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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Die sogenannte Sonntagsruhe der Postbeamten

Aber es muß immer von neuem hervorgehoben werden, daß weder durch die
Aufstellung künstlicher Stundenpläne, noch durch die Heranziehung von Aus¬
helfern etwas wesentliches erreicht worden ist, und daß für die Vetriebsbeamten
der Postverwaltung auch heute noch nur eine scheinbare, sogenannte Sonntags¬
ruhe besteht. Klingt es doch fast wie Hohn, daß ein durch zwölf- bis vier¬
zehnstündige Nachtarbeit erkaufter freier Tag, daß ein freier Nachmittag, der
auf einen achtstündigen Früh- und Vormittagsdienst folgt, oder ein freier Vor¬
mittag, der achtstündiger Arbeit am Nachmittag vorangeht, als "Sonntagsruhe"
bezeichnet wird.

Doch selbst diese scheinbare Sonntagsruhe besteht noch lange nicht für das
gesamte Personal. Herr von Stephan hat zwar im Reichstag behauptet, daß
am 31. März 1892 die Sonntagsruhe erreicht gewesen sei für 99^/^^ Prozent,
ein Jahr später für 99""/i<,o Prozent und 1894 für sämtliche Vetriebsbeamten.
So steht es auch sicherlich in den Nachweisungen, die die Oberpostdirektionen
dem Reichspvstamt vorgelegt haben. Doch dürfte es dem Herrn Staatssekretär
nicht unbekannt sein, mit wie feinem Geschick man es in seinem Ressort versteht,
Nachweisungen eine Färbung zu geben, die oben gefällt; wir erinnern nur an
die halbjährlichen Briefstatistiken. In Postbeamtenkreisen ist man der Ansicht,
daß sich die in den Nachweisungen über die Sonntagsruhe enthaltnen Zahlen
nicht mit den Thatsachen decken, und daß sich bei einer Prüfung der Sachlage
durch Unparteiische ein ganz andres Ergebnis herausstellen würde, als das
von Herrn von Stephan mit soviel Selbstzufriedenheit vorgetragne. Ein Be¬
weis dafür sind die zahlreichen Klagen, die den Abgeordneten aus den ver-
schiednen Gegenden des Reichs zugehen, die aber nur einen geringen Bruchteil
der Beschwerden bilden, die berechtigterweise vorgebracht werden könnten.
Denn die Mehrzahl der Beamten ist sich bereits völlig klar darüber, daß es
ganz zwecklos ist, den Reichstag mit Klagen zu behelligen, weil das Vorhanden¬
sein der zur Sprache gebrachten Übelstände meist mit einer verblüffenden Gleich-
giltigkeit um die Wirklichkeit bestritten wird.

Wie wenig Wert den in den Nachweisungen enthaltnen Zahlenangaben
beizumessen ist, dürfte am deutlichsten aus folgendem Beispiel hervorgehen.
Bekanntlich soll die Sonntagsruhe nicht nur Erholungszwecken dienen, sondern
den Postbeamten auch die Möglichkeit zum Kirchenbesuch bieten. Um nun zu
ermitteln, inwieweit diese Gelegenheit vorhanden ist, hat man eine Spalte der
Nachweisung mit der Überschrift versehen: "Von der Zahl der Beamten, bez.(!)
Unterbeamten sind durch den Dienst nicht verhindert, den Gottesdienst im
Stationsort oder in benachbarten Orten zu besuchen?" Der Ton ist auf das
Wort "verhindert" zu legen. Beamte, die um acht Uhr morgens aus dem Nacht¬
dienst heimgekehrt sind, werden dnrch den Dienst natürlich nicht verhindert,
um nenn Uhr den Weg zur Kirche anzutreten; andre können nach Beendigung
des Vormittngsdienstes sofort den Nachmittagsgottesdienst besuchen oder aus


Die sogenannte Sonntagsruhe der Postbeamten

Aber es muß immer von neuem hervorgehoben werden, daß weder durch die
Aufstellung künstlicher Stundenpläne, noch durch die Heranziehung von Aus¬
helfern etwas wesentliches erreicht worden ist, und daß für die Vetriebsbeamten
der Postverwaltung auch heute noch nur eine scheinbare, sogenannte Sonntags¬
ruhe besteht. Klingt es doch fast wie Hohn, daß ein durch zwölf- bis vier¬
zehnstündige Nachtarbeit erkaufter freier Tag, daß ein freier Nachmittag, der
auf einen achtstündigen Früh- und Vormittagsdienst folgt, oder ein freier Vor¬
mittag, der achtstündiger Arbeit am Nachmittag vorangeht, als „Sonntagsruhe"
bezeichnet wird.

Doch selbst diese scheinbare Sonntagsruhe besteht noch lange nicht für das
gesamte Personal. Herr von Stephan hat zwar im Reichstag behauptet, daß
am 31. März 1892 die Sonntagsruhe erreicht gewesen sei für 99^/^^ Prozent,
ein Jahr später für 99""/i<,o Prozent und 1894 für sämtliche Vetriebsbeamten.
So steht es auch sicherlich in den Nachweisungen, die die Oberpostdirektionen
dem Reichspvstamt vorgelegt haben. Doch dürfte es dem Herrn Staatssekretär
nicht unbekannt sein, mit wie feinem Geschick man es in seinem Ressort versteht,
Nachweisungen eine Färbung zu geben, die oben gefällt; wir erinnern nur an
die halbjährlichen Briefstatistiken. In Postbeamtenkreisen ist man der Ansicht,
daß sich die in den Nachweisungen über die Sonntagsruhe enthaltnen Zahlen
nicht mit den Thatsachen decken, und daß sich bei einer Prüfung der Sachlage
durch Unparteiische ein ganz andres Ergebnis herausstellen würde, als das
von Herrn von Stephan mit soviel Selbstzufriedenheit vorgetragne. Ein Be¬
weis dafür sind die zahlreichen Klagen, die den Abgeordneten aus den ver-
schiednen Gegenden des Reichs zugehen, die aber nur einen geringen Bruchteil
der Beschwerden bilden, die berechtigterweise vorgebracht werden könnten.
Denn die Mehrzahl der Beamten ist sich bereits völlig klar darüber, daß es
ganz zwecklos ist, den Reichstag mit Klagen zu behelligen, weil das Vorhanden¬
sein der zur Sprache gebrachten Übelstände meist mit einer verblüffenden Gleich-
giltigkeit um die Wirklichkeit bestritten wird.

Wie wenig Wert den in den Nachweisungen enthaltnen Zahlenangaben
beizumessen ist, dürfte am deutlichsten aus folgendem Beispiel hervorgehen.
Bekanntlich soll die Sonntagsruhe nicht nur Erholungszwecken dienen, sondern
den Postbeamten auch die Möglichkeit zum Kirchenbesuch bieten. Um nun zu
ermitteln, inwieweit diese Gelegenheit vorhanden ist, hat man eine Spalte der
Nachweisung mit der Überschrift versehen: „Von der Zahl der Beamten, bez.(!)
Unterbeamten sind durch den Dienst nicht verhindert, den Gottesdienst im
Stationsort oder in benachbarten Orten zu besuchen?" Der Ton ist auf das
Wort „verhindert" zu legen. Beamte, die um acht Uhr morgens aus dem Nacht¬
dienst heimgekehrt sind, werden dnrch den Dienst natürlich nicht verhindert,
um nenn Uhr den Weg zur Kirche anzutreten; andre können nach Beendigung
des Vormittngsdienstes sofort den Nachmittagsgottesdienst besuchen oder aus


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[0087] Die sogenannte Sonntagsruhe der Postbeamten Aber es muß immer von neuem hervorgehoben werden, daß weder durch die Aufstellung künstlicher Stundenpläne, noch durch die Heranziehung von Aus¬ helfern etwas wesentliches erreicht worden ist, und daß für die Vetriebsbeamten der Postverwaltung auch heute noch nur eine scheinbare, sogenannte Sonntags¬ ruhe besteht. Klingt es doch fast wie Hohn, daß ein durch zwölf- bis vier¬ zehnstündige Nachtarbeit erkaufter freier Tag, daß ein freier Nachmittag, der auf einen achtstündigen Früh- und Vormittagsdienst folgt, oder ein freier Vor¬ mittag, der achtstündiger Arbeit am Nachmittag vorangeht, als „Sonntagsruhe" bezeichnet wird. Doch selbst diese scheinbare Sonntagsruhe besteht noch lange nicht für das gesamte Personal. Herr von Stephan hat zwar im Reichstag behauptet, daß am 31. März 1892 die Sonntagsruhe erreicht gewesen sei für 99^/^^ Prozent, ein Jahr später für 99""/i<,o Prozent und 1894 für sämtliche Vetriebsbeamten. So steht es auch sicherlich in den Nachweisungen, die die Oberpostdirektionen dem Reichspvstamt vorgelegt haben. Doch dürfte es dem Herrn Staatssekretär nicht unbekannt sein, mit wie feinem Geschick man es in seinem Ressort versteht, Nachweisungen eine Färbung zu geben, die oben gefällt; wir erinnern nur an die halbjährlichen Briefstatistiken. In Postbeamtenkreisen ist man der Ansicht, daß sich die in den Nachweisungen über die Sonntagsruhe enthaltnen Zahlen nicht mit den Thatsachen decken, und daß sich bei einer Prüfung der Sachlage durch Unparteiische ein ganz andres Ergebnis herausstellen würde, als das von Herrn von Stephan mit soviel Selbstzufriedenheit vorgetragne. Ein Be¬ weis dafür sind die zahlreichen Klagen, die den Abgeordneten aus den ver- schiednen Gegenden des Reichs zugehen, die aber nur einen geringen Bruchteil der Beschwerden bilden, die berechtigterweise vorgebracht werden könnten. Denn die Mehrzahl der Beamten ist sich bereits völlig klar darüber, daß es ganz zwecklos ist, den Reichstag mit Klagen zu behelligen, weil das Vorhanden¬ sein der zur Sprache gebrachten Übelstände meist mit einer verblüffenden Gleich- giltigkeit um die Wirklichkeit bestritten wird. Wie wenig Wert den in den Nachweisungen enthaltnen Zahlenangaben beizumessen ist, dürfte am deutlichsten aus folgendem Beispiel hervorgehen. Bekanntlich soll die Sonntagsruhe nicht nur Erholungszwecken dienen, sondern den Postbeamten auch die Möglichkeit zum Kirchenbesuch bieten. Um nun zu ermitteln, inwieweit diese Gelegenheit vorhanden ist, hat man eine Spalte der Nachweisung mit der Überschrift versehen: „Von der Zahl der Beamten, bez.(!) Unterbeamten sind durch den Dienst nicht verhindert, den Gottesdienst im Stationsort oder in benachbarten Orten zu besuchen?" Der Ton ist auf das Wort „verhindert" zu legen. Beamte, die um acht Uhr morgens aus dem Nacht¬ dienst heimgekehrt sind, werden dnrch den Dienst natürlich nicht verhindert, um nenn Uhr den Weg zur Kirche anzutreten; andre können nach Beendigung des Vormittngsdienstes sofort den Nachmittagsgottesdienst besuchen oder aus

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/87>, abgerufen am 27.09.2024.