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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Der Zusammenhang von äußerer und innerer Politik

dienst gewissenhafteste Pflichttreue und Idealismus. Ganz besonders groß
waren natürlich gerade in dem Preußen von 1807 die Schwierigkeiten der
ersten Eingliederung des wohlhabenden Bürgerstandes in das Heer; in wahr¬
haft genialer Weise wurden sie 1813 durch die Errichtung der freiwilligen Jüger-
detachements bei den Linienregimentern gelöst. Ganze Truppenteile aus den
Jägern zu bilden ging nicht an, da man sie nicht der Vernichtung durch den
Feind aussetzen durfte; in die Linie einstellen durfte man sie bei den damaligen
Verhältnissen ebenfalls noch nicht. Wir können die Bedeutung und die Schwierig¬
keiten der Sache nicht besser zeigen, als mit den Worten Bvyens: "Fast alles,
was zum gebildeten oder wohlhabenden Bürgerstande gehörte, war durch eine
Reihe von Jahren und Exemtionen der Verteidigung des Vaterlandes entfremdet.
Ohne ein allgemeines Aufbieten aller geistigen und physischen Nationalkräfte
war aber an einen glücklichen Krieg 1813 nicht zu denken. Nicht bloß, weil
es dann wirklich der Kopfzahl nach an Menschen gefehlt hätte, sondern auch
und hauptsächlich, weil nur durch den Zutritt und die richtige Verteilung
frischer geistiger Elemente sich eine dem Gegner überlegne Gefechtskraft bilden
konnte. Die Ausführung dieser Aufgabe war aber damals nicht leicht; wenn
anch Seine Majestät durch die im Jahre 1808 gegebnen Kriegsartikel den
eigentlichen Grund zu einer bessern und höher gestellten Landesverteidigung
gelegt hatte, so waren deswegen doch nicht die altern Vorurteile gegen das
Leben im Heere bei allen Ständen und Familien verwischt. Man mußte,
wenn man die gebildete Jugend zu den Waffen rief, den etwa besorgten Eltern
die Aussicht zeigen, daß die Berührung ihrer Söhne mit dem damaligen Heere
nur bedingungsweise stattfinden würde, man mußte den jungen Leuten, die der
Mehrzahl nach von dem heimatlichen Herde eher Vorurteile als besondre Kriegs-
geschicklichkeit mitbrachten, eine solche Stellung zu geben suchen, daß sie nicht
wegen dieser Unvollkommenheiten von den ihnen phhsisch überlegnen ältern
Kriegern entmutigt und doch in ihrem eignen, ihnen gegebnen Kreise das Ehr¬
gefühl und mit ihm die Gefcchtskraft bis zu dem höchsten Punkt gesteigert
wurde. Man mußte endlich diesen gebildeten jungen Leuten die Gelegenheit
geben, sich durch eigne Erfahrung so schnell als möglich zu Offizieren zu bilde",
weil nur dadurch der zu erwartende große Abgang von Anführern im Laufe
des Krieges gedeckt werden konnte."

Man sieht, der geniale Notbehelf der Jägerdetachements, der ebenfalls
dem Kopfe Scharnhorsts entsprungen ist, steht genau an der Stelle, die heilte
in der deutschen Heerordnung die Einrichtung der Einjährig-Freiwilligen
und der Reserveoffiziere einnimmt, die eine wie die andre der beiden An¬
ordnungen haben sich glücklicherweise eine große Volkstümlichkeit erworben.
Bei allen Ausstellungen im einzelnen haben sie eins der festesten Bänder
zwischen den bürgerlichen Neigungen und Interessen und den kriegerischen Ein¬
richtungen gebildet.


Der Zusammenhang von äußerer und innerer Politik

dienst gewissenhafteste Pflichttreue und Idealismus. Ganz besonders groß
waren natürlich gerade in dem Preußen von 1807 die Schwierigkeiten der
ersten Eingliederung des wohlhabenden Bürgerstandes in das Heer; in wahr¬
haft genialer Weise wurden sie 1813 durch die Errichtung der freiwilligen Jüger-
detachements bei den Linienregimentern gelöst. Ganze Truppenteile aus den
Jägern zu bilden ging nicht an, da man sie nicht der Vernichtung durch den
Feind aussetzen durfte; in die Linie einstellen durfte man sie bei den damaligen
Verhältnissen ebenfalls noch nicht. Wir können die Bedeutung und die Schwierig¬
keiten der Sache nicht besser zeigen, als mit den Worten Bvyens: „Fast alles,
was zum gebildeten oder wohlhabenden Bürgerstande gehörte, war durch eine
Reihe von Jahren und Exemtionen der Verteidigung des Vaterlandes entfremdet.
Ohne ein allgemeines Aufbieten aller geistigen und physischen Nationalkräfte
war aber an einen glücklichen Krieg 1813 nicht zu denken. Nicht bloß, weil
es dann wirklich der Kopfzahl nach an Menschen gefehlt hätte, sondern auch
und hauptsächlich, weil nur durch den Zutritt und die richtige Verteilung
frischer geistiger Elemente sich eine dem Gegner überlegne Gefechtskraft bilden
konnte. Die Ausführung dieser Aufgabe war aber damals nicht leicht; wenn
anch Seine Majestät durch die im Jahre 1808 gegebnen Kriegsartikel den
eigentlichen Grund zu einer bessern und höher gestellten Landesverteidigung
gelegt hatte, so waren deswegen doch nicht die altern Vorurteile gegen das
Leben im Heere bei allen Ständen und Familien verwischt. Man mußte,
wenn man die gebildete Jugend zu den Waffen rief, den etwa besorgten Eltern
die Aussicht zeigen, daß die Berührung ihrer Söhne mit dem damaligen Heere
nur bedingungsweise stattfinden würde, man mußte den jungen Leuten, die der
Mehrzahl nach von dem heimatlichen Herde eher Vorurteile als besondre Kriegs-
geschicklichkeit mitbrachten, eine solche Stellung zu geben suchen, daß sie nicht
wegen dieser Unvollkommenheiten von den ihnen phhsisch überlegnen ältern
Kriegern entmutigt und doch in ihrem eignen, ihnen gegebnen Kreise das Ehr¬
gefühl und mit ihm die Gefcchtskraft bis zu dem höchsten Punkt gesteigert
wurde. Man mußte endlich diesen gebildeten jungen Leuten die Gelegenheit
geben, sich durch eigne Erfahrung so schnell als möglich zu Offizieren zu bilde»,
weil nur dadurch der zu erwartende große Abgang von Anführern im Laufe
des Krieges gedeckt werden konnte."

Man sieht, der geniale Notbehelf der Jägerdetachements, der ebenfalls
dem Kopfe Scharnhorsts entsprungen ist, steht genau an der Stelle, die heilte
in der deutschen Heerordnung die Einrichtung der Einjährig-Freiwilligen
und der Reserveoffiziere einnimmt, die eine wie die andre der beiden An¬
ordnungen haben sich glücklicherweise eine große Volkstümlichkeit erworben.
Bei allen Ausstellungen im einzelnen haben sie eins der festesten Bänder
zwischen den bürgerlichen Neigungen und Interessen und den kriegerischen Ein¬
richtungen gebildet.


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[0636] Der Zusammenhang von äußerer und innerer Politik dienst gewissenhafteste Pflichttreue und Idealismus. Ganz besonders groß waren natürlich gerade in dem Preußen von 1807 die Schwierigkeiten der ersten Eingliederung des wohlhabenden Bürgerstandes in das Heer; in wahr¬ haft genialer Weise wurden sie 1813 durch die Errichtung der freiwilligen Jüger- detachements bei den Linienregimentern gelöst. Ganze Truppenteile aus den Jägern zu bilden ging nicht an, da man sie nicht der Vernichtung durch den Feind aussetzen durfte; in die Linie einstellen durfte man sie bei den damaligen Verhältnissen ebenfalls noch nicht. Wir können die Bedeutung und die Schwierig¬ keiten der Sache nicht besser zeigen, als mit den Worten Bvyens: „Fast alles, was zum gebildeten oder wohlhabenden Bürgerstande gehörte, war durch eine Reihe von Jahren und Exemtionen der Verteidigung des Vaterlandes entfremdet. Ohne ein allgemeines Aufbieten aller geistigen und physischen Nationalkräfte war aber an einen glücklichen Krieg 1813 nicht zu denken. Nicht bloß, weil es dann wirklich der Kopfzahl nach an Menschen gefehlt hätte, sondern auch und hauptsächlich, weil nur durch den Zutritt und die richtige Verteilung frischer geistiger Elemente sich eine dem Gegner überlegne Gefechtskraft bilden konnte. Die Ausführung dieser Aufgabe war aber damals nicht leicht; wenn anch Seine Majestät durch die im Jahre 1808 gegebnen Kriegsartikel den eigentlichen Grund zu einer bessern und höher gestellten Landesverteidigung gelegt hatte, so waren deswegen doch nicht die altern Vorurteile gegen das Leben im Heere bei allen Ständen und Familien verwischt. Man mußte, wenn man die gebildete Jugend zu den Waffen rief, den etwa besorgten Eltern die Aussicht zeigen, daß die Berührung ihrer Söhne mit dem damaligen Heere nur bedingungsweise stattfinden würde, man mußte den jungen Leuten, die der Mehrzahl nach von dem heimatlichen Herde eher Vorurteile als besondre Kriegs- geschicklichkeit mitbrachten, eine solche Stellung zu geben suchen, daß sie nicht wegen dieser Unvollkommenheiten von den ihnen phhsisch überlegnen ältern Kriegern entmutigt und doch in ihrem eignen, ihnen gegebnen Kreise das Ehr¬ gefühl und mit ihm die Gefcchtskraft bis zu dem höchsten Punkt gesteigert wurde. Man mußte endlich diesen gebildeten jungen Leuten die Gelegenheit geben, sich durch eigne Erfahrung so schnell als möglich zu Offizieren zu bilde», weil nur dadurch der zu erwartende große Abgang von Anführern im Laufe des Krieges gedeckt werden konnte." Man sieht, der geniale Notbehelf der Jägerdetachements, der ebenfalls dem Kopfe Scharnhorsts entsprungen ist, steht genau an der Stelle, die heilte in der deutschen Heerordnung die Einrichtung der Einjährig-Freiwilligen und der Reserveoffiziere einnimmt, die eine wie die andre der beiden An¬ ordnungen haben sich glücklicherweise eine große Volkstümlichkeit erworben. Bei allen Ausstellungen im einzelnen haben sie eins der festesten Bänder zwischen den bürgerlichen Neigungen und Interessen und den kriegerischen Ein¬ richtungen gebildet.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/636>, abgerufen am 27.09.2024.