Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.Der Zusammenhang von äußerer und innerer Politik Opfer bereit unsre Schlachten geschlagen, unsre Siege gewonnen hat. Brauchen Wir gestehen, wir fürchten keinen "Umsturz," mit einer Revolution hat es Der Zusammenhang von äußerer und innerer Politik Opfer bereit unsre Schlachten geschlagen, unsre Siege gewonnen hat. Brauchen Wir gestehen, wir fürchten keinen „Umsturz," mit einer Revolution hat es <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0638" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/224884"/> <fw type="header" place="top"> Der Zusammenhang von äußerer und innerer Politik</fw><lb/> <p xml:id="ID_2114" prev="#ID_2113"> Opfer bereit unsre Schlachten geschlagen, unsre Siege gewonnen hat. Brauchen<lb/> wir diesen Geist, den Geist williger Unterordnung, freudiger Hingebung und Auf¬<lb/> opferung in der Zukunft nicht mehr? Können wir ihn ersetzen durch die Massen<lb/> der Streiter, durch die vollendeten Kriegsmaschinen? Nein, und abermals nein!<lb/> Mehr als zu irgend einer andern Zeit hangt die Entscheidung der Schlachten von<lb/> dem Geiste ab, der das Heer beseelt. Schon ans weite Entfernung voni Feinde<lb/> müssen sich die Massen zerlegen, die geschlossenen Reihen lösen; nur im be¬<lb/> deckten Gelände gelingt es den Schützenmassen, an den rasch in seiner Stellung<lb/> verschanzten Feind hinanzukommen, und auch dann nur, wenn ihnen der innere<lb/> Drang innewohnt, zu siegen oder zu sterben. Wir fechten nicht mehr Arm an<lb/> Arm, wir fechten Herz an Herz, ohne mechanischen Zusammenhang, oft ohne<lb/> Aufsicht und Kommando. So sind die Antriebe, die das Herz bewegen, die<lb/> Hciuptmittel des Sieges; weniger als jemals werden kleine, aber tüchtige Be¬<lb/> rufsheere noch in den künftigen Völkerkämpfeu eine Rolle spielen können. Unter<lb/> diesen Verhältnissen müssen wir es als ein großes Unglück beklagen, wenn ein<lb/> bedeutender Teil des Volks grollend beiseite steht, wenn von einer „innigen<lb/> Vereinigung der Nation mit der Regierung, von Zutrauen und Liebe" in der<lb/> Gegenwart so wenig die Rede ist. So sind wir auch von dieser Seite her<lb/> an die „soziale Frage" gelangt.</p><lb/> <p xml:id="ID_2115" next="#ID_2116"> Wir gestehen, wir fürchten keinen „Umsturz," mit einer Revolution hat es<lb/> bei uns gute Wege. Ist ihr Gelingen höchst unwahrscheinlich, so wolle uns doch<lb/> Gott in Gnaden auch vor den Folgen eines Sieges über die Revolution bewahren.<lb/> Damit, daß in dieser Beziehung nichts zu fürchten ist, ist uns aber nicht ge¬<lb/> dient. Was wir brauchen, das ist der gute Wille der Masse», ihr positives freu¬<lb/> diges Mitthun. Wer sagt es, woran es liegt, daß wir nicht mehr unbedingt<lb/> darauf zählen dürfen? Theorien werden von beiden Seiten zur Begründung und<lb/> Stützung der Interessen angeführt und weitergcsponnen, Beschuldigungen des<lb/> Gegners von beiden Seiten erhoben. Immer und immer wieder hören wir von<lb/> der Vaterlandslosigkeit der Sozialdemokratie, und doch reiht man die Sozial¬<lb/> demokraten in das Heer und erwartet, daß sie sich für das Vaterland totschießen<lb/> lassen. Mehr als sein Leben hat weder der Ärmste noch der Höchste des<lb/> Volks einzusetzen; wie kann der Staat dies Opfer fordern, wenn nicht der<lb/> Ärmste wie der Höchste sein Wohl von diesem Staate nach Möglichkeit wahr¬<lb/> genommen glaubt? Vielleicht lohnt es sich, einmal einen andern Weg zu ver¬<lb/> suchen, an Stelle der bloßen Negation Positives dem Positiven entgegenzusetzen.<lb/> Daß man sich über die Theorien und die Endziele einigt, ist ja höchst unwahr¬<lb/> scheinlich; über Endziele zu hadern ist aber doch auch ein überaus unpolitisches<lb/> Verfahren. Wann hätte bei innerpolitischen Kämpfen ein solcher Streit jemals<lb/> Erfolge aufzuweisen gehabt? Bei den Neligionskämpfen, bei den ständischen<lb/> Auseinandersetzungen, bei den konstitutionell-liberalen Bestrebungen, überall hat<lb/> er sich als unfruchtbar erwiesen. Man hat ihn stets aufgegeben und damit</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0638]
Der Zusammenhang von äußerer und innerer Politik
Opfer bereit unsre Schlachten geschlagen, unsre Siege gewonnen hat. Brauchen
wir diesen Geist, den Geist williger Unterordnung, freudiger Hingebung und Auf¬
opferung in der Zukunft nicht mehr? Können wir ihn ersetzen durch die Massen
der Streiter, durch die vollendeten Kriegsmaschinen? Nein, und abermals nein!
Mehr als zu irgend einer andern Zeit hangt die Entscheidung der Schlachten von
dem Geiste ab, der das Heer beseelt. Schon ans weite Entfernung voni Feinde
müssen sich die Massen zerlegen, die geschlossenen Reihen lösen; nur im be¬
deckten Gelände gelingt es den Schützenmassen, an den rasch in seiner Stellung
verschanzten Feind hinanzukommen, und auch dann nur, wenn ihnen der innere
Drang innewohnt, zu siegen oder zu sterben. Wir fechten nicht mehr Arm an
Arm, wir fechten Herz an Herz, ohne mechanischen Zusammenhang, oft ohne
Aufsicht und Kommando. So sind die Antriebe, die das Herz bewegen, die
Hciuptmittel des Sieges; weniger als jemals werden kleine, aber tüchtige Be¬
rufsheere noch in den künftigen Völkerkämpfeu eine Rolle spielen können. Unter
diesen Verhältnissen müssen wir es als ein großes Unglück beklagen, wenn ein
bedeutender Teil des Volks grollend beiseite steht, wenn von einer „innigen
Vereinigung der Nation mit der Regierung, von Zutrauen und Liebe" in der
Gegenwart so wenig die Rede ist. So sind wir auch von dieser Seite her
an die „soziale Frage" gelangt.
Wir gestehen, wir fürchten keinen „Umsturz," mit einer Revolution hat es
bei uns gute Wege. Ist ihr Gelingen höchst unwahrscheinlich, so wolle uns doch
Gott in Gnaden auch vor den Folgen eines Sieges über die Revolution bewahren.
Damit, daß in dieser Beziehung nichts zu fürchten ist, ist uns aber nicht ge¬
dient. Was wir brauchen, das ist der gute Wille der Masse», ihr positives freu¬
diges Mitthun. Wer sagt es, woran es liegt, daß wir nicht mehr unbedingt
darauf zählen dürfen? Theorien werden von beiden Seiten zur Begründung und
Stützung der Interessen angeführt und weitergcsponnen, Beschuldigungen des
Gegners von beiden Seiten erhoben. Immer und immer wieder hören wir von
der Vaterlandslosigkeit der Sozialdemokratie, und doch reiht man die Sozial¬
demokraten in das Heer und erwartet, daß sie sich für das Vaterland totschießen
lassen. Mehr als sein Leben hat weder der Ärmste noch der Höchste des
Volks einzusetzen; wie kann der Staat dies Opfer fordern, wenn nicht der
Ärmste wie der Höchste sein Wohl von diesem Staate nach Möglichkeit wahr¬
genommen glaubt? Vielleicht lohnt es sich, einmal einen andern Weg zu ver¬
suchen, an Stelle der bloßen Negation Positives dem Positiven entgegenzusetzen.
Daß man sich über die Theorien und die Endziele einigt, ist ja höchst unwahr¬
scheinlich; über Endziele zu hadern ist aber doch auch ein überaus unpolitisches
Verfahren. Wann hätte bei innerpolitischen Kämpfen ein solcher Streit jemals
Erfolge aufzuweisen gehabt? Bei den Neligionskämpfen, bei den ständischen
Auseinandersetzungen, bei den konstitutionell-liberalen Bestrebungen, überall hat
er sich als unfruchtbar erwiesen. Man hat ihn stets aufgegeben und damit
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