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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Reiseschilderungen

des Verfassers leiden unter der fortgesetzten Polemik gegen haßliche Erschei¬
nungen, die mit dem Wasgau nicht dos mindeste zu thun haben. Er weiß
ganz gut, daß Shakespeare, Hütte er selbst "in der Stuartschen Lasterzeit ge¬
lebt," nicht daran gedacht hatte, das "verlumpte Theater" zu schließen, und
daß der Schöpfer der Gestalten des Malvolio und des Lord Angelo unmöglich
unter Cromwells gottseliger Reitern das Schwert geschwungen Hütte. Aber
in seiner Verbitterung bringt er es nicht mehr über sich, gute Kunst gegen
schlechte, ein göttlich durchleuchtetes menschliches Antlitz gegen die verzerrte
Fratze zu setzen, sondern läßt die Bußpredigt schlechthin an Stelle des Ge¬
dichts treten. Damit würe, um mit Lienhard zu sprechen, unsern "seelischen
und volkischen(!) Nöten" ebenso wenig geholfen, als mit den Verirrungen der
Berliner Salon- und Litteraturkunst.

Zu der Masse der Wanderstudien aus Italien gesellen sich natürlich all¬
jährlich neue. Wilhelm Ruland giebt in seinen Riviera-Skizzen (Glarus
und Leipzig, Schweizer Verlagsanstalt) zwölf kleine Bilder: "Von Zürich nach
Mailand." "Von Mailand bis Genua." "Von Genua bis Savona." "Von
Savona nach San Nemo," "San Remo." Nortui to salutg.ut, "Typen."
"Ein Kinderheim," "Ein Besuch in Monte Carlo." "Die Geheimnisse der
Roulette." ?rines Rougs et Mir, "Die Heiligeninsel im Mittelmeer." die
neben vielem Allbekannten und Ostgeschilderten immer einiges Neue bieten.
Wunderlich nehmen sich die drei Kapitel über das Reich des Fürsten Albert
Honorius von Monaco aus, in denen die Spielhölle am Ufer des Mittelmeers
zwar nicht gerade glorifizirt. aber doch in der bekannten Weise der Sensations¬
erzähler als höchst interessante Kulturstätte geschildert wird. Die nlteu Ge¬
schichten von den zahlreichen Verzweifelnden und den Selbstmördern von Monte
Carlo mögen völlig wahr sein, aber es ist sinnlos, das allgemeine Mitleid sür
die Opfer der verächtlichtsten aller Leidenschaften, der Spielwut und Gewinn-
gicr, anzuregen. Wer sich dem Henker freiwillig überliefert, hat kein Recht,
ihm zu fluchen! Die hübschesten Skizzen des kleinen Bandes sind die über
San Nemo und Lerins, die Insel der Heiligen.

Gehaltvoller und lebendiger erscheinen uns die Spaziergänge in Süd-
Italien von Ludwig Salomon (Oldenburg und Leipzig, Schulzesche Hof-
buchhandlung). die zwar mit einem Kapitel "Das neue Rom" beginnen, aber
sonst in der That die Umgebungen von Neapel und Palermo -- unverge߬
liche Bilder für jeden, dessen Auge einmal auf ihnen geruht hat -- ans
frischer Erinnerung schildern. In die unbekanntem Gegenden, die Land¬
schaften und die Städte der Vasilieata, Apuliens und Calabriens ist auch
dieser Reisende nicht eingedrungen. Aber der Golf von Bajä. der Vesuv.
Pompeji. Capri und Sorrent, die Bucht von Salerno wie die stolze Haupt¬
stadt Siziliens thuen es jedem wvhlgeschaffnen Menschenkinde immer wieder
an, und man liest sich an einigermaßen treuen und farbigen Schilderungen


Reiseschilderungen

des Verfassers leiden unter der fortgesetzten Polemik gegen haßliche Erschei¬
nungen, die mit dem Wasgau nicht dos mindeste zu thun haben. Er weiß
ganz gut, daß Shakespeare, Hütte er selbst „in der Stuartschen Lasterzeit ge¬
lebt," nicht daran gedacht hatte, das „verlumpte Theater" zu schließen, und
daß der Schöpfer der Gestalten des Malvolio und des Lord Angelo unmöglich
unter Cromwells gottseliger Reitern das Schwert geschwungen Hütte. Aber
in seiner Verbitterung bringt er es nicht mehr über sich, gute Kunst gegen
schlechte, ein göttlich durchleuchtetes menschliches Antlitz gegen die verzerrte
Fratze zu setzen, sondern läßt die Bußpredigt schlechthin an Stelle des Ge¬
dichts treten. Damit würe, um mit Lienhard zu sprechen, unsern „seelischen
und volkischen(!) Nöten" ebenso wenig geholfen, als mit den Verirrungen der
Berliner Salon- und Litteraturkunst.

Zu der Masse der Wanderstudien aus Italien gesellen sich natürlich all¬
jährlich neue. Wilhelm Ruland giebt in seinen Riviera-Skizzen (Glarus
und Leipzig, Schweizer Verlagsanstalt) zwölf kleine Bilder: „Von Zürich nach
Mailand." „Von Mailand bis Genua." „Von Genua bis Savona." „Von
Savona nach San Nemo," „San Remo." Nortui to salutg.ut, „Typen."
„Ein Kinderheim," „Ein Besuch in Monte Carlo." „Die Geheimnisse der
Roulette." ?rines Rougs et Mir, „Die Heiligeninsel im Mittelmeer." die
neben vielem Allbekannten und Ostgeschilderten immer einiges Neue bieten.
Wunderlich nehmen sich die drei Kapitel über das Reich des Fürsten Albert
Honorius von Monaco aus, in denen die Spielhölle am Ufer des Mittelmeers
zwar nicht gerade glorifizirt. aber doch in der bekannten Weise der Sensations¬
erzähler als höchst interessante Kulturstätte geschildert wird. Die nlteu Ge¬
schichten von den zahlreichen Verzweifelnden und den Selbstmördern von Monte
Carlo mögen völlig wahr sein, aber es ist sinnlos, das allgemeine Mitleid sür
die Opfer der verächtlichtsten aller Leidenschaften, der Spielwut und Gewinn-
gicr, anzuregen. Wer sich dem Henker freiwillig überliefert, hat kein Recht,
ihm zu fluchen! Die hübschesten Skizzen des kleinen Bandes sind die über
San Nemo und Lerins, die Insel der Heiligen.

Gehaltvoller und lebendiger erscheinen uns die Spaziergänge in Süd-
Italien von Ludwig Salomon (Oldenburg und Leipzig, Schulzesche Hof-
buchhandlung). die zwar mit einem Kapitel „Das neue Rom" beginnen, aber
sonst in der That die Umgebungen von Neapel und Palermo — unverge߬
liche Bilder für jeden, dessen Auge einmal auf ihnen geruht hat — ans
frischer Erinnerung schildern. In die unbekanntem Gegenden, die Land¬
schaften und die Städte der Vasilieata, Apuliens und Calabriens ist auch
dieser Reisende nicht eingedrungen. Aber der Golf von Bajä. der Vesuv.
Pompeji. Capri und Sorrent, die Bucht von Salerno wie die stolze Haupt¬
stadt Siziliens thuen es jedem wvhlgeschaffnen Menschenkinde immer wieder
an, und man liest sich an einigermaßen treuen und farbigen Schilderungen


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[0654] Reiseschilderungen des Verfassers leiden unter der fortgesetzten Polemik gegen haßliche Erschei¬ nungen, die mit dem Wasgau nicht dos mindeste zu thun haben. Er weiß ganz gut, daß Shakespeare, Hütte er selbst „in der Stuartschen Lasterzeit ge¬ lebt," nicht daran gedacht hatte, das „verlumpte Theater" zu schließen, und daß der Schöpfer der Gestalten des Malvolio und des Lord Angelo unmöglich unter Cromwells gottseliger Reitern das Schwert geschwungen Hütte. Aber in seiner Verbitterung bringt er es nicht mehr über sich, gute Kunst gegen schlechte, ein göttlich durchleuchtetes menschliches Antlitz gegen die verzerrte Fratze zu setzen, sondern läßt die Bußpredigt schlechthin an Stelle des Ge¬ dichts treten. Damit würe, um mit Lienhard zu sprechen, unsern „seelischen und volkischen(!) Nöten" ebenso wenig geholfen, als mit den Verirrungen der Berliner Salon- und Litteraturkunst. Zu der Masse der Wanderstudien aus Italien gesellen sich natürlich all¬ jährlich neue. Wilhelm Ruland giebt in seinen Riviera-Skizzen (Glarus und Leipzig, Schweizer Verlagsanstalt) zwölf kleine Bilder: „Von Zürich nach Mailand." „Von Mailand bis Genua." „Von Genua bis Savona." „Von Savona nach San Nemo," „San Remo." Nortui to salutg.ut, „Typen." „Ein Kinderheim," „Ein Besuch in Monte Carlo." „Die Geheimnisse der Roulette." ?rines Rougs et Mir, „Die Heiligeninsel im Mittelmeer." die neben vielem Allbekannten und Ostgeschilderten immer einiges Neue bieten. Wunderlich nehmen sich die drei Kapitel über das Reich des Fürsten Albert Honorius von Monaco aus, in denen die Spielhölle am Ufer des Mittelmeers zwar nicht gerade glorifizirt. aber doch in der bekannten Weise der Sensations¬ erzähler als höchst interessante Kulturstätte geschildert wird. Die nlteu Ge¬ schichten von den zahlreichen Verzweifelnden und den Selbstmördern von Monte Carlo mögen völlig wahr sein, aber es ist sinnlos, das allgemeine Mitleid sür die Opfer der verächtlichtsten aller Leidenschaften, der Spielwut und Gewinn- gicr, anzuregen. Wer sich dem Henker freiwillig überliefert, hat kein Recht, ihm zu fluchen! Die hübschesten Skizzen des kleinen Bandes sind die über San Nemo und Lerins, die Insel der Heiligen. Gehaltvoller und lebendiger erscheinen uns die Spaziergänge in Süd- Italien von Ludwig Salomon (Oldenburg und Leipzig, Schulzesche Hof- buchhandlung). die zwar mit einem Kapitel „Das neue Rom" beginnen, aber sonst in der That die Umgebungen von Neapel und Palermo — unverge߬ liche Bilder für jeden, dessen Auge einmal auf ihnen geruht hat — ans frischer Erinnerung schildern. In die unbekanntem Gegenden, die Land¬ schaften und die Städte der Vasilieata, Apuliens und Calabriens ist auch dieser Reisende nicht eingedrungen. Aber der Golf von Bajä. der Vesuv. Pompeji. Capri und Sorrent, die Bucht von Salerno wie die stolze Haupt¬ stadt Siziliens thuen es jedem wvhlgeschaffnen Menschenkinde immer wieder an, und man liest sich an einigermaßen treuen und farbigen Schilderungen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/654>, abgerufen am 27.09.2024.