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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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an einer andern Stelle eine friedlichere Stadt zu erbauen.") Wie das Volk
die wilden Gesellen später doch endlich gebändigt hat, konnte der Verfasser in dem
vorliegenden Bande, der bloß bis zum Anfange des dreizehnten Jahrhunderts
reicht, nicht mehr erzählen. Doch durften schon im Jahre 1193 auch die
Florentiner Bürger vou sich fügen, was die Pisaner 1162 zu Innocenz II.
gesagt haben sollen: Wir sind weder Herren noch Knechte. (Sehr bald wurden
sie, als Beherrscher des Contadv, Herren.) In dem genannten Jahre nämlich
waren es schon die Vorsteher der sieben Haudwerkerzüufte,^) die das Statut
für das nächste Jahr festsetzten. Dieses alljährliche Statut der tuscischen Städte
war die vollkommenste Anpassung des Nechtsznstands an den stetig wechselnden
thatsächlichen, die sich denken läßt. Es ist, schreibt der Magister Vuoneompcigno,
"die willkürliche Satzung, die aus der volkstümliche" Gewohnheit stammt;
denn jede Stadt in Italien macht ihre Konstitutionen, nach denen die Potest-I
oder die Konsuln die Geschäfte führen und Übertretungen bestrafen, ohne Rück¬
sicht ans irgend ein Gesetz, das dem Statut widersprechen könnte, da sie vor
dem Amtsantritt beschwören, dieses in seinem vollen Umfange zu beobachten."
Ans einer andern Stelle Buoucompaguos fügt Davidsohn hinzu, "daß man
bei der Abfassung vor allem ans Klarheit und Gemeinverständlichkeit bedacht
war, daß man verlangte, jede Bestimmung sei ihrem Wortlaut und Buchstaben
nach anzuwenden, und daß man sich gegen alle Juterpretationsküuste und Deute¬
leien der Rechtskundigen verwahrte. Die Bürgerschaft in ihrem nüchternen
Sinn wollte von gelehrten Finessen nichts wissen; ihr Bestreben richtete sich
auf klares, allen verständliches Recht, und nach Freiheit strebend, wollte sie
auch frei sein vom übergroßen Jnristenscharfsinn, der, wie der Magister sich
ausdrückt, "nicht nnr zweifelhafte Dinge wahr zu machen, sondern auch sichere
Fälle und offenbare Bernnnftgründe ins Wanken zu bringen versteht."" Es
braucht kaum besonders gesagt zu werden, daß alle Ämter Ehrenämter waren
und von Nichtfachleuten verwaltet wurden; nnr die niedern Verrichtungen der
Schreiber, Büttel usw. wurden von bezahlten Gemeindedienern besorgt. Be¬
zahlt wurde allerdings auch der von auswärts berufne Potest",.

Vor einigen Jahren ist einmal in den Grenzboten dargestellt worden, mit
wie wunderbarer Klarheit, Festigkeit und Folgerichtigkeit der aus unbekannten
und ungenannten Bürgern bestehende Florentiner Rat dem Kaiser Heinrich VII.
Widerstand geleistet und unter den verzweifeltsten Umständen an seiner nationalen




Dnvidsohn hält das allerdings für Übertreibung. ,
Es steht nicht fest, welches diese sieben ältesten Zünfte gewesen sind; der Verfasser
vermutet: die Schmiede (in einem kleinen Nachbarorte erscheint 1172 ein Schmied als Konsul),
Wollenweber, Kürschner, Gerber, Schneider, Schuhmacher und Steinmetzen (einschließlich der nmr-
mormli, die schon Künstler waren). Später bildeten auch die Kaufleute, die Wechsler, die Richter
und Notare je eine u.rs, wie die Zünfte in Italien so schön hießen, aber in der ältern Zeit
wurden nur wirkliche Handwerke so benannt.

an einer andern Stelle eine friedlichere Stadt zu erbauen.") Wie das Volk
die wilden Gesellen später doch endlich gebändigt hat, konnte der Verfasser in dem
vorliegenden Bande, der bloß bis zum Anfange des dreizehnten Jahrhunderts
reicht, nicht mehr erzählen. Doch durften schon im Jahre 1193 auch die
Florentiner Bürger vou sich fügen, was die Pisaner 1162 zu Innocenz II.
gesagt haben sollen: Wir sind weder Herren noch Knechte. (Sehr bald wurden
sie, als Beherrscher des Contadv, Herren.) In dem genannten Jahre nämlich
waren es schon die Vorsteher der sieben Haudwerkerzüufte,^) die das Statut
für das nächste Jahr festsetzten. Dieses alljährliche Statut der tuscischen Städte
war die vollkommenste Anpassung des Nechtsznstands an den stetig wechselnden
thatsächlichen, die sich denken läßt. Es ist, schreibt der Magister Vuoneompcigno,
„die willkürliche Satzung, die aus der volkstümliche« Gewohnheit stammt;
denn jede Stadt in Italien macht ihre Konstitutionen, nach denen die Potest-I
oder die Konsuln die Geschäfte führen und Übertretungen bestrafen, ohne Rück¬
sicht ans irgend ein Gesetz, das dem Statut widersprechen könnte, da sie vor
dem Amtsantritt beschwören, dieses in seinem vollen Umfange zu beobachten."
Ans einer andern Stelle Buoucompaguos fügt Davidsohn hinzu, „daß man
bei der Abfassung vor allem ans Klarheit und Gemeinverständlichkeit bedacht
war, daß man verlangte, jede Bestimmung sei ihrem Wortlaut und Buchstaben
nach anzuwenden, und daß man sich gegen alle Juterpretationsküuste und Deute¬
leien der Rechtskundigen verwahrte. Die Bürgerschaft in ihrem nüchternen
Sinn wollte von gelehrten Finessen nichts wissen; ihr Bestreben richtete sich
auf klares, allen verständliches Recht, und nach Freiheit strebend, wollte sie
auch frei sein vom übergroßen Jnristenscharfsinn, der, wie der Magister sich
ausdrückt, »nicht nnr zweifelhafte Dinge wahr zu machen, sondern auch sichere
Fälle und offenbare Bernnnftgründe ins Wanken zu bringen versteht.«" Es
braucht kaum besonders gesagt zu werden, daß alle Ämter Ehrenämter waren
und von Nichtfachleuten verwaltet wurden; nnr die niedern Verrichtungen der
Schreiber, Büttel usw. wurden von bezahlten Gemeindedienern besorgt. Be¬
zahlt wurde allerdings auch der von auswärts berufne Potest»,.

Vor einigen Jahren ist einmal in den Grenzboten dargestellt worden, mit
wie wunderbarer Klarheit, Festigkeit und Folgerichtigkeit der aus unbekannten
und ungenannten Bürgern bestehende Florentiner Rat dem Kaiser Heinrich VII.
Widerstand geleistet und unter den verzweifeltsten Umständen an seiner nationalen




Dnvidsohn hält das allerdings für Übertreibung. ,
Es steht nicht fest, welches diese sieben ältesten Zünfte gewesen sind; der Verfasser
vermutet: die Schmiede (in einem kleinen Nachbarorte erscheint 1172 ein Schmied als Konsul),
Wollenweber, Kürschner, Gerber, Schneider, Schuhmacher und Steinmetzen (einschließlich der nmr-
mormli, die schon Künstler waren). Später bildeten auch die Kaufleute, die Wechsler, die Richter
und Notare je eine u.rs, wie die Zünfte in Italien so schön hießen, aber in der ältern Zeit
wurden nur wirkliche Handwerke so benannt.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/647>, abgerufen am 28.09.2024.