern zur Erreichung dieses Ziels vorgeschlagnen Mittel
durchaus ungeeignet, da sie den Monvpolcharakter des Bodens, statt ihn zu
schwächen, worauf es doch ankomme, im Gegenteil steigerten. Fideikommisse
beseitigten allerdings für den Fideikommißerben selbst die „Preissteigernde
Wirkung des Mouopolcharakters des Vodeus," denn er erhalte den Grund¬
besitz umsonst. Desgleichen beseitige das Anerbenrecht diese Wirkung für den
übernehmenden Erben, denn dieser erhalte das Gut höchstens zum Ertragswert,
meist noch niedriger, angerechnet. Aber andrerseits bestehe kein Zweifel, daß
da, wo die meisten oder doch viele Güter fideikommissarisch gebunden seien,
und für die übrigen das Anerbenrecht gelte, die Menge der auf dem Markt
zum Verkauf gebotnen Güter bedeutend vermindert werde. Es könne vor¬
kommen, daß in einer Gegend dann kaum ein Landgut verkäuflich sei, und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/122>, abgerufen am 23.07.2024.